Toggenburger Höhenweg als Tageswanderung
Der Toggenburger Höhenweg ist ein 85km langer Wanderweg der von Wil SG nach Wildhaus SG führt. Über weite Stecken zeichnet sich dieser durch einfaches Gelände und sanfte Steigungen aus. Einzig im Gebiet zwischen Ricken und Leistchamm streift man einige Male die T3 Marke und es gilt einige ruppige, wenn jeweils auch nur kurze, Steigungen zu bezwingen. Je nach Quelle werden vier bis sechs Tages-Etappen für die Bewältigung der gesamten Strecke empfohlen.
Es muss zwei oder drei Jahre zurückliegen, als ich beim Studium einer Broschüre über den THW auf die Idee kam, dass dieser sich ja so rein theoretisch auch an einem Stück machen liesse. Und wie es mit Ideen so ist, einige vergisst man wieder, andere lassen einem keine Ruhe. So kam es, dass ich mich tatsächlich vor kurzem an einem Freitag Abend um 21.00 von Wil SG aus auf den Weg machte...
Doch ganz so ohne Vorbereitung ging es nicht. So habe ich mir vor der Tour den einen oder anderen Gedanken gemacht, um für alle "Eventualitäten" gewappnet zu sein.
Strecke:
Für mich stand aus folgenden Gründen von Anfang an fest, dass ich den THW von Wil her in Richtung Wildhaus machen werde:
- Vorausgesetzt man wählt die Abmarschzeit wie ich am späteren Abend, sind während der Dunkelheit keine wirklich anspruchsvollen Wegabschnitte (Gegend um Leistchamm & Speer ; s. Fotos) zu begehen.
- Wenn schon den gesamten THW an einem Tag, dann auch in der Richtung mit den grösseren Anzahl an Höhenmetern...
- last but not least habe ich in Wildhaus eine Schlafgelegenheit, d.h. weder ÖV oder sogar Autofahrt nach Beendigung der Tour.
Zeit / Datum:
- Möchte man möglichst wenig in der Dunkelheit laufen, sollte der Termin nahe bei der Sommersonnenwende liegen. Damit lässt sich die im Dunkeln zurückzulegende Strecke bis hinunter auf etwas mehr als 6h reduzieren (gutes Wetter vorausgesetzt). Zusätzlich kann auch noch der Mondstand in die Planung miteinbezogen werden, allerdings wird das Zeitfenster dadurch noch kleiner.
- Als Start-Uhrzeit habe ich den späten Abend (21.00) gewählt. Damit kann das v.a. auch psychisch anspruchsvolle "dunkle" Teilstück zu Beginn absolviert werden
- Um während der Tour einigermassen abschätzen zu können wie es zeitlich läuft, habe ich mir eine grobe Marschtabelle erstellt (6 LKM/h inkl. Pausen = 20h).
Verpflegung:
Verpflegen wollte ich mich, abgesehen von Wasser, ausschliesslich aus dem Rucksack. Neben zahlreichen Riegeln nahm ich Brot und Käse für die grösseren Pausen mit.
Die Möglichkeit ausreichend Flüssigkeit zu bunkern, ist vor allem im Abschnitt vom Ricken bis nach Wildhaus wichtig, da es in diesem Bereich keine (abgesehen von Alpwirtschaften) Möglichkeit gibt Flüssigkeit nachzutanken. Ich entschied mich für einen 3l fassenden "camelbak", sowie 2 x 0.5 Liter Cola für "Notfälle". Zwischen Wil und Ricken gibt es mehrere Möglichkeiten nachzutanken. Als letzten Tankstopp wollte ich den Brunnen bei der Kirche in Ricken Dorf (200m abseits des THW) nutzen.
Alternativ können entlang der Strecke natürlich auch "Trinkwasserdepots" angelegt werden.
Kleidung:
Grundsätzlich dem Wetter angepasst. Unbedingt beachten, dass die frühen Morgenstunden in den Bergen auch im Sommer recht kühl sein können. Zusammen mit Wind und Müdigkeit kann das eine unangenehme Mischung ergeben. Wichtig ausserdem, die Wahl der Socken und die Kombinationen Unterhose/Hose. Brennen nach 30km bereits die Fusssohlen oder zeichnet sich ein "Wolf" ab, hat man bereits verloren.
Bei den Schuhen ging ich auf Nummer sicher und habe mich für einen relativ schweren, aber in hunderten von Wanderstunden eingelaufenen und perfekt sitzenden Wanderschuh entschieden.
Sonstige Ausrüstung:
- Kartenmaterial 1:25'000 der Route
- Stirnlampe (2x) mit Ersatzbatterien
- Sonnencreme, Sonnenbrille & Hut
- Wanderstöcke
Beim Erstellen der Marschtabelle habe ich die Strecke in elf Streckenabschnitte unterteilt, an welchen sich auch die nachfolgende Beschreibung der Tour orientiert:
Bahnhof Wil SG - Dietschwil (Start 21:00)
(LKM 9.12 ; SOLL: 1h31min ; IST 1h17min ; Δ Marschtabelle: -14min)
Ideales Gelände zum Einlaufen und sich im Kopf nochmals auf die lange Tour einzustimmen.
Ich empfinde es ausserdem als sehr angenehm, mich mit der aufkommenden Dämmerung an die Dunkelheit zu gewöhnen. Im Waldstück vor dem Giessenfall ist es dann definitiv an der Zeit die Stirnlampe aufzusetzen. Auf dem kurzen Stück bis nach Dietschwil kann ich beinahe 15min auf die Marschtabelle "herausholen", was mich für den weiteren Verlauf optimistisch stimmt.
Dietschwil - St. Iddaburg
(LKM 12.74 ; SOLL: 2h7min ; IST: 2h11min ; Δ Marschtabelle: -10min)
Dieses Teilstück führt über weite Teile durch Wald, was einem in der Dunkelheit besonders bei der Wegfindung fordert. Prompt verpasse ich vor Gähwil eine Abzweigung, was mir eine halbstündige Zusatzschlaufe einbringt. Hinauf zur St. Iddaburg wird dann auch die Pumpe zum ersten Mal so richtig in Schwung gebracht.
St. Iddaburg - Hulftegg Passhöhe
(LKM 8.38 ; SOLL: 1h24min ; IST: 1h45min ; Δ Marschtabelle: +11min)
Weiter in stetigem Auf und Ab durch viel Wald und über Felder und Wiesen. Obwohl ich keine Angst vor Hunden habe, ist mir beim Vorbeilaufen an den dunklen Bauernhöfen nicht so ganz wohl. Doch geht es den Hunden offensichtlich wie mir, sobald sie der Schein meiner Stirnlampe trifft, belassen sie es beim lautstarken Kläffen. Bei Mühlrüti treffe ich auf eine Gruppe „Überhöckler“ in einer Gartenbeiz, welche mich unbedingt zu einem Bier einladen wollen. Einen Augenblick zögere ich, mache dann aber doch das einzig Richtige lehne dankend ab. Aber wie versprochen, beim nächsten Mal kehre ich ein. Nach einem Viertel der Strecke fühle ich mich körperlich noch fit, aber langsam spüre ich die Müdigkeit.
Hulftegg Passhöhe - Schnebelhorn
(LKM 10.07 ; SOLL: 1h41min ; IST: 2h01min ; Δ Marschtabelle: +31min)
Nach der Hulftegg Passhöhe folgt der THW erst einige Kilometer einem Forstweg, dann aber wird der Wanderweg zum Kuhweg, oder umgekehrt. Technisch unschwierig, aber zusammen mit der Dunkelheit und der Müdigkeit komme ich langsamer vorwärts als geplant. Ausserdem muss ich immer wieder ganzen Kuhherden ausweichen, welche den Weg als Schlafplatz brauchen und sich von meinem Erscheinen wenig begeistert zeigen.
Schnebelhorn - Ricken Passhöhe
(LKM 14.04 ; SOLL: 2h20min ; IST: 3h48min ; Δ Marschtabelle: +1h59min)
Die Müdigkeit hat mich jetzt, nach 24h ohne Schlaf, fest im Griff. Ich realisiere, dass es wohl nicht die beste Entscheidung war, heute extra früh im Büro gewesen zu sein…
Ich setze mich einige Male kurz hin, was aber nicht wirklich hilft. Kurz vor der Chrüzegg entscheide ich mich für einen „power nap“ auf einer Sitzbank. Zum Glück ist es relativ frisch, sonst wäre daraus bestimmt ein längeres Schläfchen geworden. So aber geht es nach etwa 3/4h weiter. Zwar in den ersten Minuten etwas unterkühlt, dafür ohne die lästige Müdigkeit.
Ricken Passhöhe - Tanzboden Gasthaus
(LKM 16.83 ; SOLL: 2h49min ; IST: 3h3min ; Δ Marschtabelle: +2h13min)
Bei der Ricken Passhöhe, mache ich ausgiebig Pause und verpflege mich mit Brot und Käse. Eine willkommene Abwechslung zu den Riegeln. Der Anstieg auf den Regelstein läuft mir wieder richtig gut.
Oben angekommen realisiere ich, dass die Hälfte der Strecke und auch der Höhenmeter absoviert sind. Körperlich fühle ich mich nach wie vor gut, einzig das rechte Knie zwickt beim Herunterlaufen ein wenig. Was mir hingegen mehr zu denken gibt, ist der doch schon beträchtliche Rückstand auf die Marschtabelle. Ändern lässt sich das nur mit zügig weiterlaufen, also weiter...
Tanzboden Gasthaus - Oberkäseren P. 1651
(LKM 12.75 ; SOLL: 2h7min ; IST: 2h35min ; Δ Marschtabelle: +2h41min)
Irgendwann kommt der Hammer, das wusste ich von Anfang an. Mich trifft er jedoch wie aus heiterem Himmel im Aufstieg zum Leiterli. Früher als erwartet, habe ich doch noch über 40Lkm vor mir. Jetzt muss die alte Weisheit zum Zuge kommen, dass "wenn die Beine nicht mehr weiterkönnen, es mit dem Kopf noch einmal so weit geht"...
Bei der Traverse zwischen Leiterli und P.1771 bin ich froh, diesen Wegabschnitt bei Tageslicht begehen zu können. Der strenge letzte Winter hat Teile des Weges abrutschen lassen und ein Ausgleiten in der teilweise recht steilen Flanke könnte unschön enden.
Oberkäseren P. 1651 - Vorder Höhi P. 1537
(LKM 10.74 ; SOLL: 1h48min ; IST: 2h25min ; Δ Marschtabelle: +3h18min)
Nachdem ich mich in der Alpwirtschaft Oberkäseren mit einem Most gestärkt habe, freue ich mich auf die "Flachetappe" bis zur Vorder Höhi. Der Weg führt nach einem kurzen Abstieg unter dem Mattstock vorbei zur Hinter Höhi und von dort in einem weiten Bogen via P. 1406 um den Gulmen herum zur Vorder Höhi. Dort gönne ich mir wieder eine der jetzt immer zahlreicher und länger werdenden Pausen, bevor ich mich an das nächste Teilstück mache.
Vorder Höhi P. 1537 - Strichboden Gasthaus
(LKM 12.08 ; SOLL: 2h00min ; IST: 2h30min ; Δ Marschtabelle: +3h48min)
Einmal mehr muss ich im Aufstieg Richtung Leistchamm so richtig "beissen" und bin froh, als es ab P.1767 etwas gemächlicher hinaufgeht. Ich merke, dass ich mich bei der an und für sich absolut unschwierigen Traverse (max. T3) in Richtung Tritt extrem konzentrieren muss und bin froh befinde ich mich bald wieder auf "ungefährlichem" Gelände. Von P. 1830 führt der Weg erst durch ein kleineres Karstgebiet und dann von Hüeberlis über Alpstrassen weiter zum Strichboden.
Strichboden Gasthaus - Illtios P. 1342
(LKM 7.84 ; SOLL: 1h19min ; IST: 1h56min ; Δ Marschtabelle: +4h25min)
Normalerweise liebe ich das leichte Auf und Ab wie auch die Landschaft zwischen Strichboden und Illtios, doch momentan kann ich all dem nichts mehr abgewinnen. Immer wieder zähle ich die noch zu gehenden km und auch die Zeit die ich dafür benötige zusammen. Ausserdem kann ich kaum mehr an einer Sitzgelegenheit vorbei gehen, ohne diese nicht mindestens kurz ausprobiert zu haben.
Illtios P. 1342 - Wildhaus P. 1090
(LKM 7.25 ; SOLL: 1h13min ; IST: 1h40min ; Δ Marschtabelle: +4h52min)
Zum Glück fährt die Standseilbahn längst nicht mehr, so dass ich auch bei Illtios nicht mehr auf dumme Gedanken kommen kann. Stattdessen geht es in einiger Höhe um die Schwendiseen und dann via Bergstation Oberdorf hinunter Wildhaus. Selbst das letzte kurze Stück hinauf zur Post, kommt mir jetzt vor wie eine Säntis Besteigung. Doch dann ist es tatsächlich geschafft - Nach über 25h, und damit deutlich mehr als berechnet, bin ich zurück in Wildhaus und freue mich, dass ich es, trotz all der Zweifel in den letzten Stunden geschafft habe.
...nach weiteren 2km Fussmarsch bin ich dann auch "Zuhause" angekommen und schaffe es gerade noch Schuhe und Hose auszuziehen, bevor ich (ungeduscht und bei brennendem Licht) einschlafe...
Noch ein paar Zahlen:
Toggenburger Höhenweg
85.1km - 3677Hm - 121.8Lkm - Laufzeit 25h11min (inkl. Pausen)
Mit unfreiwilligen Umwegen und Fussweg zum Start und vom Ende nach Hause sogar:
90.1km - 3821Hm - 128.3Lkm
Flüssigkeits- Verbrauch: 10.5Liter oder 12.35l/100km :-)
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