Vorder Selbsanft über Nordgrat und Selbsanft-Überschreitung


Publiziert von Alpin_Rise , 11. Juli 2008 um 13:12.

Region: Welt » Schweiz » Glarus
Tour Datum: 9 Juli 2008
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   Bifertengruppe 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 2550 m
Abstieg: 900 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Tierfehd ist leider nicht mit ÖV erreichbar: cff logo Linthal, dann z.B. mit Taxi Mattli 041 8851086
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito oder Abstieg nach cff logo Brigels
Unterkunftmöglichkeiten:Bifertenhütte

Einsam, wild und abgelegen, so kann man die Selbsanft-Gipfel (Selbsanfte? Selbsänfter? Selbsänften? Bleiben wir bei –Gipfel!) charakterisieren. Ihre jähen, brüchigen Flanken kontrastieren stark zu den weitläufigen Schuttflächen der Gipfelplateaus.
Hätten sie nicht domiante Gipfel wie Tödi, Bifertenstock oder Hausstock als Nachbarn,
die Selbsanft-Gipfel wären bestimmt ein häufig besuchtes Ziel - um so mehr, als die Abstürze beinahe Eiger-Dimensionen erreichen, wie Herber Mäder in seinem Legendären Bildband "Gipfel und Grate" treffend bemerkt.


Ein episch langes, überaus wildes und forderndes Abenteuer im menschenleeren Glarner Hochgebirge

Bericht der kompletten 2-Tagestour inkl. Biferten Eisnase von 3614adrian
und
Fotos von Delta


Die Linie des Selbsanft N-Grat sticht dem Betrachter im Tierfed geradezu ins Auge. Die Tour ist ein Beispiel des klassischen Alpinismus, der heute etwas ausser Mode geraten ist. Heute würde man wohl von einer sehr anspruchsvollem Alpinwanderung, einer leichter Kletter- oder Hochtour sprechen.

Zur Zeit sind grosse Bauarbeiten an den Kraftwerksanlagen im Gang; zudem hat ein Unfall zur Sperrung der Seilbahn geführt. Die Arbeiter werden per Helikopter geflogen, was für eine entsprechende Geräuschkulisse sorgt. Die (siehe Kommentar) weniger gebräuchliche, viele Höhenmeter kürzere Variante von der Limmernsee-Staumauer (Route 601) fällt also weg.

Die Routenbeschreibung fällt etwas detaillierter wie üblich aus, da die Angaben im neuen Glarner SAC Führer z.T. einige Fragen offen lassen.

Von Tierfed über die Pantenbrücke bis zur zweiten Brücke bei P. 1042. Dort zweigt ein gut gepflegter, breiter Weg ab, der leicht bis an den Fuss des Selbsanft N-Grat führt (T4, Seilsicherungen). Von dort führt er horizontal ins wilde Limmerntobel, dem man etwa 150m bis zu einem Stollen der Kraftwerke folgt. Kurze Passage an Fixseilen im Bachbett. 
Wir gingen davon aus, dass es sich um die im Führer erwähnte „Wasserfassung“ handelt, denn hier setzt auch ein steiles Grasband, der vermeintliche "Birchgang" an. EDIT I: Die von uns beschriebene Route folgt Anfangs NICHT dem Birchgang. Wir wählten die falsche Variante durch den "Bös Birchgang"! (Siehe Kommentare) Dieser "Bös Birchgang" gleicht mehr einer feuch-moosigen, kaminartigen Rinne in brüchigem, abwärtsgeschichtetem Fels. Ideales Gelände für T6-Fetischisten – die 40m lange Passage beschäftigt uns auch gut anderthalb Stunden! Keine zuverlässige Sicherungsmöglichkeiten, mit vereinten Kräften schaffen wirs bis ins steile Gras oberhalb, dort bieten die Steileisgeräte im Gras veranktert  die einzige Standmöglichkeit  – prost! Mit Abstand die haarigste Passage, die ich in diesem Gelände jemals geklettert bin, T6+? Reine Kletterschwierigkeit um IV, das wär nicht das Problem...
Edit IIGreigler schickte mir dieses Bild vom Einstieg zum Birchgang - vielen Dank, mit dieser Fotodokumentation sollte die im Führer beschriebene Birchgang-Route gut zu finden sein!
Danach geht’s auf einem guten, grasigen Band teils auf Gämswechseln weiter bis in die lauschigen Baumbestände von „Birchli“ an der Gratkante. Durch das hohe Gras dieses verwunschenen, sehr exklusiven Ortes aufwärts bis man sich an der Baumgrenze nach links hält. Über Felsstüfchen, steile Grashänge und –bänder aufwärts bis zum im Führer erwähnten Markierungszeichen der Kraftwerke. Nach der kurzen Rinne bzw. Stufe (III) geht die Route ab Luegboden gemeinsam mit jener von der Staumauer (601) zusammen. Leicht rechtshaltend bis unter die grossen Felswände, unter denen man auf der Westseite des Grates bis zu einer leicht passierbaren, gestuften Felsstufe folgt (II). Danach links in Schrofen die weite, einfache Rinne hoch zum Grat, T5. Nun immer am Grat oder leicht rechts (westlich) davon aufwärts bis zum ersten markanten, gelblichen Aufschwung. Dieser wird wiederum etwas rechts über gut gestuften, steileren Fels erstiegen (II-III). Nun leichter bis zum Goldenen Horn, ein markanter Aufschwung unter dem grossen Geröllband. Das Horn wird auf der Ostseite gut gestuft erstiegen und danach einfach bis zum grossen Geröllband. Die Stufe danach wird knapp östlich der Gratkante erstiegen (III, Borhaken!), wobei direkt in das geröllige Gelände oberhalb ausgestiegen werden kann oder beim 3. BH über ein abdrängendes Band nach links traversiert wird (gemäss Führer). Nun über schuttbedeckte Bänder und einige Stüfchen auf den Ostgrat hinaus ( Im SAC-Führer Variante 611a). Unter dem markanten Aufschwung ca. 50m nach links bis zu einem grossgriffigen, kaum brüchigen Kamin (III+), oberhalb schräg links aufwärts bis zu einem zweiten, weniger markanten Kamin (BH, II). Nun steht man in den Schuttbändern unter dem Gipfelaufbau, den man von Norden angeht. Eine kurze Kaminstufe westlich führt auf den Gipfelgrat (Südgrat), den man in wenigen Klettermetern (II) ersteigt.
Grandiose Tiefblicke ins Glarnerland und Rundumsicht zur Tödi-Entourage.

Selbsanft-Überschreitung: vom Vorder Selbsanft über den S-Grat absteigen und diesem einmal nach W ausweichend Richtung Plattas Alvas folgen. Die Felsstufe vor dem eigentlichen Plateau sieht schwierig aus, entpuppt sich aber bei näherer Inspektion als wenige Meter grossgriffige Genusskletterei in teils festem Fels (diverse Varianten möglich). Nun einfach über die riesigen Geröllflächen der Plattas Alvas (Mittler Selbsanft) mit einigem auf und ab zum flachen Aufstieg am Hinter Selbsanft. In dieser grandiosen Hochgebirgsszenerie ein einfacher, aber weitläufiger Genuss (T3). Der Abstieg vom Hinter Selbsanft zum Limmerenfirn erfolgt zuerst nach Osten, später nach Süden. Nicht zu direkt nach Süden ziehen (Steilabbrüche). Über Schneefelder und Gletscherschliffplatten zum Limmernfirn auf ca. 2400m. Dort quert man den spaltenarmen Limmernfirn und folgt der problemlosen, rot markierten Wegspur des Limmernband zuerst fast horizontal, am Schluss steiler ansteigend auf den Grat ca. 400m NE vom Limmernpass (T4). Auf Wegspuren hinunter auf das Plateau der Bifertenhütte.
 
Eine lange Tour – wir waren gut 12 Stunden unterwegs, wobei uns der Einstieg beim Bachbett in den "Bös Birchgang" viel Zeit kostete. Unsere Einstiegsvariante zum Selbsanft Nordgrat ist defintiv nicht zu empfehlen! Der Weg über den Fuss der Staumauer oder über den richtigen Birchgang muss um einiges bequemer und sicherer sein, denn dort bieten Glarner Bergführer auch geleitete Touren an. Der Einstieg unter die Staumauer kann auch durch das Limmerntobel erreicht werden, wenn auch mit evtl. mühsamer Bachbettkletterei.


Tourengänger: Delta, Alpin_Rise, 3614adrian
Communities: T6


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T6 ZS III

Kommentare (11)


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filips hat gesagt: Wow!
Gesendet am 11. Juli 2008 um 19:31
Was für eine tolle Tour! Herzliche Gratulation. Da scheinen sich drei Cracks gefunden zu haben, um Gebiete wieder zu entdecken.
Seit ich als kleiner Bub einmal in Herbert Maeders "Gipfel und Grate"-Buch blätterte und seine Aufnahmen von dieser Tour gesehen habe (Titel: "Der nicht sehr sanfte Selbstsanft"), bin ich fasziniert von diesem Gipfel und von dieser Route im Besonderen. Ich hoffe, es gelingt mir dann auch einmal, über den gleichen Weg dort oben zu stehen...
Ich hab grad eben seinen Bericht nochmals angeschaut (sehr lesenswert!). Sie (Maeder mit Bergführer "Frigg") stiegen durch das Bachbett im Limmerntobel auf (zwar Blockkletterei, aber anscheinend nicht tragisch), dann rausgequert & biwakierten dann auf dem Luegboden in einer komfortablen Höhle.
Eine Frage: Er beschreibt ein Kamin am nächsten Tag: "Wir queren nach links und finden einen Kamin, der die abweisende Plattenwand durchzieht. Der Fels ist steil, nass, schmierig und brüchig." (sie hatten zuvor eine Gewitternacht) Später beschreibt er die Stelle als IV. Schwierigkeitsgrad.
Dürfte dies Euer Kamin "ca. 50m nach links bis zu einem grossgriffigen, kaum brüchigen Kamin (III+)" sein? Auf jeden Fall hat Maeder davon ein herrliches Foto gemacht ...

filips hat gesagt: Ach ja
Gesendet am 11. Juli 2008 um 19:37
Ist das Gipfelbuch weiterhin von 1904?

Alpin_Rise hat gesagt: Gipfel und Grate
Gesendet am 12. Juli 2008 um 00:48
Die Idee, den Selbsanft über den Nordgrat anzugehen, stammt exakt aus dem Buch, das du erwähnst. Ein fantastischer Bildband. Leider habe ich kein Exemplar hier, bin aber sicher, den fotografierten Kamin nicht durchstiegen zu haben. Evtl. handelt es sich um einen direkteren Aufstieg im oberen Teil. Die Geschichte ist wirklich lesenswert. Nach der Biwakhöle hab ich auch Ausschau gehalten, aber keine gesehen.

Das legendäre Gipfelbuch ist seit 1988 im Tal in Sicherheit, obwohl noch lange nicht voll. Es ist ein neues oben, leider klemmt der massive Behälter am Gipfelbuch. Mit geeignetem Werkzeug lässt er sich mühsam öffnen. Unsere Einträge waren die ersten 2008, entweder hat niemand den Behälter öffnen können, sich nicht eingetragen oder wir waren effektiv die ersten.

Gruss
Alpin_Rise

Omega3 hat gesagt: Was für eine Tour!
Gesendet am 11. Juli 2008 um 22:40
Gratuliere euch zu den SelbSÄNFTERN.
Von dieser abgeschiedenen Gegend schwärme ich schon lange. Hoffe, dass ich sie bald aufsuchen kann.

Liebe Grüsse
Martin

lorenzo hat gesagt: Klasse!
Gesendet am 12. Juli 2008 um 18:41
Ich las besagte Geschichte von H. Maeder Anfang 80er Jahre und träume seither von dieser Supertour, leider ist es bisher noch nicht dazu gekommen. Hat er nicht noch eigens ein Buch dazu herausgegeben?

Grüsse

lorenzo

ossi hat gesagt: RE:Klasse!
Gesendet am 12. Juli 2008 um 18:53
Der lorenzo macht das dann wohl im Alleingang mit Turnschuhen? ;)

lorenzo hat gesagt: RE:Klasse!
Gesendet am 14. Juli 2008 um 19:28
dann lieber barfuss oder mit tevas!

ma90in94 hat gesagt: Hauserhorn Nordgrat
Gesendet am 12. Juli 2008 um 20:20
Hallo
Kann es sein, daß ihr bei der Wassereinfassung einen falschen Einstieg
gewählt habt. Eventuell zu früh hinauf.
Es ist zwar schon lange her, dass ich diese Tour mal alleine gemacht habe,
vor 16 Jahren, aber ich habe diesen Birchengang als problemlos in Erinnerung.
Schwierigkeiten T6 und mehr würde ich nicht verdrängen können.
Ich erinnere mich noch an einen erstklassigen Biwakplatz auf ebenen
Grasplostern im Aufstieg in der Westflanke zum Grat.
Der Grat war weniger schwierig als ich gedacht habe. Saubere Kletterstellen
in gutem Fels und nicht sehr ausgesetzt, ausserdem Flachstücke und Gehgelände.
Der Abstieg entlang des Limmerensse ist etwas lästig, weil man wieder ordenlich hinauf muß,
und dann noch der Tunnel zur erlösenden Bahn, puh.

Hatte vorher irgendwo mal gelesen, daß das Gipfelbuch noch von den Erstbegehern sei. Als ich 1992 vorstellig wurde, war es bereits schon zur Sicherheit
in Glarus im Museum deponiert worden, ausserdem war da ein Kletterfoto mit erschreckender Wirkung. Habe aber keine solche schlimme Stelle vorgefunden.

Gruß G. Diez

Alpin_Rise hat gesagt: RE:Hauserhorn Nordgrat
Gesendet am 12. Juli 2008 um 20:39
Danke für die Hinweise und Komplimente,

Nun, die Indizien verdichten sich, dass wir wenigstens am Anfang nicht im Birchengang waren... abgesehen von den ersten 40 Metern war das Gelände jedoch gut begehbar. Der Stollen (gerade oberhalb der ersten Nylon-Fixseile), bei dem wir eingestiegen sind, ist auf jeden Fall keine Wasserfassung mit Rechen! Vielleicht hätten wir nur einige Meter weiter gehen sollen?
Die Schwierigkeiten und das fehlen jeglicher Begehungsspuren sprechen dafür, dass wir wirklich falsch lagen. In dem Fall wars eine ziemlich erschreckende Erstbegehung!

Vielleicht bekommt die Tour bald eine klärende Wiederholung? Aspiranten gäbs hier ja genug!

3614adrian hat gesagt: Birchgang
Gesendet am 13. Juli 2008 um 10:04
Wie ich von einem kompetenten Kenner des Glarnerlands erfahren habe, sind wir tatsächlich den falschen Birchgang (nennen wir ihn Bös-Birchgang) hochgestiegen.

Der richtige Birchgang befindet sich anscheinend etwas weiter flussaufwärts, also nach dem Stollenein und -ausgang. Es muss ein steiles Grasband sein, welches rechterhand direkt beim Fluss beginnt (max. T6). An dieser Stelle befinde sich ein auffälligen Rechen (Rost) im Bachbett. Unser "Bös-Birchgang" kann keinesfalls weiterempfohlen werden!

Die Information, dass sich der Birchgang NACH den Stollenein und -ausgängen befindet wäre uns sicher eine grosse Hilfe gewesen!

Und noch etwas: Der Limmerenbach kann doch durch Regulation zu einer Springflut anschwellen (dies wurde mir auf mein Anfragen bei der Seilbahn zwar verneint...)

Gruss Adrian


ursgaenger hat gesagt: Normalweg zum Selbsanft-N-Grat
Gesendet am 27. Oktober 2008 um 15:19
Eure Beschreibungen der tollen Tour (Gratulation!) können den Eindruck erwecken, dass Route 601 des Glarner Führeres (von der Staumauer über den Plattengang) die Normalroute zum Einstieg des Nordgrats sei. Obwohl der Führer dies durch die Nummerierung nahelegt, ist dies aber nicht der Fall. Meines Wissens wird der Plattengang heute kaum mehr begangen. Ich habe ihn vor Jahren einmal versucht; den (allerdings richtigen) Birchengang empfand ich dann später als wesentlich leichter und deutlich weniger heikel. Ich habe auch noch nie jemand getroffen, der/die jemand kennt, der/die über die Üeliplanggen (R. 601b) aufgestiegen ist.

Ich sage das, um weiteren ungewollten Abenteuern in diesem zum Teil extrem heiklen Gelände vorzubeugen. Der heutige Normalweg zum Einstieg des Vorder Selbsanft-Nordgrats beginnt (wie bei euch beschrieben) bei P. 1042 und ist für geübte T5/T6-Gaenger problemlos seilfrei zu begehen.

Und übrigens: Der Beginn des richtigen Birchengangs sieht zwar sehr steil und heikel aus; steht man drin, entdeckt man aber deutliche Trittspuren, die geradezu eine Treppe bilden ((fast) alle gehen ja hier durch!). Das zu Beginn schmale Band beginnt beim Bach und zieht sich – wenn man sich gegen das rechte Ufer wendet – nach rechts oben, verläuft also ungefähr parallel zur Fliessrichtung des Bachs. Wenn man beim Zustieg nur bachaufwärts blickt, kann man den Beginn des Bandes daher auch leicht übersehen ...


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