Matterhorn - alles halb so wild!


Publiziert von mde , 22. Juli 2010 um 23:33.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:15 August 2001
Hochtouren Schwierigkeit: ZS+
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 1220 m
Abstieg: 1220 m



Ein etwas unkonventioneller Tourenbericht, zudem gänzlich ohne Routenbeschreibung. Er fokussiert mehr auf das drum und dran am Berg. Für den, der sich überlegt, ob er am Matterhorn wohl am richtigen Platz ist, kann er aber trotzdem hilfreich sein - und irgendwie fände ich es schade, wenn er in der Mottenkiste verstauben würde.


Obwohl ich sonst eher einsame Ziele bevorzuge, war ich auch einmal über den Hörnligrat auf dem Matterhorn, und das am 15. August 2001. Die Hütte war natürlich voll, dennoch war es eine sehr schöne und eindrückliche Tour, die ich auf keinen Fall in meinem Tourenbuch missen möchte. Ich habe einen guten Freund auf den Gipfel geführt. 

Ich bin am Vorabend seilfrei in schöner Abendsonne bis auf gut 3700m aufgestiegen, bis zum Turm, der "auf dem Grat" heisst. Bei Tageslicht ist die richtige Route mit etwas alpinistischer Erfahrung problemlos zu finden. Bis dahin handelt es sich zwar um exponiertes, aber grundsätzlich einfaches Kraxel- und teilweise Gehgelände (meist T4, Stellen T5). 

Am nächsten Morgen haben wir uns brav an die offizielle Weckenszeit gehalten und sind nach den Bergführern aufgebrochen. Das Wichtigste (wie halt immer im Leben) ist, sich nicht stressen zu lassen. Am allerersten Aufschwung gibt es zwar einen kleinen Stau, doch danach ist das Gelände so, dass man problemlos überholen kann. Eine Seilschaft muss mal Pipi machen, die anderen haben einen Verhauer, so kommt man bei regelmässigem Steigen weiter und weiter nach vorne in der Kolonne. Steinschlag gab es keinen wesentlichen, da die Route schräg nach oben verläuft, kann man von Partien viel weiter oben eigentlich auch nichts abkriegen und von Seilschaften gleich oberhalb, tja, da ist das nicht anders wie an anderen Bergen auch. 

An der unteren Mosleyplatte gleich unterhalb der Solvayhütte gibt es dann nochmals eine kleine Massierung an Leuten, weil dies für die Meisten die erste Kletterstelle (ca. 3-) ist, welche gesichert wird. Rucksack ab, etwas trinken, mal die Aussicht und den Tiefblick geniessen, kein Problem! Die Mosleyplatte funktioniert allerdings auch gut als Dosierungsstelle, von dort zum Gipfel hat man dann genügend Platz. 

Bei den Fixseilen leidet man unter Umständen unter der Rücksichtslosigkeit von anderen Bergsteigern. Von oben über aufsteigende Personen abzulassen oder abzuseilen ist zwar Courant Normal, aber sicher nicht die feine Art am Berg. Etwas Umsicht, schnell in eine Lücke springen, so ginge es VIEL besser - selbst wenn man so eine halbe Stunde später in Zermatt ist und das Bier statt im Coop dann im Restaurant trinkt... 

Die letzten Höhenmeter übers Dach zum Gipfel sind dann ganz schön exponiert in etwas heiklem, verschneitem Gelände. Sichern ist dort nicht möglich und ein Stolperer führt unweigerlich in die Tiefe. Dafür kann man am Gipfel dann aufatmen. Man scheint dem Himmel näher an der Erde, die Aussicht ist einfach grandios. Es ist auch für viele Bergsteiger genügend Platz vorhanden und man kann bequem sitzen. Wir blieben eine ganze Stunde oben, wunderbar wars! 

Mit der ausgiebigen Rast auf dem Gipfel entgingen wir auch teilweise dem Problem, alle nachfolgenden Seilschaften auf dem Dach, den Fixseilen oder der Schulter kreuzen zu müssen. Natürlich kamen dann immer noch welche rauf, als wir runtergingen, aber eben: RÜCKSICHT nehmen, dann ist das keine Sache. 

Der Abstieg zieht sich dann ganz schön in die Länge. Wir haben sogar einige Stellen zusätzlich gesichert. Das sollte man als verantwortlicher Seilschaftsführer auch tun, denn um einen Sturz am kurzen Seil zu halten, sind die Voraussetzungen an vielen Stellen schlecht bis sehr schlecht. Speziell am Matterhorn ist überhaupt, dass praktisch die ganze Tour (1200hm) in exponiertem Absturzgelände verläuft, das hat man auf anderen Touren fast nie in diesem Ausmass. 

Hier noch kurz unsere Zeiten: Wecken 4.00 Uhr, Aufbruch 4.30 Uhr, Gipfel an 8.55 Uhr, Gipfel ab 10.05 Uhr, Hörnlihütte an 15.30 Uhr, Zermatt an 18.00 Uhr. Das hätten wir auch ein bisschen schneller haben können, aber es geht um Genuss und Sicherheit, nicht um Zeit. Natürlich waren wir auch bei allerbestem, 100%ig sicher gewitterfreiem Wetter unterwegs (ja, solche Tage gibt es) - an einem anderen Tag würde ich sicher nicht einsteigen, auch weil dann das Gestresse am Berg mit Sicherheit noch grösser ist. 

Hm ja, Seilschaften mit lokalen Führern haben wir natürlich auch beobachtet. Man kann es ja allenthalben lesen und hören, und tatsächlich hat das auch bei mir einen eher zwiespältigen Eindruck hinterlassen: es ging etwa so los, dass die armen Klienten nach 2-3 Bissen Frühstück vom Bergführer am Seil aus der Hütte gezerrt wurden. Unterwegs gehen die Bergführer in der Kolonne. Der vorne reisst den Kunden am Seil hoch, der hintere schubst ihn hoch. Dazu ständig die Drohungen: wenn Du nicht schneller machst/kannst, so drehen wir um... 

Auf dem Gipfel wird den Kunden gerade mal 5 Minuten verschnaufen, ein Schluck aus der Flasche und ein Erinnerungsphoto gegönnt. Danach heisst es so schnell wie möglich wieder runter. Vor den Szenen auf dem Dach graust mir noch heute. Der Kunde schlittert irgendwie unkontrolliert runter, der Bergführer "sichert" am kurzen Seil. Für mich ist es bei diesem Verhalten wenig erstaunlich, dass auch immer mal wieder Führerseilschaften von Unfällen betroffen sind.

Verursacht wird das Ganze wohl durch eine seltsame Denkweise in den Führerköpfen: 1) die schlimmste Schande wäre es, eine führerlose Seilschaft wäre schneller auf dem Berg und wieder unten als eine geführte und 2) der Tag ist gut, wenn man möglichst schnell wieder unten in der Hütte beim Bier ist. Die Mittel dazu schienen nicht so wichtig, bzw. Sicherheit und das bestmögliche Erlebnis für den Kunden schienen jetzt nicht grad an erster Stelle zu stehen. Wenn man mit Führer geht, so ist es sicher besser, wenn man diesen kennt und mit ihm zuvor schon andere Touren unternommen hat.


Tourengänger: mde


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Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

xaendi hat gesagt:
Gesendet am 23. Juli 2010 um 07:44
Ein sehr schöner und informativer Bericht, danke!

Seeger hat gesagt: Danke...
Gesendet am 23. Juli 2010 um 10:03
..für Deinen Bericht aus der Sicht eines "normalen" Berggängers. Ein eindrücklicher Erlebnisbericht. Mit den Bergführern bist Du etwas hart ins Gericht gegangen, finde ich. Ich glaube, dass das Kundensegment zu wenig gewichtet wird. Für manche Kunden ist das Wollen halt doch grösser wie das Können. Den Ausgleich müssen die Bergführer "schaffen" und das "sieht nicht sehr gut aus", ist jedoch effizienter und hat den Vorteil, dass gewisse Kreise abgeschreckt werden.
Deshalb ist Dein Beitrag doppelt wichtig!
Cari saluti
Andreas, auch ein normaler Berggänger

Bombo hat gesagt:
Gesendet am 23. Juli 2010 um 11:23
Wirklich ein gelungener Bericht - besten Dank für diese Einsicht!

Alpin_Rise hat gesagt: Does it really matter, Horn?
Gesendet am 23. Juli 2010 um 12:54
Danke für den Erlebnisbericht, man hört so allerhand, von Berghimmel bis Matterhornhölle.

Ich hadere mit einem Versuch am Prestigeberg...
Mich schreckt ab, den gestressten Bergführern nachzulaufen, anstatt am Berg freie Bahn zu haben; ganz zu schweigen von den dadurch entstehenden "objektiven" Gefahren. Allerdings bemitleide ich die Bergführer, die Kreti und Pleti auf den Gipfel ziehen und schubsen müssen - gibt es einen reduzierten Tarif, falls man dem Berführer kein Scherereien macht? ;-)

Da haben wirs gut, frei mit Freu(n)den unsere Touren zu geniessen!
G, Rise

Christian1 hat gesagt: Halb totgelacht
Gesendet am 26. Juli 2010 um 22:28
habe ich mich über Deinen unterhaltsamen Bericht - genial persifliert. Ja, man kann in der Hochsaison am Horu schnell mal in einen "Eurovisions-Alpaufzug" geraten.

Auch wir hatten Osteuropäische "Spezialisten" am Berg welche das ganze als 3 Tagestour verstanden hatten (T1 Hörni-Solvay, T2 Sovay-Gipfel-Solvay, T3 Abstieg) Mahlzeit!

Ich denke aber, dass man die Schuld (wie am Everest) eher bei den Klienten und nicht den Führern suchen sollte. Es sind einfach zuviele Hobbywanderer unterwegs. Ich war im Vorjahr (bin übrigens immer) mit Führer oben, allerdings mit einem meiner Stammführer und dann darf man auch mal 1h auf dem Gipfel sitzen...


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