Muttekopf (2284 m) via Südflanke & oberster Ostgrat


Publiziert von Ben77 , 26. Januar 2025 um 17:38.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum:28 Oktober 2024
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1450 m
Strecke:Westliches Hornbachtal (Weg 432) - Petersbergalpe - Petersberg - Muttekopf (2284 m) - Lechler Kanz - Grüner Kopf - Jochspitze (2232 m) - Kanzberg (Weg 85a / 85) - Hofwald
Kartennummer:Kompass Nr. 24 - Lechtaler Alpen, Hornbachkette; Alpenvereinskarte Nr. 2/2 - Allgäuer-Lechtaler Alpen - Ost

Start- und Endpunkt dieser Tour ist der kleine Ort Hinterhornbach.

Gleich zu Beginn zog uns hier die mächtige Hornbachkette in ihren Bann – eine gewaltige Dolomit-Mauer, die das ruhige Hornbachtal vom schönen Lechtal trennt und einige der namhaftesten Gipfel der Allgäuer Alpen trägt.

Beeindruckt waren wir daneben auch vom Anblick des Hochvogels, einem weiteren Wahrzeichen der Allgäuer Berge, dessen Gestalt man von hier tatsächlich so deuten kann, als handele es sich um einen zu Stein erstarrten habichtartigen Vogel mit ausgeklappten Schwingen.



Der lange Talweg zur Petersbergalm lies sich in der feucht-kühlen Oktoberluft wunderbar absolvieren. Und bald schon tauchte unser Tagesziel, der Muttekopf, vor uns auf. Von hier sieht er fast unbezwingbar aus, ganz anders als von der Jochbachtaler Seite, von wo er nur wenig auffällt.



Kurz überlegten wir, ob wir über das Salbtal, ein nordwestlich ausgerichtetes kleines Seitental, versuchen sollten, zum Ostgrat des Muttekopfs aufzusteigen. Es sah so aus, als sei das Tal von unserer Position aus erreichbar, allerdings weglos über eine hohe Steilstufe. Ob und wie wir von dort dann den Ostgrat erreichen würden, war aber fraglich (*). Also verwarfen wir diesen Gedanken, auch aus der Überlegung heraus, dass die Südflanke leichtere und hoffentlich besser einsehbare Aufstiegsmöglichkeiten bieten würde – womit wir allerdings falschlagen.


Steilstufe unterhalb des Salbtals

Ab der Petersbergalpe scannten wir die Flanke daher aufmerksam, erkannten zu unserer Enttäuschung aber nirgendwo eine Route, die die beiden Kriterien „gut begehbar“ und „zumindest größtenteils einsehbar“ erfüllte. Nirgends konnten wir bis in den Kammbereich schauen, und die hauptsächlich aus Graspleisen bestehende riesige Flanke wird von hohen Felsstufen und zahlreichen Runsen durchzogen, sodass sich uns nur wenige potentielle Aufstiegsoptionen anboten, die wir aber wie gesagt nicht bis zum Gratkamm hinauf einsehen konnten.




Auf dem Handy hatte ich noch einige Fotos der Flanke gespeichert, auf denen wir nun nachschauten, wie der obere, für uns aus dem Tal nicht einsehbare Bereich aussieht – ein vergeblicher Versuch, sich auf diese Weise ein Gesamtbild zu verschaffen. Denn weder konnten wir uns auf den Bildern richtig verorten, noch war abzusehen, wo im oberen Teil der Flanke wir ankommen würden.



Um unsere Eindrücke zu vervollständigen, gingen wir noch so weit westlich, bis wir schon fast am Talschluss angelangt waren. Aber auch von dort konnten wir keine uns vorteilhaft erscheinende Route ausmachen; ausladende Pleisen, schroffe Felsen und tote Winkel vereitelten dies.



Uns blieb daher nur, nach Versuch und Irrtum vorzugehen.

Und so gingen wir zurück zu der uns am vielversprechendsten aussehenden Stelle, einer Grasrampe, über die wir relativ problemlos in die Flanke hineingelangten und in der Folge über eine ausgedehnte Rippe ziemlich weit aufsteigen konnten. Im unteren Bereich wird diese Rippe von einem Baumstreifen bedeckt, darüber ist sie überwiegend grasbewachsen. Als Orientierungspunkt diente uns ein auffälliger einzeln stehender abgestorbener Baum oberhalb jenes Baumstreifens – auf diesen hielten wir zu.




Einstieg in die Flanke

Zwischen den Bäumen auf der Rippe aufzusteigen, war bereits ordentlich ausgesetzt und abschüssig, bot aber immerhin viele gute Stufen und Festhaltemöglichkeiten (z. B. Wurzeln). Je höher wir stiegen, desto haariger fühlte sich aber das an.



Der letzte Abschnitt hinauf zu dem verdorrten Baum war dann der heikelste des gesamten Aufstiegs (T6-, II). Sechzig Grad Hangneigung dürften es schon gewesen sein, für einige Meter vielleicht sogar mehr. Davor und danach ist das Gelände weiterhin gut gestuft, aber unmittelbar unterhalb des Baumgerippes ist es gefühlt fast senkrecht und der Untergrund instabil durch locker eingelagerte Felsen.



Als seitliche Haltehilfe diente mir dabei ein morscher Ast. Das kostete mich zwar Überwindung. Ich hatte allerdings keine große Wahl, denn von dort wieder abzusteigen, wäre genauso diffizil gewesen. Am problematischsten war für mich, dass ich nicht wusste, wie es darüber weitergeht, also ob das Gelände so steil und abschüssig bleiben oder sogar noch schwieriger werden würde. Zum Glück legt sich der Hang dann aber zurück.


Am toten Baum, aus dem bereits ein neuer sprießt

Simon, mein Tourenpartner, blieb derweil ganz entspannt. – Der Junge war aber auch schon auf dem Girenspitz im Alpstein.



Mir dagegen schlackerten die Knie. Darüber hinaus tat mir das Auftreten weh, da ich vom Vortag noch einige üble Blasen auf meinen Fußsohlen hatte (kein Wunder nach einer 30 km / 1900 Höhenmeter-Tour und offensichtlich immer noch nicht eingelaufenen Schuhen).



Zu meiner Erleichterung folgte nun aber erst einmal wie gesagt eine vielleicht 500 Meter lange Etappe, die viel einfacher zu absolvieren war. Zwar blieb es weiterhin steil (vielleicht so um die 45°), aber stets auch gut gestuft. Die Absturzgefahr schwand und mit ihr auch meine Gedanken an die garstigen Blasen.

Nach ungefähr einer Stunde Gehzeit in der Flanke legten wir eine Pause ein. Simon war zwischenzeitlich auf eine parallel verlaufende Rippe gewechselt und vielleicht 100 Meter Luftlinie von mir entfernt. Er war augenscheinlich nicht in selbem Maße gefordert wie meine Wenigkeit, da ihm der Sinn nach Ausprobieren schien. Aber auch er gönnte sich dieses Päuschen und schickte seine Drohne in die Luft.




Von meinem Pausenplatz konnte ich nun endlich bis hinauf zum Kamm sehen und mir einen Weiterweg zurechtlegen. Geradeaus hoch erschien mir dabei eher schwierig zu realisieren, da in Falllinie unmittelbar unterhalb des Kamms steile Felspassagen zu überwinden gewesen wären.



Linkerhand dagegen sah es besser aus. Hier bot es sich an, beispielweise über die Rippe, auf der Simon sich befand, direkt zum Kamm aufzusteigen. Allerdings war die Querung zu dieser Rippe nicht ganz einsehbar und dazwischen befanden sich zwei Rinnen, deren Überquerung ich nicht einschätzen konnte. 



Trotzdem schlug ich diese Richtung ein, allerdings ging ich nicht scharf links, sondern querte das Gelände nach und nach. So gelangte ich schließlich zu der ersten der beiden Rinnen und erkannte spontan, dass ich durch diese links an einem mir frontal den Weg versperrenden Felsriegel vorbeisteigen und so elegant und unschwierig den Kamm erreichen kann (I, wenig ausgesetzt). Zuerst ging es dabei über feste plattige Stufen in der Rinne, dann seitlich (rechts) über Grasschrofen empor. Wunderbar!




Damit befand mich bereits etwas unterhalb des obersten Abschnitts des Ostgrats, den ich von dort auch unschwierig erreichte.



Für die ungefähr 60-80 Meter verbleibende Gratstrecke musste ich meinen Mut dann nochmal zusammennehmen, da es stellenweise sehr schmal ist und eine luftige Kraxelstelle zu absolvieren ist (T5, I).


Blick auf den Ostgrat, der in Richtung Gipfel etwas schmaler und luftiger ist

Auch Simon war inzwischen auf dem Grat angekommen, nur eben westlich des Gipfels. Lustigerweise trafen wir dann in etwa zeitgleich am höchsten Punkt zusammen, gegen 15.30 Uhr und demnach ungefähr fünf Stunden nachdem wir losgegangen waren.



Wir waren beide ziemlich froh, dieses Ding gerissen zu haben. Und ich muss sagen, wenn man den Muttekopf auf dieser Route besteigt, ist es eine „echte“ Bergtour; man hat dann wirklich einige Strapazen auf sich genommen und anspruchsvolle Stellen gemeistert, neben dem, dass man auch seinen eigenen Weg gegangen ist, im wahrsten Sinne des Wortes.


Gipfel Muttekopf vom Westgrat

Belohnt wurden wir nun noch mit einem wahren Augenschmaus voller toller Farben und Formen. Insbesondere die beiden herbstlich getönten Graskathedralen Höfats und Schneck wären dabei zu erwähnen, mit ihren schneidigen Graten extremer Exposition, die einen beim bloßen Anblick schon erschaudern lassen – oder Begehungslust wecken, je nach Temperament. Jeweils eine Etage tiefer liegen die messerscharfe Kleine Höfats mit ihrem Verbindungsgrat zum Zweiten Gipfel der Höfats, sowie der berühmt-berüchtigte Rädlergrat, der sich wie ein Rotorblatt in den Rumpf des Schneck fräst.



 
Eine weitere sehr beeindruckende Gestalt hat das Wildenmassiv, welches einer unbezwingbaren Festung gleich eine gewaltige Felsmauer in Richtung Jochbachtal sendet. – Fantasie und Realität vermischen sich bei diesen Lichtverhältnissen schnell einmal bei mir.



Allzu lange konnten wir am Gipfel des Muttekopfs leider nicht verweilen, da die Dunkelheit nahte. Und so stiegen wir unter Umgehung des Abschnitts unmittelbar unterhalb des Gipfels über den stellenweise sehr luftigen Westgrat zur Hellscharte (mind. T4) und dann über schönes Gras den Lechler Kanz entlang hinauf zum Grünen Kopf. Unter Nutzung von Umgehungen in der westlichen Flanke ging es danach zügig hinauf zur Jochspitze (T5-), wo wir abermals pausierten. Allerdings wurde es nun schnell ziemlich kalt.


Westseite kurz unterhalb der Jochspitze

Zuletzt stand noch der knapp 7 km lange Abstieg über den Kanzberg bis nach Hinterhornbach an – spätestens jetzt meldeten sich meine Blasen auch wieder, und zwar mit Nachdruck.



Ein Highlight gab es dann aber noch: Als wir nach guten zwei Stunden die Almwiesen oberhalb von Hinterhornbach erreichten, empfing uns ein unfassbar voller Sternenhimmel. Die Milchstraße ist wirklich der Wahnsinn.

Und so schloss sich der Kreis für uns an diesem Tag in diesem ruhigen Winkel der Allgäuer Alpen, so wie er begann, mit Eindrücken, die definitiv nicht alltäglich sind.


Tourengänger: Ben77


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