dem Augstenberg (2365m) und Naafkopf (2570m) aufs Haupt
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Nach der erfolgreichen Tour auf den Rysy in Polen, habe ich Blut geleckt. In diesem kurzen Moment war im polnischen Staatsgebiet niemand höher als ich (die anderen beiden Wanderer standen mindestens 10cm unter mir). Wie eine Gottheit, die sich am Berg ganz oben über den Wolken sich eines ins Fäustchen lacht. Ich schweife ab. Jedenfalls dachte ich, wie muss es sich wohl anfühlen auf den höchsten Punkten Europas zu stehen. Einige Menschen haben dieses Kunststück schon vollbracht, insbesondere Carl McKeating und Rachel Crolla, welche ihre Erlebnisse auch in dem Buch „Europe's High Points“ von Cicerone eindrucksvoll und unterhaltsam gesammelt haben. Aber, dieses große Aber was sich mir stellt, wie erreicht man diese Berge? Großteils waren sie mit dem Automobil unterwegs. Vor einiger Zeit lernte ich jemanden kennen, der ebenfalls die höchsten Punkte erreichen will. Dieser junge Mann fährt mit seiner zweirädrigen Maschine durch Europa. Sie alle erreichen ihre Punkte mit dem Auto, mit dem Motorrad, mit dem Flugzeug und einige mit der Eisenbahn. Was ist aber, wenn man alle, wirklich alle Punkte mit der Eisenbahn erreichen will, so umweltfreundlich als möglich, so langsam als möglich, wie zu Zeiten des Alpinismus oder den Expeditionen im 19. Jahrhundert? Und da war sie geboren, die Idee: Alle höchsten Punkte Europas nur mit den eigenen Füßen und den beiden Behelfsmitteln Eisenbahn und Schiff zu erreichen. Nachdem Polen in dieser Form erfolgreich ohne Hintergedanken erreicht worden war, sollte die nächste Tour auf den höchsten Berg Liechtensteins führen (diesmal mit Hintergedanken), der Vorderen Grauspitze. Sollte, denn man muss auch einsehen können, dass es einfach mal nicht geht.
Mit dem Nachtzug starte ich die Mission Liechtenstein in Wien mit einem ganz klaren Ziel: die Vordere Grauspitze soll erreicht werden. In Wels steigt Alexandra zu, gemeinsam werden wir zu den westlichen Nachbarn blicken. Nach einer sehr geruhsamen Fahrt kommen wir frühmorgentlich am Bahnhof Bludenz an, weitere Minuten später in einem Regionalzug und wir landen in Nenzing, einem über 4000-Seelen Städtchen am nördlichen Rande des Rätikons in Vorarlberg. Der Meng Fluss schlängelt sich durch die Straßen und Häuser, diesem folgen wir auch in entgegengesetzer Flussrichtung bergauf. Durch ein Waldstück geht es in die Mengschlucht, heftiges Getöse des Wildflusses rauscht uns um die Ohren. An einem flacheren Stück wird das morgentliche Zähneputz-Programm nachgeholt. Ich klettere ein kleines Stück zum Fluss ab, erledige die hygienische Pflichtkür und steige wieder auf. Beim ersten größeren Aufstiegsschritt reißt mir die Hose. Ab diesem Moment ziert ein größeres Loch den Schritt meiner Hose, natürliche Belüftung sozusagen.
Weiter geht der Marsch im Gamperdonatal auf einer schmalen Asphaltstraße. Links und rechts erstrecken sich rauschende Bäche und imposante Felswände. Nicht allzuoft taucht hinter uns ein Auto auf, viele nehmen wir aufgrund dem tosenden Meng Fluss gar nicht wahr und schrecken uns, wenn sie uns fast schon auf die Fersen fahren. Eine Rast bei einer lieblichen Kapelle und eine weitere Stunde Fußmarsch später erreichen wir die ersten Häuser des Nenzinger Himmels. Ein kleines Feriendorf in idyllischer Lage, welches nur im Sommer erreichbar und auch bewohnt ist, hauptsächlich genießt man hier die Stille in mietbaren Ferienhäusern. Massentourismus findet man hier nicht, die dorthin führende Straße dürfen nur Nenzinger BewohnerInnen nutzen, bzw. in Ausnahmefällen ist das Hinfahren erlaubt, das Herumfahren aber verboten.
Wir verlassen die Asphaltstraße und bewegen uns nun auf einem Schotterweg. Die ersten größeren Steigungen stellen sich uns in den Weg, in einer halben Stunde sind über 200 Höhenmeter geschafft. Über eine kleine Brücke beginnt der Pfad auf die Pfälzer Hütte. Eine Familie mit Kindern kommt uns entgegen und berichtet von einem gesperrten Weg, es soll einen Ersatzweg geben, aber der gesperrte Weg ist auch nicht sonderlich schwierig. Danke für den Rat. Ein paar Minuten später berät uns ein Ehepaar, wir sollen auf keinen Fall den gesperrten Weg nehmen, sondern den Ersatzweg gehen, der gesperrte Weg sei nahezu unmöglich passierbar. Danke für den Rat. Zwei unterschiedliche Meinungen, wir werden sehen. Als wir zu der besagten Stelle kommen, an der ein Ersatzweg beschriftet und darauf hingewiesen wird, nehmen wir ohne zu zögern den gesperrten Weg, so wilde Hunde sind wir. In weiterer Folge erkennen wir zwar so gut wie keinen Weg mehr und nur sehr wenige Markierungen, aber mit etwas Orientierungsvermögen erreichen wir doch wieder den unbeschädigten Pfad und zur Pfälzer Hütte (2108m ü.A.) trennen uns nur mehr wenige Höhenmeter.
Begrüßt werden wir von den hütteneigenen Hühnern und einem stolzen Hahn, welcher der Liebling der hier anwesenden Kinder ist, der Hahn sieht das aber nicht so. Wir beziehen unser Lager und holen uns die ersten Hütten-Schmankerl, einen Kaiserschmarrn. Die Preise schrecken mich nicht sonderlich, nur die Getränke kommen mir etwas überteuert vor. Wenn der Tee nur etwas geringfügig günstiger als das Bier ist, weiß ich welche Gläser öfter gewaschen werden müssen.
Ich unternehme noch einen kleinen Ausflug auf den Augstenberg auf 2359m, bewaffnet mit Karte und Kompass um Aufstiegsmöglichkeiten auf den Grauspitz zu entdecken. Am Gipfel angelangt, hätte ich wunderbare Aussicht auf die Grauspitzen, sowie den Besteigungsgrat und das aufsteigende Geröllfeld vom Naaftal. Hätte, eine halbe Stunde sitze ich am Gipfel, versuche einige prägnante Punkte auf die Karte zu übertragen, um uns für die Tour auf die Grauspitze vorzubereiten und warte bis sich die Wolken verziehen. Aber sie verziehen sich nicht.
Wieder bei der Hütte begeben wir uns zum Kartenspielen zuerst noch nach draußen und beobachten einen übermotivierten Fotograf, der, mit Stativ und Filter bewaffnet, den Sonnenuntergang ablichten möchte. Ein Mann, welcher sich plötzlich zwischen seinem Apparat und Sonnenuntergang auf der Terrasse bewegt, wird vom Fotograf mit einem „kssssst, kssssst“ vertrieben. Jedenfalls uns bringt er zum Schmunzeln.
Die Nacht war lang, geschlafen haben wir gut, die Wolken bedecken jedoch noch immer wie angewurzelt den Grat und die Gipfel, keine Chance irgendwas von unten auszumachen. Wir beschließen auf den markierten Naafkopf (2571m ü.A.) zu steigen, im Idealfall erkennt man von dort eine Möglichkeit die Grauspitzen auf dem Grat vom Naafkopf zu erreichen. Der Weg auf den Naafkopf ist leicht und bereitet keine Schwierigkeiten, aber wie verhext, die letzten 50 Höhenmeter durchschreiten wir in den Wolken und erreichen den Gipfel. Nach kurzer Zeit klaren die Wolken etwas auf, man erkennt den Abstiegsgrat und ich klettere etwas leicht hinunter. Der weitere Grat ist für uns aber noch immer nicht einsehbar. Wir können nur erahnen, wo sich die Gipfel befinden. Und wenn wir uns jetzt auf den Weg machen würden, wäre das gesamte Unterfangen zu riskant. Wir beschließen die Grauspitzen fürs Erste unberührt zu lassen und begeben uns wieder auf den direkten Abstieg zum Nenzinger Himmel. Wie eine Verhöhnung kommt es mir vor, als wir im Gamperdonatal unten angekommen, das erste Mal gar keine Wolken oben rund um den Naafkopf und Pfälzerhütte entdecken. Blauer Himmel, Sonnenschein, kein Wölkchen und leider keine Zeit mehr um nochmal umzudrehen. Jetzt nochmal raufsteigen kommt für den heutigen Tag nicht mehr in Frage und wir machen uns am gleichen Tag noch auf den Heimweg, Arbeit ruft am nächsten Tag. Die Bahn bringt uns wieder zu unseren Heimatbahnhöfen mit der Erkenntnis, dass nicht alles klappt wie man es sich vornimmt, und wenn es nicht klappt, dann sollte man geduldig sein. Wer sich in Geduld übt, für den lösen sich die Wolken irgendwann einmal auf und man erkennt den weiteren Weg. Ich war vielleicht zu ungeduldig, bin aber froh, dass ich nochmals anreisen "muss". Erstens weil die Vordere Grauspitze unberührt geblieben ist, zweitens weil ich mit dem Gorvion einen weiteren Berg gesehen habe, den ich unbedingt besteigen möchte und drittens weil die Idylle im Nenzinger Himmel, fernab von jeglichem Massentourismus, schlicht und einfach wunderschön ist.
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