Munt Pers 3207m alias Monte Fellini
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Der Munt Pers war als Kind mein erster 3000er, und ein Vierteljahrhundert später hatte ich dank unseres Gipfelflora-Projekts das zweifelhafte Vergnügen, ihn wieder zu „besteigen“ zwecks Wiederholung von historischen Pflanzenaufnahmen (ursprünglich von E. Rübel ca. 1906). Dies bescherte mir eines der surrealsten Erlebnisse, die ich auf meinen bisherigen Bergtouren jemals erlebt habe!
Vom Piz Trovat (s. weiterer Bericht) herunter schadenfreute ich mich noch über die wuselnden Menschenmassen auf der Diavolezza, welche von weit oben wie ein Ameisenhaufen aussahen. Ich ging leichtsinnigerweise davon aus, dass diese sich nicht auf den nächsten Gipfel verirren würden, aber da hatte ich mich leider verschätzt. Wenig später durchquerte ich den Diavolezza-Fleischmarkt und fand mich auf dem Weg zum Munt Pers schon bald am Ende einer etwa 100köpfigen Menschenkarawane wieder, die die letzten hundert Höhenmeter den Berg aufwärts schlich – eine riesige italienische Wandergruppe, wie sich schon bald herausstellte. Auf der „Ueberholspur“ Blockschutthalde traf ich auf einen anderen schockierten Wanderer, einen Bulgaren, der sich angesichts dieses Aufmarsches auf unangenehme Weise an die kommunistische Herrschaft, deren er vor 25 Jahren entflohen war, erinnert fühlte. Zusammen wunderten wir zwei Alleingänger uns, warum man sich so etwas antun und mit schätzungsweise 99 anderen Leuten z’Bärg gehen soll. Nachdem sich mein Leidens“genosse“ vom ersten Schock erholt hatte, meinte er lakonisch „Wie in einem Fellini Film!“. Dem kann ich nur beipflichten… bei allem was noch folgte!!
Nachdem die italienische Menschenmasse den Gipfel erreicht hatte, wurde dem Herrgott erst mal hundertstimmig für das sichere Geleit und den unfallfreien (welch ein Wunder!!) Aufstieg gedankt. Dann wurden Panini ausgepackt, und schon folgten die ersten fröhlichen Ansprachen und die ersten von etwa 27 „Brinidisi!!!“ (Prosits) und spontanen Witzgedichten. Wahrscheinlich ging bei der Gelegenheit jedes Mal eine Flasche Grappa herum, was erklären könnte, weshalb auch bald fröhliche Bergkameraden- und Partisanenlieder gesungen wurden. Wenigstens gaben sie einen guten, vor allem grossen Chor ab, das muss man ihnen lassen…
Nun hatte ich, die ich ja zum Arbeiten gekommen war, natürlich ein Problem. Ich konnte mich schon kaum auf den obersten Gipfel vorkämpfen, um den Höhenmesser zu eichen, geschweige denn, die obersten Meter des Gipfels unter den Hinterteilen von weit über 100 Leuten nach Pflanzen abzusuchen... So machte ich mich erst an die steile Seite, was von zahlreichen missbilligenden Elternblicken quittiert wurde, hatten diese doch schon ohne meinen schlechten Einfluss ihre liebe Mühe, die Bambini im Zaum und vom Abgrund fern zu halten. Aber Rache muss sein. Unterdessen hatte ich mit Schrecken aufgeschnappt, dass die Riesengruppe noch 2 Stunden Zeit hatte, bis sie wieder auf der Diavolezza sein musste. Und prompt wurde das Gesangsbuch gezückt und eine geschlagene Stunde lang weitere Lieder zum besten gegeben – schlimmer hätte man mich nicht foltern können.
Interessanterweise solidarisieren sich in solchen Situationen aber dann spontan die restlichen Leute. Besonders leid konnte einem das milaneser Vater-Sohn Gespann tun, welches über die alpine Route über den Nord/Ostgrat gekommen war und sich für ihre Landsleute fremdschämte. Also bedauerten wir uns ein wenig gegenseitig… und so verging die Zeit, der Chor wurde spärlicher, die Bimbi ungeduldiger, und endliche machten sich die langsameren der Gruppe auf den Rückweg. Bis die ganze Wallfahrt abgezogen war, dauerte es noch eine weitere halbe Stunde, aber danach hatte ich freie Bahn und die restlichen Touris ihre Ruhe, und ein kollektiver Seufzer der Erleichterung stieg über dem Munt Pers gen Himmel (ok, ich gebs zu, meiner war ein Fluch).
Endlich konnte ich auch noch die vorher besetzte Seite des Berges nach Pflanzenarten absuchen. Zum Glück fand ich noch zwei neue – ansonsten hätte ich mich wohl sehr darüber genervt, für nix und wieder nix so lange auf diesem schrecklichen Gipfel ausgeharrt zu haben. Lustigerweise waren diese zwei Arten in einer etwas älteren Wiederholungsaufnahme (2003) nicht aufgeführt – ob wohl damals auch eine Wandergruppe drauf sass und picknickte??
Obwohl sich meine Knie sehnlichst eine Fahrt mit der Seilbahn wünschten, konnte mein Kopf den Gedanken nicht ertragen, mit 50 anderen (womöglich italienische Berglieder singenden) Touristen in einer Kabine eingesperrt zu sein, und so ging ich doch lieber zu Fuss zur Talstation Diavolezza zurück.
Uebrigens war mein Praktikant TG mit Begleiter IB gleichzeitig auf dem Piz Alv, nur 5km Luftlinie weit weg – und sah während des ganzen Tages keine einzige Menschenseele…
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