Wer kennt ihn nicht, den Ojos del Salado?
Viele. Obwohl second summit von Amerika, ist er doch deutlich unbekannter als sein großer Bruder, der Aconcagua. Doch dies ist nicht unbedingt ein Nachteil. Durch seine Unbekanntheit, den zweiten Rang und die Abgelegenheit am Rande der Atacama-Wüste wird er weitaus weniger besucht als der höchste Berg Amerikas. Hier erwartet einen also Abenteuer in unberührter Natur anstatt Völkerwanderung am Berg.
Es bleibt aber auch festzuhalten, dass der Ojos ein Vulkan ist, und zwar der höchste der Welt. Er gilt aufgrund (in geringen Mengen) auftretender Schwefeldämpfe sogar als aktiv. Und ja: Der höchste Berg Chiles ist er auch, zumindest der höchste Punkt, je nachdem wie mans definiert.
Mein Kumpel Felix und ich hatten bereits so manche spannende Tour in den Alpen unternommen und bisher noch jede Aktion überlebt. Uns reizte nun der Gedanke, auch einmal in höhere Gefilde jenseits der Alpen vorzudringen. Ein 8000er im Himalaya mag für den ersten Anlauf außerhalb der Alpen ein zu ambitioniertes Ziel sein, zumal neben der großen Höhe auch die Zustiege einen aufwändigen Expeditionscharakter haben. Zu teuer, zu gefährlich und unser Zeitfenster, der März, passte nicht. Afrika? Hier kann man ja nur 1000m höher über die Alpen steigen, das ist zu wenig des Guten. Also: Amerika, Aconcagua ist Mainstream, also Ojos! Das Ziel war gefunden, nachdem wir auch den Chimborazo wegen des unsicheren Wetters dort ausgeschlossen hatten.
Zunächst ein paar Charakteristika des Ojos
- 6893m hoch: Gut 2000m höher als der Mont Blanc und knapp 2000m niedriger als der Mount Everest, noch gut ohne künstlichen Sauerstoff machbar, Akklimatisierung (wir waren am unteren Limit) vorausgesetzt, daneben gute Kleidung, -30° nachts im März sind nicht ausgeschlossen
- in Wüstenregion gelegen: Dadurch selten Niederschlag (nur im normalen und bolivianischen Winter oder bei El Nino), kein Gletscher, in dessen Spalten man verschwinden kann
- Erschlossen durch Autopiste und zwei Biwakschacheln: Ein langer Marsch mit Gepäck wird einem erspart, Voraussetzung ist allerdings ein starker, robuster 4x4 SUV.
- Sehr abgelegen: In dieser Region leben weit und breit keine Menschen, mit Ausnahme einiger Carabineros, die zeitweise in der Nähe (50km entfernt) verweilen. Es ist also notwendig, genügend Vorräte an Essen, Trinken und Sprit mitzunehmen.
- Felsiger Teil kurz unterhalb des Gipfels: Das Sahnehäubchen der Tour ist die kurze Kletterei (durch Fixseil entschärft) im zweiten Grad. Im Grunde geschenkt, aber immerhin auf über 6800m.
Und nun zur eigentlichen Tour
Am 06.03. landeten wir in Calama und fuhren, sobald wir endlich das Auto hatten, bald in den Süden in Richtung Ojos. Das Auto bekamen wir nur mit Hilfe einer hilfsbereiten Spanierin, langen Wartens und schließlich eines Einbruchs in die Autovermietung...
Am 09.03. erreichten wir die wunderschöne Laguna Santa Rosa, wo wir eine Nacht noch unter 4000m verbrachten. Wir hatten bereits davor schon höher genächtigt, was sich bei mir aber am Folgetag prompt mit einer spontanen Kotzattacke rächte. Man unterschätzt die Gefahr, wenn einem das Auto die Höhenmeter abnimmt. Des Weiteren gilt: climb up, sleep down, was wir nun auch immer befolgten.
Am 10.03. gings weiter bis zum Rio Lama auf etwa 4000m, einem von safigem Grün (eher Gelb) umgebenen, rauschenden Gebirgsbach inmitten karger Landschaft. Am Nachmittag folgte die erste wirkliche Akklimatisierungstour auf einen no-name-Berg, bei der wir laut Höhenmesser die 5000er Marke knackten.
Am Morgen des 11.03. dann der Schock: Der Wagen sprang nicht an. Wir versuchten, was man in so einem Fall dann alles versucht, aber ohne fremde Hilfe war es aussichtslos, denn nach unzähligen Anlassversuchen verabschiedete sich dann auch die Batterie und der Wagen stand höchst ungünstig in Bezug auf eine Anschiebeposition. Was für ein Glück, dass ein fetter Tanklaster vorbeikam und das Auto mit Seil und meinem Karabiner herauszog. Die netten Chilenen erkannten auch gleich das Problem und behoben es, indem sie den verstopften Luftfilter rausschmissen. Sprungkupplung und die Karre lief. Es konnte weiter bis zur Laguna Verde auf 4300m gehen, wo wir uns nach dem Stress erstmal ein warmes Bad in den Heißwasserteichen gönnten. Wir lernten dazu und parkten das Auto abschüssig, falls die Batterie noch nicht wieder genug aufgeladen sein sollte.
12.03. war Tourentag, es ging in eisiger Kälte frühmorgens los und wir stiegen rund 1000m bis auf einen Vorgipfel des Mulas Muertas auf, um dann über eine von Felix ausgewählte Schotterflanke, die mich reichlich verärgerte, ruckzuck wieder abzusteigen. Aber das warme Bad lockte, und nicht nur das. Wir beschlossen noch heute zum Refugio Atacama aufzubrechen. Also erst wieder ein Stück die bekannte Straße (geteert waren die schon lange nicht mehr) zurück und dann nach links auf die Zufahrstraße zu Refugio. Straße ist ein Euphemismus, vielmehr handelt es sich dabei um eine Schotter- oder Sandpiste. Der Schotter störte uns weniger, man musste nur den großen Brocken ausweichen. Im Sand ging dann aber nichts mehr. Hier auf 5000m Höhe versagte der Motor völlig, er ging einfach aus, zünden konnte man ihn wieder, aber Gasgeben zeigte keine Wirkung mehr. Diesmal war die Verzweiflung noch um ein Vielfaches höher als bei der ersten Panne, denn hier kann es Tage dauern, bis jemand vorbeikommt um uns zu helfen. Und wie durch Zauberhand kam in dem Moment ein 3l-SUV von oben herabgefahren. Dessen Insassen waren technisch sehr versiert, schlugen irgendwo gegen den Motorblock woraufhin das Gas wieder funktionierte. Dafür grub sich der Wagen nun im Sand ein, aber halb so wild. Felix erkannte sofort die Lösung: Luft aus den Reifen! Das war goldrichtig, wir kamen wieder einmal glimpflich aus dem Schlamassel und fragten uns ob es so weiter gehen würde. Ab nun hieß es, es sich im Atacama-Biwak gemütlich zu machen, unser Zweimann-Faltzelt brauchten wir nun nicht mehr.
Hier ein Video noch vor der Panne im besten Teil der Piste.
Die Nacht auf den 13.03. war für mich unangenehm. Sie bestand im Wechsel aus Aufwachen mit Schädelbrummen, Trinken und dem Gegenteil davon. Letzteres eigentlich ein gutes Zeichen der Akklimatisierung, aber warum muss es gerade nachts sein?! Tagsüber chillten wir praktisch nur, was sicherlich notwendig war aber auf der anderen Seite auf Dauer auch langweilig, außerdem kam extreme Sehnsucht nach zu Hause auf. Der angenehmste Ort zum Nichtstun war das Auto, in dem es schön warm war und wo wir von dem permanenten Wind geschützt waren. Wir beschlossen, am nächsten Tag gleich zum Hochlager aufzubrechen, um nicht nocheinmal nichts tun zu müssen. Wobei Nichtstun gar nicht ganz richtig ist, denn wir mussten weiterhin selbst kochen und auch die Entrümpelung des Refugios kam dem ordophilen Felix in den Sinn. Die zweite Nacht verlief bei mir schon deutlich besser.
Am 14.03. wurde der Müll vom Entrümpeln unweit des Refugios von uns warm entsorgt. Währenddessen stiegen wir mit viel Wasser zum Hochlager Tejos (5800m) auf. Je höher wir kamen, desto mühsamer wurde es. Ohne ständig Pausen einzulegen um mich auf meine Stöcke zu stützen wäre mir schwarz vor Augen geworden. Der Abstieg wieder zum Atacama war ein Kinderspiel, da bergab und quasi ohne Gepäck. Nun zum dritten und letzten Mal unten schlafen, morgen dann wieder hoch zum Tejos.
Am 15.03. stiegen wir mit dem restlichen Gepäck, was wir noch für den Gipfelsieg bräuchten, bis zum Tejos und ohne Gepäck dann noch bis auf 6000m, was kein Problem war. Danach waren wir gespannt auf eine Nacht in 5800m Höhe. Sie war nicht schön.
Ob die zweite Nacht in dieser Höhe so viel besser werden würde hielten wir für fraglich und Felix plädierte bereits am frühen Morgen des 16.03. dafür, den Gipfel heute in Angriff zu nehmen. Nach kurzem Nachdenken stimmte ich ihm zu und wir schmolzen unser Wasser, das eingefroren war. Dann ging es los. Mit Klettergurt (zur Sicherheit für die Kraxelei kurz vor dem Gipfel) und Steigeisen (für das Eisfeld). Die Mitnahme von Steigeisen war uns von zwei Bergsteigern angeraten worden, die wir im Atacama getroffen hatten und die den Gipfel bereits gemeistert hatten.
Die Route zum Gipfel ist eigentlich nicht schwer zu finden, anfangs immer den Kehren im Geröllfeld folgend und nach und nach steiler werdend. Wir hatten bereits hier im schneefreien Gelände schon die Steigeisen an, um sie nicht erst später anschnallen zu müssen. Als uns aber der Weiterweg rechter Hand über das Schneefeld aufgrund des sulzig weichen Schnees nicht sehr angenehm erschien und wir dort auch keine eindeutigen Spuren festmachen konnten, entschlossen wir uns die steilere Geröllfeld-Direttissima bis zum Kraterrand aufzusteigen. Diese war eisfrei und ohne Steigeisen besser zu machen, also legten wir sie ab. Das Geröll war ekelhaft, da vor allem Felix bei fast jedem Schritt wieder abrutschte. Mir machte es, weil ich leichter bin, weniger zu schaffen und so erreichte ich ca. 1h vor Felix den Kraterrand, wo ich verschnaufen konnte. Als er zu mir stieß war er fix und fertig aber wollte selbstverständlich auch noch die 80-100hm bis zum Gipfel in Angriff nehmen. Nach einer kurzen Pause für ihn gingen wir also weiter, der Weiterweg war (im Gegensatz zu den Verhältnissen, die Herr Wiesner antraf) klar ersichtlich und wir näherten uns der Scharte zwischen Argentinischem (der niedrigere) und Chilenischem (der höhere) Gipfel. Jedoch war Felix immer noch geschwächt und wurde immer langsamer, so dass er die letzten 40hm bis zum Gipfel nicht mehr schaffte. Mir war der Gipfel vergönnt, die IIer Kletterei war ohne Kopfschmerz und Übelkeit ein Genuss und oben konnte ich zum ersten Mal die grandiose Aussicht genießen, nur der Wind nervte wie immer. Der Gipfelbucheintrag durfte natürlich nicht fehlen.
Es war jetzt schon später Nachmittag und Zeit abzusteigen. Doch der Abstieg hinterließ bleibende Spuren. Es passierte das, was hätte nicht passieren dürfen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Bilder zur Tour hier auf meiner Internetpräsenz
Fazit: Eine super Tour abseits des Trubels, eine perfekte Abwechslung zu den Alpen, aber auch ein Berg mit Tücken
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