Dent Herens


Publiziert von WoPo1961 , 2. November 2011 um 08:06.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:25 Juli 1996
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 2 Tage 11:00
Aufstieg: 2221 m
Abstieg: 2221 m
Unterkunftmöglichkeiten:Rifugio Prarayer Aostahütte
Kartennummer:1347 (Matterhorn)

Erst hatten wir kein Glück... und dann kam auch noch Pech dazu... so ungefähr würde ich diese schon etwas angestaubte Geschichte betiteln. 
Es war im Sommer 1996 (leider weiß ich das ganz genaue Datum nicht mehr, spielt aber auch keine bedeutende Rolle!), als sich die Flachlandhelden Reinhard, Frank und die Schreibkraft dieser Geschichte mal wieder aufmachten, um Alpingeschichte zu schreiben...
ist aber nur was für`s persönliche Bergtagebuch bei rausgekommen, zu mehr hat es (wie immer) nicht gereicht (und Hikr hat es damals noch nicht gegeben).
Der Bergurlaub liess sich gut an. Wir kamen, sahen und siegten.... also präziser ausgedrückt, wir kamen ins Aostatal, sahen einen guten Wetterbericht, aber leider nur für den folgenden Tag, stiegen auf den Gran Paradiso und besiegten den Kater nach der traditionellen Gipfelfeier... denn Kopfschmerzen hatten wir beim Aufstieg schon genug bekommen. Dies ist aber nichts Außergewöhnliches, bedenkt man, das wir innerhalb von 2,5 Tage von 64m!!! Meereshöhe (das ist verdammt flachländerisch!!) auf über 4000m (mußte gerade erstmal nachschauen: 4061m hoch ist der Gran Paradiso bei wikipedia) stiefelten. Was tut mensch nicht alles, um wieder mal ein Häkchen hinter einem Bergnamen zu kritzeln.

Nun sollte ein weiteres Häkchen hinter die Dent Herens gemacht werden. Dachten wir - und besonders der Autor dieser Zeilen, hochmotiviert bis in die Haarspitzen, heiß wie Kartoffelpufferfett und aufgeregt wie ein werdener Vater im Kreissaal, war zu allem bereit. Gedämpft wurde diese Eupfhorie schon beim Hüttenaufstieg, denn am Ende des Lac des Places de  Moulin war Feierabend mit Hüttenaufstieg. Ein zackiges Nachmittagsgewitter hatte es an jenem Tag etwas eiliger gehabt und trieb uns schon mittags erstmal ins Rifugio Prarayer.
DAS hatte der Autor eigentlich nicht gemeint mit "zu allem bereit"
Ok, für euch liebe Hikr-Leser bin ich mal ehrlich und gebe es zu, es gibt Schlimmeres, als nachmittags in einem gemütlichen Restaurant zu sitzen und das Wasser, welches draussen vom Himmel fällt, in etwas köstlicherer Form und in warmer, behaglicher Atmosphäre zu sich zu nehmen.
Und die Polenta, die ich zum Abendessen aß, war die mit Abstand beste Polenta, die ich jemals gegessen hab.
Aber eigentlich waren wir ja nicht zum Polentaessen hier hin gekommen.. (wobei die Polenta  fast schon alpinistische  Züge annahm, sooo hoch war der Berg auf meinem Teller!
WAS mußte ich kämpfen bis die Schüssel endlich geleert war :-)) Denn nur wer alles aufisst, dem scheint am näxten Tag auch die Sonne.)
Spätestens am folgenden Tag wußte ich aber, das an dieser These irgendetwas nicht ganz korrekt war, denn 1. schien keine Sonne (jedenfalls am Aufstiegsweg zurm Rifugio Capanna Aosta) und 2. regnete es in der letzten Stunde vor Hüttenankunft in Strömen.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, mit welcher Stimmung wir in die Aostahütte hineinmarschierten. Imaginäre dunkle Wolken schwebten über unseren Köpfen, echte dunkle Wolken verhüllten draussen die Dent Herens. Was vielleicht in diesem Moment auch das Beste war, wollten wir die Schneefallhöhe, die in den letzten 24 Stunden gefallen ist NICHT wirklich sehen!!
Und dann wurde - ich bezeichne es mal positiv als lebhaft - diskutiert.
Bleiben wir?
Steigen wir am näxten Tag ab und fahren Richtung südliche Gefilde...oder zumindest in ein Gebiet wo aktuell weniger Niederschlag fällt als bei uns (also in allen anderen Regionen der Alpen!!)?
Oder warten wir einfach in Ruhe ab, denn nach jedem Tief kommt irgendwann auch wieder ein Hoch??? (herrlich, so lernt man nicht nur für`s Gebirge, sondern auch noch für`s Leben!!!!!!!)

Nach vielen Worten und mindestens genauso viel Flüssigem (reden macht immer so`n trockenen Mund, oder? So war es jedenfalls auch beim letzten Hikr-Treff 2010 :-)) hatten wir dreistimmig eine Meinung herausdiskutiert: wir bleiben!!
Ob es tatsächlich die richtige Entscheidung war, ich weiß es auch 15 Jahre später noch nicht.
Für den folgenden Tag hatten wir auf Grund unsicherer Wetterprognose von der Besteigung auf die Dent Herens erstmal Abstand genommen. Ausschlafen (unglaublich, wie sich die Definition "Ausschlafen" während eines Bergurlaubes verschiebt. Zuhause würde ich sagen.. naja, so 9 Uhr dürfte es ruhig werden, eine Nacht in einer x-beliebigen Hütte und ich wälze mich ab 06.30 unruhig auf der Matratze hin und her) war erstmal angesagt. Nach einem ruhigen und ausgedehnten Frühstück folgten kleine Fleißarbeiten, in denen die Tete de Valpeliene (3799m) bestiegen wurde; eine Art Hausberg der Aostahütte. Für uns Flachnasen endlich die adäquate Art eine zumindest zarte Akklimatisation herzustellen. (ein relativ leichter Aufstieg über den Col de la Division, 3314m und Col de Valpelline, 3357m insgesamt mit "L" eingestuft, ca 3,5 Std Aufstieg)
Natürlich hatten wir am Gipfel das Glück, das die Sicht bei ungefähr 5 Meter lag. Aber das konnte unsere Stimmung nicht schmälern, sie war ohnehin nicht gerade auf dem Höhepunkt.

So, und nun komm ich auch endlich zur eigentlichen Geschichte.: die grandiose Nichtbesteigung der Dent Herens!

Tag 1:
Drei tapfere Männer sitzen beim dampfenden Kaffee in der Aostahütte. Es ist früh, es ist kalt, draussen funkeln die Sterne, das Wetter wird gut
3 tapfere Männer werden ihren Weg gehen. Es wird ein anstrengender Weg werden. Knapp 1400 Höhenmeter hinauf, 1400 harte Höhenmeter in einer ungemütlichen Welt
3 tapfere Männer fühlen, das wird ihr Tag.
3 tapfere Männer begeben sich nach draussen, in die manchmal grausame Welt des Gebirges, hart gegen sich selbst und hart gegen alles was sich ihnen in den Weg stellt
Leider haben genau diese 3 tapferen Männer nicht die genaue Tourenbeschreibung gelesen und verpassen den Abzweig, der hinauf zum oberen Westgrat führt.
3 tapfere Männer latschen den kompletten Glacier des Grandes Murailles hinauf bis zum Col des Grandes Murailles, 3827m.
Dort angekommen stellen 3 genervte Männer fest, das dieser Weg nicht ihr Weg ist. Dumm gelaufen!!
Ein Versuch über den Ostgrat zum Gipfel zu gelangen, scheitert relativ zeitnah und relativ aussichtslos auf Grund der nicht geringen Schneemenge, welche in den letzten 48 Stunden gefallen war.
3 ziemlich dumm aus der Wäsche schauende Manner latschen unlustig den gesamten Gletscher wieder zur Aostahütte hinunter und kommen sich wie George Foreman nach seinem Boxkampf gegen Muhammed Ali vor...... ziemlich ko und ausgeknockt!
Als auch noch der Hüttenwirt mit freudiger Erwartung einer positiven Antwort fragte, wie es denn auf dem Gipfel der Dent Herens so war, wollte ich mich nur noch in die tiefste Gletscherspalte verkriechen und erst wieder zum Ende der Saison herauskrabbeln. Bei näherer Betrachtung war dies aber dann doch keine allzu gute Lösung des Problems.
Der Stachel des Scheiterns saß tief und so schmiedeten 3 angestachelte Männer an diesem Abend einen neuen Plan!

Tag 2:
Wer nun gedacht hatte, diese harten Burschen geben auf, der kann kein echter Hikr-Leser sein
Nein, diese 3 Herrschaften hatten nun den grandiosen Plan, die Dent Herens über den Westgrat vom Tiefenmattenjoch aus zu besteigen. Warum einen 2. Versuch starten in einem Gelände welches man schon einigermaßen kennt? Warum einfach, wenn man es sich auch schwerer machen kann. Und natürlich obendrauf auch noch 1 zusätzliche Stunde länger. Welcher Teufel uns damals geritten hatte, einen anderen Aufstiegsweg anzugehen? Keine Ahnung! Aber schlau ist definitiv etwas anderes.
Bis zum Fuss des Tiefenmattenjochs kannten wir den Weg bereits vom Vortag. Ab hier wurde es dann, naja, sagen wir mal: "spaßig". Ich kann mich noch an ein Fixseil erinnern, welches wir im oberen Teil benutzten und noch viel mehr an die ganzen Steinchen und Steine, die dabei hinab purzelten..... purzeln hört sich ja eigentlich ganz nett an. War es aber nicht, denn die beiden darunter befindlichen Flachlandnasen hatten ihre Müh und Not diesen "purzelnden Steinen" auszuweichen.
Als wir endlich mehr schlecht als recht im Tiefenmattenjoch standen, lagen Nerven blank und Schweißströme liefen unsere Körper hinab. Dachten wir für einen kurzen Moment, das nun vielleicht die Hauptschwierigkeiten geschafft wären, wurden wir aber recht schnell eines Besseren belehrt. Nee, nix mit Hauptschwierigkeiten geschafft, denn jetzt wurde es aber mal so richtig unangenehm.
Mag es ein Genuss sein, an trockenen und leichten Felsen möglicherweise sogar im Sonnenschein empor zu klettern, ist es alles andere als ein Genuss auf schneebedeckten Felsen bei ar...kalten Temperaturen mit dezenten Winden herum zu kraxeln. Unglaublich WIE viel Zeit wir brauchten; Seillänge für Seillänge mußte gesichert werden und das Gefühl richtig vorwärts zu kommen, kam nicht wirklich auf. Das Flachlandkommando schneckte nur so den Westgrat empor. Stunden später!!!, wir hatten immer noch nicht den Beginn des Schneegrates erreicht, machte Reinhard dann eine kleine Zeitrechnung auf.
Zeitrechnungen im Allgemeinen sind ja vielleicht ganz ok, diese Zeitrechnung war aber gar nicht ok... für mich, für uns, für alle Flachlandexperten am Westgrat der Dent Herens.
Ihr ahnt es sicherlich schon, ein Weitergehen machte keinen Sinn mehr. Nie und nimmer wären wir rechtzeitig zum Rifugio Aosta zurückgekehrt.... und die Premiere eines ungeplanten Biwaks siehe  hier und hier wollten wir uns bekanntlich für das Jahr 1998 aufheben, was wir natürlich in jenem Moment aber noch nicht wußten.
Erwähnte ich an irgendeiner Stelle schon mal, das ich Abstiege nach abgebrochenen Touren hasse? Und an einem Berg 2 mal Scheitern und auch noch innerhalb von knapp 24 Stunden, DAS machte mich aber mal so richtig fertig. Übelst gelaunt stolperte ich in den folgenden Stunden wieder zurück zur Hütte. Als wir den Gletscher schon wieder längst verlassen hatten, brachte mich dann unfreiwillig mein Freund Reinhard wieder zum Lachen. Die Schuhsohle seines rechten Bergschuhs hatte sich so ziemlich vom Schuh gelöst. In der Not wurde er aber erfinderisch und befestigte ein Steigeisen an den Schuh. DAS sah echt bescheuert aus, wie er die letzte halbe Stunde humpeld Richtung Hütte laufen mußte, schimpfend darüber, das dieser "Mist" gerade ihm passierte. Tränen mußte ich lachen, was seine Stimmung aber nicht gerade steigen ließ.
Der Rest dieser grandiosen Geschichte ist jetzt schnell erzählt: in freudiger Erwartung das wir nun endlich den Gipfel der Dent Herens erreicht hatten, kam der Hüttenwirt herausgelaufen und fragte, wie die Sicht denn dort oben so gewesen wäre......
Bis zum Ende der Saison versteckte ich mich dann in einer Gletscherspalte:-))

Kleiner Nachsatz:
Nur ein Jahr später war ich mit Reinhard nochmals dort und es gelang uns, die Dent Herens über den Normalweg (also über die SW-Seite und den oberen Westgrat) zu besteigen. Als Abstieg wählten wir dann den Westgrat bis zum Tiefenmattenjoch.... bei trockenem Fels im Sonnenschein! Herrlich war es!!


 




Tourengänger: WoPo1961


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Kommentare (9)


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marc1317 hat gesagt: Genial!
Gesendet am 2. November 2011 um 09:25
Ist das zufällig dieser Grad oder lieg ich da jetzt falsch???

--> http://www.youtube.com/user/fakiro777#p/u/13/ojHrin2-h4k


WoPo1961 hat gesagt: RE:Genial!
Gesendet am 2. November 2011 um 09:49
Hoi Marc,
meintest du den Westgrat? Diesen geht man vom Tiefenmattenjoch.Dazu hab ich folgenden youtube-Tip:
http://www.youtube.com/watch?v=gHrin2-h4K&NR=1
Durch die Helmkamera sieht es etwas zu dramatisch aus. nichtsdesttrotz gibt es schon ein paar etwas ausgesetztere Stellen... und mit Firnauflage echt unangenehm.
Grüße in die Schloßstadt (dieser Name gefällt mir:-)
WoPo

marc1317 hat gesagt: RE:Genial!
Gesendet am 2. November 2011 um 09:55
Also dieser Tiefmattengrat ( im Video Cresta Tiefmatten ) ist ein anderer?

WoPo1961 hat gesagt: RE:Genial!
Gesendet am 2. November 2011 um 10:41
Den Westgrat haben wir am 2. Tag, ähm, versucht. Vom Tiefenmattenjoch aus. Das youTube-Video Dent Herens cresta Tiefenmatten (06:52 min) ist DER Grat vom 2. Tag. Am ersten Tag habe ich leider keine Fotos vom oberen Ostgrat gemacht.
Hoffe, ich konnte deine Frage nun beantworten.
WoPo

countryboy hat gesagt: Gipfel-Misserfolge
Gesendet am 2. November 2011 um 10:21
... wünsche ich keinem Alpinisten. ABER wenn dabei Futter für so einen Mundwinkelgymnastik-WoPo-Bericht entsteht, mach ich eine Ausnahme. ;-)
Fotos extra aus einem altehrwürdigen Album herausgerissen und eingescannt? ;-)
Gruss, countryboy

WoPo1961 hat gesagt: RE:Gipfel-Misserfolge
Gesendet am 2. November 2011 um 10:37
Moin countryboy,
freut mich sehr, wenn dir mein Bericht gefallen hat. Bin manchmal etwas unsicher, ob solch ein Bericht auch ok ist. alldieweil ich ja keine expliziete Tourenbeschreibung verfasse, sondern lediglich ein Erlebnisbericht.
Die Fotos sind gescannt, aber vom Dia. krieg es leider nicht sauberer bzw klarer hin, naja, dafür haben sie dann einen gewissen "Charme", ums mal positiv auszudrücken :-))
Wünsch noch einen charmanten tag
WoPo

Willem hat gesagt: Mundwinkelgymnastik:-)
Gesendet am 2. November 2011 um 16:37
Dem schliesse ich mich völlig an. Du hast wieder einen schönen Bericht geschrieben, WoPo!

>Nur ein Jahr später war ich mit Reinhard nochmals dort und es gelang uns, die Dent Herens über den Normalweg (also über die SW-Seite und den oberen Westgrat) zu besteigen. Als Abstieg wählten wir dann den Westgrat bis zum Tiefenmattenjoch.... bei trockenem Fels im Sonnenschein! Herrlich war es!!

Aha, wir können also bald wieder einen Bericht von Dir erwarten, oder???

LG, Willem

CarpeDiem hat gesagt:
Gesendet am 3. November 2011 um 11:58
WoPo, dieser Bericht ist ganz einfach unbezahlbar! Ich sehe, du hast, wie eugen auch keine Zeit, kurze Berichte zu schreiben. Hoffentlich kommt bald der nächste...

LG, Anne-Catherine

WoPo1961 hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. November 2011 um 13:08
Hallo Anne-Catherine,
um`s mit deinen Worten zu schreiben: solch ein Kommentar ist einfach unbezahlbar!! Freut mich sehr, wenn dir der Bericht gefallen hat.
Und ja, meistens fallen meine Berichte auch etwas länger aus, dafür schreib ich ja auch nicht soo oft!
Und versprochen, der Nächste kommt bestimmt, denn, nach dem Hikr-Bericht, ist vor dem Hikr-Bericht.
wünsch dir ein schönes Wochenende und schicke aus Flachlandhausen einen lieben Gruß
WoPo


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