Auf der Suche nach der Alten Gemmi
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Als Alte Gemmi wird das Joch zwischen Plattenhörnern und Rinderhorn bezeichnet. Es liegt zwei Kilometer östlich und 400 Höhenmeter oberhalb der Gemmi-Passhöhe. Schon der Name weist auf die historische Bedeutung hin - hier soll einst der Gemmi-Übergang verlaufen sein, bevor die heutige spektakuläre Route durch die Daubenwand mithilfe von Mauern, Leitern, Brücken und (später) Sprengungen begehbar gemacht wurde.
Ein Hauch von Mystik umgibt die Alte Gemmi. Hier, so eine der gängigsten Theorien zur Siedlungsgeschichte des Wallis, drangen im Frühmittelalter Alemannen ins mittlere Rhonetal ein und liessen sich nieder, als Urahnen der heutigen deutschsprachigen Walliser. Auch der Einleitungstext des auf der Alten Gemmi deponierten Gipfelbuchs regt den Wanderer zum Gedenken an die einstige Rolle dieser unscheinbaren Lücke als Verbindung zwischen Bern und dem Wallis an.
Freilich können diese Deutungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die Geschichte der Alten Gemmi in Wahrheit so gut wie nichts bekannt ist. Eine vage Bemerkung in einer Schrift aus dem 16. Jahrhundert ist erhalten (Collinus, De Sedunorum Thermis, s. Aerni (2003)). Ansonsten besteht unser heutiges Wissen ausschliesslich aus mehr oder weniger plausiblen Schlussfolgerungen, basierend auf der Annahme, dass es wohl schon früher eine Gemmi gegeben haben muss, und dass die Alte Gemmi die einzige in Frage kommende Route sei. Insbesondere vermag auch niemand definitiv zu sagen, wann sie ausser Gebrauch geriet - Schätzungen reichen vom 15. bis ins 18. Jahrhundert.
Dennoch hat es sie ganz sicher gegeben, die Alte Gemmi, und auch heute noch lassen sich hier im abschüssigen Gelände einige Überreste des ehemaligen Wegs finden, wenn man ein wenig danach sucht. 2002 führten die ETH-Forscher Rudolf Glutz und Adrian Ryf, basierend auf älteren Untersuchungen von Prof Klaus Aerni, eine GPS-Vermessung durch. Der Ergebnisbericht motivierte mich, mir die Sache selbst einmal anzuschauen. Die von Glutz und Ryf identifizierten Orte sollten anhand der von ihnen notierten GPS-Daten auffindbar sein, und - wer weiss - vielleicht finde ich ja auch etwas, das sie übersehen haben.
Um mehr Zeit für die Suche nach Überresten zu haben, begehe ich die Route von Norden nach Süden, also grösstenteils im Abstieg. Von der Bergstation der Gemmibahn führt ein frisch markierter Wanderweg an den Plattenhörnern vorbei durch das Furggentälti hinauf zur Alten Gemmi. Die von
zaza noch dokumentierte Schutzhütte steht übrigens nicht mehr. In einer guten Stunde erreicht man so den Grat, auf dem ein paar Meter höher ein kleines Gipfelkreuz angebracht ist.
Ab hier beginnt nun die fröhliche Suche nach Wegüberresten. Wenn das Gelände nicht so steil wäre, wäre dies ein ideales Spiel für Kinder. Immer zu berücksichtigen ist, dass der Weg nicht nur für Menschen, sondern auch für Vieh und Saumtiere begehbar gewesen sein sollte. Das schränkt die Varianten schon stark ein. In Schutthalden braucht man gar nicht erst zu suchen, da sich Wegspuren dort kaum länger als ein paar Jahre halten. Im Gras hat man bessere Chancen, aber auch nur sofern der Hang nicht irgendwann ins Rutschen gekommen ist.
Der breite oberste Hang liesse sich wohl am einfachsten ganz rechts oder ganz links begehen. Schwer zu sagen wo die Route durchführte, im östlichsten Teil unterhalb des Gipfelkreuzes kann man sich zumindest gut vorstellen, dass es möglich gewesen wäre, den Schutt zu längst verschwundenen Rampen aufzuschütten. Noch weiter östlich erscheint es eher unwahrscheinlich. Am unteren Ende des Hangs steht ein (moderner) grosser Steinmann direkt oberhalb des ersten Felsgürtels.
Den Felsgürtel überwindet man heute durch ein Couloir östlich des Steinmanns. Der Einstieg zum Couloir wirkt fast etwas ausgehauen, könnte aber auch natürlich sein. Das Couloir wäre für Vieh wohl nur mithilfe von Stützmauern oder Holzplanken zu überwinden gewesen. Überreste von solchen finden sich keine, dies wäre aber auch nicht anders zu erwarten, da auf dem felsigen Untergrund längerfristig alles wegrutscht. Gegen Ende des Couloirs quert rechts ein auffälliges kleines Grasband in die Grasflanke unterhalb des Felsgürtels.
In der Grasflanke angekommen zeigen sich die ersten definitiven Wegüberreste, eine Reihe von Wegkehren, die im grasigen Untergrund deutlich sichtbar sind. Beim Anblick des Fotos dieser Stelle von Glutz & Ryf war ich noch skeptisch, ob ein paar Wegspuren wirklich unbedingt gleich jahrhundertealt sein müssen. Vor Ort scheint die Sache aber klar - hier waren mit Sicherheit auch Pickel und Spaten am Werk, möglicherweise vor sehr langer Zeit. Da die Wegspur unmittelbar in das Couloir führt, ist auch klar, dass das Couloir damals zum Aufstieg gedient haben muss.
Das Trassee setzt sich fort, bis es ein Stück weiter unten nach links in ein etwas steileres Hangstück einbiegt. Wenige Meter tiefer verliert sich seine Spur. Vermutlich ist der Hang an dieser Stelle irgendwann ein Stück abgerutscht und hat den Weg unkenntlich gemacht. Überall schaue ich, ob der Weg vielleicht nach Osten in den Hang auf der anderen Seite der Fortsetzung des Couloirs ausgewichen sein könnte. Tatsächlich zieht dort eine moderne Spur (vermutlich Gemswechsel) weit in die Flanke hinaus. Trotz allem scheint diese Möglichkeit unwahrscheinlich, da der Weg zurück weiter unten durchwegs schwierig und im Vergleich zum Abstieg über die doch recht bequeme Grasflanke unattraktiv erscheint.
Noch ein paar Meter weiter unten befindet sich eine grössere, fast ebene Plattform. Glutz & Ryf haben diesen Ort als vermutlichen Rastplatz identifiziert und mögliche Spuren einer ehemaligen Infrastruktur geortet, darunter ehemalige Hüttenstandorte und zwei auffällige Löcher (vielleicht eine Wasserstelle). Diese Einschätzung klingt plausibel. Die GPS-Koordinaten stimmen auf den Meter genau, und so kann ich die Orte genau zuordnen. Auf diesem Plateau befinden sich noch weitere charakterischtische Bodenunebenheiten, aber es ist schwer zu sagen, was künstlich und was natürlich ist.
Noch ein Stück weiter unten haben Glutz & Ryf noch eine rampenförmige Geländeeinheit notiert, über die sicher der Weg verlaufen ist (auch wenn sie sicher grösstenteils natürlich ist), sowie einen möglichen Hüttestandort. Direkt unterhalb liegt eine ca. 2 Meter hohe Gras- und Felstufe. Die untere Hälfte derselben wird durch eine erhaltene Stützmauer überwunden, der einzige noch heute sichtbare Kunstbau. Glutz & Ryf haben in ihrem Report bemerkt, dass diese Mauer an unerwarteter Stelle stünde, wo sie geradezu überflüssig erscheine. Diese Meinung teile ich nicht. Denkt man sich die Mauer und das oberhalb sicher auch teilweise aus dem Schieferfels gehauene Trassee weg, wäre diese Stelle abgesehen vom oberen und vom unteren Couloir vielleicht die schwierigste, und für Vieh sicher nicht zu überwinden.
Wie alt mag dieses Gemäuer inmitten einer längeren T4-Route wohl sein? Mindestens 300 Jahre, möglicherweise stammt es sogar aus dem späteren Mittelalter.
Noch weiter unten nähere ich mich der Schlüsselstelle, einem weiteren Felsgürtel, der durch eines von zwei Couloirs links und rechts eines Felskopfes unterhalb einer leicht abschüssigen felsigen Partie überwunden wird. Für Glutz & Ryf scheint diese Stelle eine gewisse Irritation dargestellt zu haben, denn hier wären sicherlich Kunstbauten notwendig gewesen. Sie suchten bei ihrer Begehung am Seil gesichert sogar die Felswände nach möglichen Überresten ab, fanden aber nichts. Ihre Schlussfolgerung: es müssten sich an dieser Stelle Bauten befunden haben, von denen aber (auch aufgrund der Steilheit des Geländes) heute nichts mehr übrig sei.
Ich versuche, mir Alternativen auszumalen. Auffällig am Report von Glutz & Ryf ist, dass sie sich bei der Wegführung ausschliesslich an der heute üblichen Route orientieren. Aber vielleicht hätte man ja die heutige Schlüsselstelle mithilfe einer etwas längeren und komplizierteren Wegführung auch umgehen können. Kurzerhand beschliesse ich, diese Möglichkeit genauer zu untersuchen.
Oberhalb der Schlüsselstelle bietet sich eine Querung in westlicher Richtung an. Auch wenn das Gelände durchaus Trittsicherheit erfordert, erscheint die Begehbarmachung der von mehreren kleinen Couloirs unterbrochenen Grashänge doch wesentlich einfacher als die der Schlüsselstelle. Ermutigt werde ich durch die Tatsache, dass auf den Grasrippen zwischen den kleinen Couloirs jeweils etwa auf gleicher Höhe ein Einschnitt zu sehen ist, wie er bei einem Weg zu erwarten wäre, der die Rippe passiert. Diese Einschnitte sehen eher künstlich als natürlich aus, im angrenzenden Gras kann man auch stellenweise ein Trassee erahnen. In den Couloirs hingegen ist jegliche Spur gänzlich verwischt.
So erreicht man über die Grashänge oberhalb des Felsgürtels eine etwas flachere Stelle im Blischesgraben, dem grossen wasserführenden Couloir, das die Grasflanke, über die ich abgestiegen bin, im Westen begrenzt. Von hier zieht nun auf der gegenüberliegenden Seite ein meiner Meinung nach eindeutig künstliches Trassee oberhalb der Felsen schräg zur westlich gelegenen Grasflanke hinauf (s. Foto). Ich verzichte auf eine Begehung, da es etwas heikel ist und die Zeit drängt, bin mir aber sicher, dass hier der alte Gemmi-Weg verlief. Auf der anderen Seite des Blischesgrabens verläuft sich nämlich der Felsgürtel, und ein Abstieg über die steilen Grasflanken sollte ohne weiteres möglich sein. Vielleicht fänden sich dort sogar noch weitere, von Glutz & Ryf noch nicht identifizierte Wegüberreste.
Für den weiteren Verlauf des alten Wegs gäbe es mehrere mögliche Varianten. Möglicherweise kehrte er ein Stück unterhalb des Felsgürtels wieder zurück zur heutigen Route. (Moderne Wegspuren folgen ungefähr dieser Traversierung.) Vielleicht führte er aber auch direkt über eine steilere Partie ins Tal, oder sogar dem Hang entlang weiter nach Westen.
Ich hingegen gehe zurück zur Schlüsselstelle. Das Gelände oberhalb erscheint mir nach dem langen Tag schon etwas heikel, und als ich den Felskopf erreiche, bin ich schon fast entschlossen, nach einer Stelle zu suchen, wo ich eine Reepschnur befestigen und ein Seil einhängen kann. Glücklicherweise treffe ich hier aber auf ein paar frische gelbe Markierungen, die den Weg zum östlichen Couloir weisen, wo tatsächlich mit mehreren Bohrhaken ein Abstiegsseil befestigt ist. Hier bin ich den Badnern dankbar, die in diese Installation sicher einiges an Arbeit investiert haben. Dadurch wird die Route deutlich entschärft.
Wenig später erreiche ich auch schon die Clabinualp, von der aus mehrere Wanderwege hinunter nach Leukerbad führen. Empfehlenswert ist vor allem der Thermalquellen-Steg durch die Dalaschlucht.
Fazit: Über die Alte Gemmi führte einst ein Weg, dessen Überreste aber erosionsbedingt nur noch stellenweise erhalten sind. Dieser Weg kam mit sehr wenigen einfachen Kunstbauten aus. Die heutige Schlüsselstelle wurde meiner Meinung nach - mit geringem Höhenverlust - westlich umgangen. Für den interessierten Gebirgsarchäologen könnte es im unteren Teil auf der westlichen Grasflanke möglicherweise noch das ein oder andere zu entdecken geben. Für Alpinwanderer - mit oder ohne verkehrshistorischem Interesse - ist die Alte Gemmi in jedem Fall eine lohnende Tour.
Literatur:
Aerni K: Alte Gemmi (VS 32.2) im Bundesinventar der Historischen Verkehrswege der Schweiz (2002)
Glutz R & Ryf A: Der historische Passübergang Alte Gemmi – dokumentiert mit GPS (2002), alternative Quelle hier
Aerni K: Das Sprengpulver öffnete den Weg durch die Gemmiwand (2003)
Aerni K: Die Gemmi – Von der Verbindung zum Weg (1999)
Lausberg W: Die Gemmi (1975)
(Danke an
Sidi für die aktualisierten Links!)
Ein Hauch von Mystik umgibt die Alte Gemmi. Hier, so eine der gängigsten Theorien zur Siedlungsgeschichte des Wallis, drangen im Frühmittelalter Alemannen ins mittlere Rhonetal ein und liessen sich nieder, als Urahnen der heutigen deutschsprachigen Walliser. Auch der Einleitungstext des auf der Alten Gemmi deponierten Gipfelbuchs regt den Wanderer zum Gedenken an die einstige Rolle dieser unscheinbaren Lücke als Verbindung zwischen Bern und dem Wallis an.
Freilich können diese Deutungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die Geschichte der Alten Gemmi in Wahrheit so gut wie nichts bekannt ist. Eine vage Bemerkung in einer Schrift aus dem 16. Jahrhundert ist erhalten (Collinus, De Sedunorum Thermis, s. Aerni (2003)). Ansonsten besteht unser heutiges Wissen ausschliesslich aus mehr oder weniger plausiblen Schlussfolgerungen, basierend auf der Annahme, dass es wohl schon früher eine Gemmi gegeben haben muss, und dass die Alte Gemmi die einzige in Frage kommende Route sei. Insbesondere vermag auch niemand definitiv zu sagen, wann sie ausser Gebrauch geriet - Schätzungen reichen vom 15. bis ins 18. Jahrhundert.
Dennoch hat es sie ganz sicher gegeben, die Alte Gemmi, und auch heute noch lassen sich hier im abschüssigen Gelände einige Überreste des ehemaligen Wegs finden, wenn man ein wenig danach sucht. 2002 führten die ETH-Forscher Rudolf Glutz und Adrian Ryf, basierend auf älteren Untersuchungen von Prof Klaus Aerni, eine GPS-Vermessung durch. Der Ergebnisbericht motivierte mich, mir die Sache selbst einmal anzuschauen. Die von Glutz und Ryf identifizierten Orte sollten anhand der von ihnen notierten GPS-Daten auffindbar sein, und - wer weiss - vielleicht finde ich ja auch etwas, das sie übersehen haben.
Um mehr Zeit für die Suche nach Überresten zu haben, begehe ich die Route von Norden nach Süden, also grösstenteils im Abstieg. Von der Bergstation der Gemmibahn führt ein frisch markierter Wanderweg an den Plattenhörnern vorbei durch das Furggentälti hinauf zur Alten Gemmi. Die von

Ab hier beginnt nun die fröhliche Suche nach Wegüberresten. Wenn das Gelände nicht so steil wäre, wäre dies ein ideales Spiel für Kinder. Immer zu berücksichtigen ist, dass der Weg nicht nur für Menschen, sondern auch für Vieh und Saumtiere begehbar gewesen sein sollte. Das schränkt die Varianten schon stark ein. In Schutthalden braucht man gar nicht erst zu suchen, da sich Wegspuren dort kaum länger als ein paar Jahre halten. Im Gras hat man bessere Chancen, aber auch nur sofern der Hang nicht irgendwann ins Rutschen gekommen ist.
Der breite oberste Hang liesse sich wohl am einfachsten ganz rechts oder ganz links begehen. Schwer zu sagen wo die Route durchführte, im östlichsten Teil unterhalb des Gipfelkreuzes kann man sich zumindest gut vorstellen, dass es möglich gewesen wäre, den Schutt zu längst verschwundenen Rampen aufzuschütten. Noch weiter östlich erscheint es eher unwahrscheinlich. Am unteren Ende des Hangs steht ein (moderner) grosser Steinmann direkt oberhalb des ersten Felsgürtels.
Den Felsgürtel überwindet man heute durch ein Couloir östlich des Steinmanns. Der Einstieg zum Couloir wirkt fast etwas ausgehauen, könnte aber auch natürlich sein. Das Couloir wäre für Vieh wohl nur mithilfe von Stützmauern oder Holzplanken zu überwinden gewesen. Überreste von solchen finden sich keine, dies wäre aber auch nicht anders zu erwarten, da auf dem felsigen Untergrund längerfristig alles wegrutscht. Gegen Ende des Couloirs quert rechts ein auffälliges kleines Grasband in die Grasflanke unterhalb des Felsgürtels.
In der Grasflanke angekommen zeigen sich die ersten definitiven Wegüberreste, eine Reihe von Wegkehren, die im grasigen Untergrund deutlich sichtbar sind. Beim Anblick des Fotos dieser Stelle von Glutz & Ryf war ich noch skeptisch, ob ein paar Wegspuren wirklich unbedingt gleich jahrhundertealt sein müssen. Vor Ort scheint die Sache aber klar - hier waren mit Sicherheit auch Pickel und Spaten am Werk, möglicherweise vor sehr langer Zeit. Da die Wegspur unmittelbar in das Couloir führt, ist auch klar, dass das Couloir damals zum Aufstieg gedient haben muss.
Das Trassee setzt sich fort, bis es ein Stück weiter unten nach links in ein etwas steileres Hangstück einbiegt. Wenige Meter tiefer verliert sich seine Spur. Vermutlich ist der Hang an dieser Stelle irgendwann ein Stück abgerutscht und hat den Weg unkenntlich gemacht. Überall schaue ich, ob der Weg vielleicht nach Osten in den Hang auf der anderen Seite der Fortsetzung des Couloirs ausgewichen sein könnte. Tatsächlich zieht dort eine moderne Spur (vermutlich Gemswechsel) weit in die Flanke hinaus. Trotz allem scheint diese Möglichkeit unwahrscheinlich, da der Weg zurück weiter unten durchwegs schwierig und im Vergleich zum Abstieg über die doch recht bequeme Grasflanke unattraktiv erscheint.
Noch ein paar Meter weiter unten befindet sich eine grössere, fast ebene Plattform. Glutz & Ryf haben diesen Ort als vermutlichen Rastplatz identifiziert und mögliche Spuren einer ehemaligen Infrastruktur geortet, darunter ehemalige Hüttenstandorte und zwei auffällige Löcher (vielleicht eine Wasserstelle). Diese Einschätzung klingt plausibel. Die GPS-Koordinaten stimmen auf den Meter genau, und so kann ich die Orte genau zuordnen. Auf diesem Plateau befinden sich noch weitere charakterischtische Bodenunebenheiten, aber es ist schwer zu sagen, was künstlich und was natürlich ist.
Noch ein Stück weiter unten haben Glutz & Ryf noch eine rampenförmige Geländeeinheit notiert, über die sicher der Weg verlaufen ist (auch wenn sie sicher grösstenteils natürlich ist), sowie einen möglichen Hüttestandort. Direkt unterhalb liegt eine ca. 2 Meter hohe Gras- und Felstufe. Die untere Hälfte derselben wird durch eine erhaltene Stützmauer überwunden, der einzige noch heute sichtbare Kunstbau. Glutz & Ryf haben in ihrem Report bemerkt, dass diese Mauer an unerwarteter Stelle stünde, wo sie geradezu überflüssig erscheine. Diese Meinung teile ich nicht. Denkt man sich die Mauer und das oberhalb sicher auch teilweise aus dem Schieferfels gehauene Trassee weg, wäre diese Stelle abgesehen vom oberen und vom unteren Couloir vielleicht die schwierigste, und für Vieh sicher nicht zu überwinden.
Wie alt mag dieses Gemäuer inmitten einer längeren T4-Route wohl sein? Mindestens 300 Jahre, möglicherweise stammt es sogar aus dem späteren Mittelalter.
Noch weiter unten nähere ich mich der Schlüsselstelle, einem weiteren Felsgürtel, der durch eines von zwei Couloirs links und rechts eines Felskopfes unterhalb einer leicht abschüssigen felsigen Partie überwunden wird. Für Glutz & Ryf scheint diese Stelle eine gewisse Irritation dargestellt zu haben, denn hier wären sicherlich Kunstbauten notwendig gewesen. Sie suchten bei ihrer Begehung am Seil gesichert sogar die Felswände nach möglichen Überresten ab, fanden aber nichts. Ihre Schlussfolgerung: es müssten sich an dieser Stelle Bauten befunden haben, von denen aber (auch aufgrund der Steilheit des Geländes) heute nichts mehr übrig sei.
Ich versuche, mir Alternativen auszumalen. Auffällig am Report von Glutz & Ryf ist, dass sie sich bei der Wegführung ausschliesslich an der heute üblichen Route orientieren. Aber vielleicht hätte man ja die heutige Schlüsselstelle mithilfe einer etwas längeren und komplizierteren Wegführung auch umgehen können. Kurzerhand beschliesse ich, diese Möglichkeit genauer zu untersuchen.
Oberhalb der Schlüsselstelle bietet sich eine Querung in westlicher Richtung an. Auch wenn das Gelände durchaus Trittsicherheit erfordert, erscheint die Begehbarmachung der von mehreren kleinen Couloirs unterbrochenen Grashänge doch wesentlich einfacher als die der Schlüsselstelle. Ermutigt werde ich durch die Tatsache, dass auf den Grasrippen zwischen den kleinen Couloirs jeweils etwa auf gleicher Höhe ein Einschnitt zu sehen ist, wie er bei einem Weg zu erwarten wäre, der die Rippe passiert. Diese Einschnitte sehen eher künstlich als natürlich aus, im angrenzenden Gras kann man auch stellenweise ein Trassee erahnen. In den Couloirs hingegen ist jegliche Spur gänzlich verwischt.
So erreicht man über die Grashänge oberhalb des Felsgürtels eine etwas flachere Stelle im Blischesgraben, dem grossen wasserführenden Couloir, das die Grasflanke, über die ich abgestiegen bin, im Westen begrenzt. Von hier zieht nun auf der gegenüberliegenden Seite ein meiner Meinung nach eindeutig künstliches Trassee oberhalb der Felsen schräg zur westlich gelegenen Grasflanke hinauf (s. Foto). Ich verzichte auf eine Begehung, da es etwas heikel ist und die Zeit drängt, bin mir aber sicher, dass hier der alte Gemmi-Weg verlief. Auf der anderen Seite des Blischesgrabens verläuft sich nämlich der Felsgürtel, und ein Abstieg über die steilen Grasflanken sollte ohne weiteres möglich sein. Vielleicht fänden sich dort sogar noch weitere, von Glutz & Ryf noch nicht identifizierte Wegüberreste.
Für den weiteren Verlauf des alten Wegs gäbe es mehrere mögliche Varianten. Möglicherweise kehrte er ein Stück unterhalb des Felsgürtels wieder zurück zur heutigen Route. (Moderne Wegspuren folgen ungefähr dieser Traversierung.) Vielleicht führte er aber auch direkt über eine steilere Partie ins Tal, oder sogar dem Hang entlang weiter nach Westen.
Ich hingegen gehe zurück zur Schlüsselstelle. Das Gelände oberhalb erscheint mir nach dem langen Tag schon etwas heikel, und als ich den Felskopf erreiche, bin ich schon fast entschlossen, nach einer Stelle zu suchen, wo ich eine Reepschnur befestigen und ein Seil einhängen kann. Glücklicherweise treffe ich hier aber auf ein paar frische gelbe Markierungen, die den Weg zum östlichen Couloir weisen, wo tatsächlich mit mehreren Bohrhaken ein Abstiegsseil befestigt ist. Hier bin ich den Badnern dankbar, die in diese Installation sicher einiges an Arbeit investiert haben. Dadurch wird die Route deutlich entschärft.
Wenig später erreiche ich auch schon die Clabinualp, von der aus mehrere Wanderwege hinunter nach Leukerbad führen. Empfehlenswert ist vor allem der Thermalquellen-Steg durch die Dalaschlucht.
Fazit: Über die Alte Gemmi führte einst ein Weg, dessen Überreste aber erosionsbedingt nur noch stellenweise erhalten sind. Dieser Weg kam mit sehr wenigen einfachen Kunstbauten aus. Die heutige Schlüsselstelle wurde meiner Meinung nach - mit geringem Höhenverlust - westlich umgangen. Für den interessierten Gebirgsarchäologen könnte es im unteren Teil auf der westlichen Grasflanke möglicherweise noch das ein oder andere zu entdecken geben. Für Alpinwanderer - mit oder ohne verkehrshistorischem Interesse - ist die Alte Gemmi in jedem Fall eine lohnende Tour.
Literatur:
Aerni K: Alte Gemmi (VS 32.2) im Bundesinventar der Historischen Verkehrswege der Schweiz (2002)
Glutz R & Ryf A: Der historische Passübergang Alte Gemmi – dokumentiert mit GPS (2002), alternative Quelle hier
Aerni K: Das Sprengpulver öffnete den Weg durch die Gemmiwand (2003)
Aerni K: Die Gemmi – Von der Verbindung zum Weg (1999)
Lausberg W: Die Gemmi (1975)
(Danke an

Tourengänger:
marvel

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