Überschreitung Piz Roseg via Sellagrat


Publiziert von pboehi , 18. August 2013 um 18:33.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum:15 August 2013
Hochtouren Schwierigkeit: S+
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Bernina-Gruppe   Piz Bernina 
Zeitbedarf: 12:45
Aufstieg: 1400 m
Abstieg: 1400 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Coazhütte: Erreichbar via Pontresina - Val Roseg (bis zum Hotel Roseg mit Pferde-Omnibus oder Fahrrad), von dort zu Fuss weiter. Oder via Surlej - Corvatschbahn bis Mittelstation (Murtèl) - zu Fuss weiter via - Fuorcla Surlej - zur Hütte.
Unterkunftmöglichkeiten:Coaz und Tschiervahütten, Bivacco Parravicini

Wie ich gesehen habe, ist der Sellagrat noch nicht auf Hikr beschrieben, weshalb ich hier meine Eindrücke wiedergebe. Geschrieben aus der Warte eines Gastes, geführt von einem Bergführer, somit nicht ganz aus "erster Hand" eines eigenverantwortlich handelnden Bergsteigers, aber mal ein Anfang :-)

Wie jedes Jahr habe ich einen Bergführer der Bergsteigerschule Pontresina gebucht, um eine Hochtour plus einen Tag technisches Training zu machen. Wenige Tage vor der Tour wurde mir der Bergführer zugeteilt und wir besprachen telefonisch die gewünschte Tour: Die Wahl fiel auf den wenig begangenen Sellagrat bzw. die Überschreitung des Piz Roseg. Der Sellagrat wird im SAC-Führer als S+ bewertet und sollte 6-8 Stunden Felskletterei bedeuten.

 

Da ich um die Mittagszeit im Engadin ankommen würde und um 13.10 kein Pferde-Omnibus ins Rosegtal fährt, entschied ich mich für den alternativen und etwas weniger Höhenmeter umfassenden Zustieg zur Coazhütte via Fuorcla Surlej. Ich parkierte mein Auto im Parkhaus der Corvatschbahn in Surlej, fuhr zur Mittelstation Murtèl, von wo aus ich via Fuorcla Surlej problemlos in etwas mehr als 2 Stunden zur Coazhütte gelangte. Die Coazhütte ist eine kleinere, aber ausgezeichnet geführte und komfortable Hütte am Ende des Rosegtals, auf 2610m gelegen. Dort traf ich den Bergführer, wir besprachen nochmals die Tour - welche wir auf etwa 14 Stunden veranschlagten - und setzten das Frühstück auf 3:00h an mit Abmarsch um 3:30h, um bei Sonnenaufgang am Einstieg zum Sellagrat zu sein.

 

Wir marschierten pünktlich um 3:30h in Lichte unserer Stirnlampen ab, nach 15 Minuten Aufstieg über Blockfelder gelangten wir zum Roseg-Gletscher, wo wir die Steigeisen und das Seil montierten. Anschliessend ging es zuerst etwas steiler hinauf, bevor wir ein höher gelegenes Plateau auf dem Gletscher erreichten, über das wir nach Osten traversieren konnten, teilweise wieder leicht absteigend. Gletscherspalten liessen sich leicht umgehen. Auf dem Sella-Gletscher stieg es dann wieder an, und im Morgengrauen nach 2 1/4h Aufstieg erreichten wir etwas links haltend den Einstieg zum Sellagrat in der Region der Fuorcla da la Sella. Als Alternative gibt es auch das Bivacco Parravicini (3183m) östlich etwas unterhalb der Fuorcla de la Sella, eine einfache Kiste mit 6 Liegen, welche aber keinen Komfort und Infrastruktur bietet und nur einen geringen Zeitgewinn mit sich bringt, sodass die Übernachtung in der Coazhütte wohl die bessere Wahl darstellt.

 

Nach einer kurzen Pause, Abziehen der Steigeisen und Montieren des Helms ging es in den Sellagrat. Die Kletterei geht sofort los, der Fels ist meistens ziemlich brüchig, die Kletterei selbst jedoch ist für einen durchschnittlichen Kletterer gut zu meistern, es gibt ausreichend Griffe und Tritte, so sie denn halten. Immer wieder ging Material zu Tale, und Sicherungsmöglichkeiten gibt es nur wenige, in der Regel kamen Friends zum Einsatz, meistens wurde das Seil nur um Felszacken gelegt. Wir hielten uns ziemlich strikte an den Grat, da ein Ausweichen in die Flanken sofort in rutschiges Geröll führte bzw. der Fels auf dem Grat am kompaktesten war. Auf eine Routenbeschreibung verzichte ich, prinzipiell soll man sich auf sein Gefühl verlassen und sich im Zweifelsfall an den Grat halten, welcher wunderbar ausgesetzt und abenteuerlich ist. Das Gelände wechselt häufig, kurze Abschnitte sind gehend am kurzen Seil zu machen, andere längere sind wieder kletternd bis zum IV. Grad zu meistern, mal ist der Fels kompakt, öfters jedoch brüchiger. Während der erste Abschnitt eher steiler mit einigem Höhengewinn ist, ist der mittlere Abschnitt etwas flacher mit einigem Auf und Ab, bevor der letzte Abschnitt mit dem Aufstieg zum Gipfel folgt. Am Ende des Mittelteils muss abgeseilt werden, um einige kleinere Türme rechts (südöstlich) zum umgehen, es hat einen Abseilstand mit ein paar alten Schlaghaken. Danach folgt der letzte Kletterabschnitt zum Gipfel, plötzlich wird das Gelände zunehmend flacher und der Grat breiter, und schon steht man vor dem Steinmann des Gipfels des Piz Roseg, welchen wir in weniger als 6 Stunden erreichten.

 

Nach kurzer Gipfelrast ging es weiter zur Schneekuppe, zuerst Abklettern vom Roseg-Gipfel zur Scharte vor der Schneekuppe, wo wir wieder die Steigeisen montierten und den Pickel in die Hand nahmen, dann Aufstieg zur Schneekuppe bzw. Abstieg danach in nordwestlicher Richtung zum Eselsgrat, wo wir die Steigeisen wieder abmontierten und zum Einstieg der Abseilpiste gingen. In etwa 5 Etappen seilten wir zum Tschiervagletscher ab, wo ich noch eine kleine Herausforderung meistern musste. Da der Gletscher im Sommer zurückgewichen ist, war der Rand des Gletschers etwa 5m von der Felswand entfernt, nur am Ende der Abseilpiste war er im Abstand von knapp 2m zu erreichen, dazwischen öffnete sich ein etwa 20-30m tiefer Abgrund. Der Bergführer, welcher vor mir abgeseilt hatte, steckte seinen Pickel als Halterung ein, an dem ich mich über den Gletscherrand ziehen sollte. Da ich jedoch etwa 2m neben dieser Stelle runter kam, zog mich das Seil dauernd weg und ich schaffte es nicht, mich auf den Gletscher zu ziehen. So hing ich am Seil, erreichte aber einen kleinen Felsvorsprung gegenüber der Ausstiegsstelle, auf dem ich abstehen konnte. Ich bekam etwas mehr Seil und Bewegungsfreiheit, fixierte auf der gegenüberliegenden Seite den Tritt im Schnee etwa einen Meter unterhalb der Gletscherkante und den im Schnee steckenden Pickel, ignorierte den Abgrund und machte einen beherzten grossen Schritt, packte den Pickel und zog mich auf den Gletscher - geschafft!

 

Ich zog wieder die Steigeisen an, und wir marschierten ziemlich weit nach Süden ausholend, die grössten Gletscherspalten umgehend, etwas unterhalb 3200m über den Tschiervagletscher, um dann westlich entlang des Piz Umur abzusteigen, nach Überquerung des östlichen Schenkels des Gletschers erreichten wir nach 4 Stunden ab Roseg-Gipfel die Tschiervahütte. Insgesamt waren wir 12 3/4 Stunden unterwegs, Flüssigkeitskonsum 2 Liter, plus 100g Studentenfutter.

 

Am nächsten Morgen machten wir noch ein paar Stunden technisches Training, bevor wir zum Hotel Roseg abstiegen, von wo aus wir uns mit Pferde-Omnibus nach Pontresina transportieren liessen. Von dort mit ÖV nach Surlej, wo ich mein Auto in der Corvatsch-Tiefgarage abholte.

 

Dies war eine abenteuerliche, wenig begangene Tour im Stile des alten Alpinismus in brüchigem Fels, ausgesetzt mit minimalen Sicherungsmöglichkeiten, aber technisch für mich gut zu machen (ich klettere in der Halle 5b). Wir hatten perfekte Verhältnisse erwischt, das Wetter war einwandfrei, es herrschten angenehme Temperaturen und praktisch kein Wind.


Tourengänger: pboehi


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Kommentare (3)


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Basti hat gesagt: Top
Gesendet am 18. August 2013 um 21:08
Sieht beeindruckend aus!
Gruß!
Sebastian

Alpin_Rise hat gesagt: wenig einladend?
Gesendet am 23. August 2013 um 12:11
Danke für deinen Bericht! Bis jetzt war ich unschlüssig, ob sich die Tour rein klettermässig lohnt.

> der Fels ist meistens ziemlich brüchig
> mal ist der Fels kompakt, öfters jedoch brüchiger.

Gemäss deinem Bericht tönts wenig einladend von der Felsqualität; oder hats auch schöne Kletterstellen?

Gratulation und G, Rise

pboehi hat gesagt: RE:wenig einladend?
Gesendet am 24. August 2013 um 14:42
Lieber Alpin_Rise, der Grat lässt sich sehr gut klettern und ich möchte ihn auch empfehlen, man muss sich einfach auf die Verhältnisse einstellen. Lass Dich nicht abhalten, mir hat er grossen Spass gemacht. Peter


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