Schinhorn 3796 m - Westnordwestgrat


Publiziert von Cubemaster , 23. August 2024 um 23:28. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:20 August 2024
Hochtouren Schwierigkeit: S-
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 2000 m
Abstieg: 2000 m

Das Schinhorn ist wohl einer der am seltensten bestiegenen Berge der Berner Alpen. Der einfachste Weg führt durch die Südflanke über einen spaltenreichen Gletscher, weshalb dieser Aufstieg vor allem als schwierige Skitour oder als Hochtour im Frühsommer durchgeführt wird. Der Zustieg dorthin ist in jedem Fall lang und beschwerlich. Man muss entweder viele Kilometer über den Oberaletschgletscher und den Beichgletscher unter die Füße nehmen oder vom Lötschental aus den Beichpass überqueren.

Es gibt natürlich noch einige Gratrouten aufs Schinhorn in teilweise schwieriger Kletterei: WNW-Grat, NNE-Grat, SW-Grat, SO-Grat und den Ostsporn. Von allen diesen Möglichkeiten gefiel uns auf den ersten Blick der WNW-Grat am besten, da man ihn direkt vom Lötschental aus angehen kann. Wir fanden äußerst wenig Informationen über die Route und beschlossen daher, sie selbst auszukundschaften.

Anmerkung:
WIR EMPFEHLEN DIE ROUTE AUSDRÜCKLICH NICHT!!! Insbesondere der obere Teil ab etwa 3450m ist hochgradig brüchig. Die Schwierigkeiten nehmen nach oben hin immer mehr zu und kulminieren in einer leicht überhängenden, nicht ganz stabilen IVer-Stelle unmittelbar vor dem Gipfel. Ein Abstieg/Rückzug über die Route ist entsprechend noch anspruchsvoller.
Da wir fest vom Prinzip der Eigenverantwortung aller Menschen überzeugt sind, ist dennoch in diesem Bericht die Route detailliert beschrieben, um eine Informationsquelle für alle Interessenten bereitzustellen.

1. Tag: Zustieg zur Gandegga-Moräne
Wir starteten gegen 18 Uhr am Parkplatz Fafleralp und liefen erstmal gemütlich das flache Tal hinauf. Ab P.1938 führt eine Wegspur in Richtung Beichpass. Dieser folgten wir kurz, drehten aber auf ca. 2000m wieder nach Nordosten ab, um die Gandegga-Moräne hinaufzusteigen. Gegen 20 Uhr erreichten wir die grüne Mulde neben der Moräne auf ca. 2240m, wo wir unser Zelt aufstellen wollten. Zuerst erkundeten wir aber noch den oberen Teil der Moräne für den Aufstieg im Dunkeln am nächsten Tag. Wir fanden am Ende der Moräne zwar verschiedene Aufstiegsmöglichkeiten, diese waren aber eher unangenehm, so dass wir sie letztlich nicht nutzten.

2.Tag: Schinhorn über WNW-Grat und Abstieg
Um 5 Uhr morgens starteten wir bei hellem Vollmond vom Zeltplatz. Wir folgten zuerst dem Bach aufwärts, drehten ab ca. 2500m langsam nach Nordosten ab und querten den Hang über die Geröllterassen bei P.2592. Kurz darauf mussten wir nochmal ca. 40hm absteigen, um die große Felsrippe ("Tiertossen") unten zu umlaufen. Dahinter wieder ansteigend querend (nicht zu hoch, sonst muss man sich mit losem Geröll auf Eis herumschlagen), erreichten wir ein Schneefeld unterhalb des WNW-Grates auf ca. 2750m.

Hier seilten wir an und liefen den Gletscher hinauf, was bei den aktuellen Bedingungen völlig unproblematisch war. (Bei weniger Schnee kann das eventuell auch sehr haarig werden!) Auf ca. 2950m querten wir dann hinüber auf einen Vorsprung der Rippe, welche vom WNW-Grat in den Gletscher hinunterzieht. Hier deponierten wir unsere Eisausrüstung und rüsteten auf Felskletterei um. Zuerst quert man kurz ein Band nach rechts und steigt über einige sehr bröselige und steile Stufen auf einen kleinen Vorsprung der Rippe.

Vom Vorsprung aus geht es dann über grasdurchsetztes Felsgelände nochmal steil hinauf. Hier fanden wir ein paar Möglichkeiten für Klemmgeräte, welche die Sache etwas entschärften (das Gras war noch leicht feucht am frühen Morgen). Danach wird das Gelände flacher und wir querten auf der Westseite über einfaches Gelände hinüber zum eigentlichen WNW-Grat. Diesem folgten wir im Wesentlichen aufwärts. Eine Passage am Anfang lässt sich gut links umlaufen, eine Passage, an welcher der Grat recht schmal und felsig wird, kann rechts gut umkraxelt werden.

Auf etwa 3300m kamen wir an einen Felsaufschwung, der sich nicht vernünftig umgehen ließ. In noch einigermaßen stabilem Gestein überkletterten wir ihn (III). Dahinter gibt es nochmal eine kurze Passage Gehgelände, bevor der Grat richtig steil wird (ca 3450m, ab hier durchgehend etwa 45 bis 50 Grad und ekelhaft brüchig!). Der nächste Aufschwung ist eher ein breiter Hang, besteht nur aus losem Zeug und wird oben sehr steil. Am besten verlässt man den Hang kurz vor dem ganz steilen Teil nach rechts. Hier kann man über eine Querung über rötliche Platten wieder besseres Gelände erreichen.

Im weiteren Verlauf blieben wir fast genau auf der Gratschneide. Es kommt ein Aufschwung nach dem anderen, alle verdammt brüchig, und immer ist der nächste noch ein bisschen schwieriger als der vorige. Es gibt durchaus Möglichkeiten für Klemmgeräte, man muss aber höllisch aufpassen und immer einmal kräftig ziehen zum Test. Ich habe so mehrere große Blöcke herausgesprengt! (Aufpassen, dass der Partner unten nichts abkriegt!)  Nach 5 Stunden Kletterei erreichten wir endlich um 13:30 den NNE-Grat. (Wir hatten inzwischen die Umkehrzeit 14 Uhr ausgemacht.)

Nach einigen einfachen Klettermetern standen wir kurz darauf am NNE-Gipfel vor der Scharte zum Hauptgipfel. Der Aufschwung hinter der Scharte sah verdammt schwer aus, Raphael war drauf und dran, sofort umzudrehen. Aber nach all den Mühen musste ich es zumindest probieren. Vorsichtig kraxelte ich die scharfe Gratschneide entlang bis vor den senkrechten, etwa 10m hohen Aufschwung. Nach etwa 3 Metern muss man auf sehr abschüssigen Platten stehend nach links hinaus "hangeln". Dort lässt sich in einem senkrechten Riss ein 0.5er-Klemmgerät anbringen.

Mit etwas Sicherheit durch das Klemmgerät  traute ich mich, einen piazähnlichen Kletterzug zu machen (IV), um den großen Block darüber greifen zu können. Ab da wird es leichter, ich kraxelte bis ganz nach oben und sicherte Raphael nach. Über die sehr ausgesetzte, zackige Gratschneide erreichten wir dann den höchsten Punkt, der nur mit einer alten, vermodernden Holzstange gekennzeichnet ist. Es war exakt 14 Uhr. Unsere Gipfelrast fiel relativ kurz aus, da wir wussten, dass der Abstieg über die gleiche Route nochmal sehr anspruchsvoll sein würde.

Für die Schlüsselstelle fanden wir eine gute Abseilmöglichkeit direkt an der Kante. Ich richtete dort mit einer Reepschnur und einem Karabiner einen Abseilstand ein. Den Rest kletterten wir vollständig wieder ab, wobei ich vorausging und Klemmgeräte setzte. Raphael sammelte sie wieder ein und wenn alle aufgebraucht waren, hängte er sie ins Seil und ließ sie zu mir herunterrutschen. Durch diese recht effiziente Taktik kamen wir einigermaßen zügig voran.

Die Brüchigkeit erzeugte aber immer wieder Probleme: So hörte ich Raphael von oben in dringend befehlendem Ton sagen: "Geh bitte schnell nach links raus!" So schnell ich konnte, kam ich der Aufforderung nach, woraufhin Raphael eine autoreifengroße Steinplatte losließ die dann über die Stelle pfefferte, wo ich gerade noch stand. Einmal kam ohne unsere Einmischung eine kleine Gerölllawine herunter, der ich ebenfalls ausweichen musste.

Nach gut 5 Std Abstieg erreichten wir sehr erleichtert wieder die Stelle am Gletscher, wo wir unsere Eisausrüstung deponiert hatten. Von dort an einfach, aber irgendwann natürlich im Dunkeln gelangten wir gegen 21:30 wieder zu unserem Zelt. Wir packten zusammen und liefen hinunter zum Parkplatz an der Falfleralp. Dort kamen wir gegen 23:25 an, gerade zu spät um noch den letzten Zug durch den Lötschberg zu erwischen. Also fuhren wir außenherum, am Genfer See vorbei zu Raphael nach Hause und fielen um 2:30 nachts wie tot ins Bett.

Schlussbemerkungen:
Wenn man trotz aller Unwegsamkeiten diese Route gehen will, ist vermutlich eine Überschreitung am sinnvollsten, um dem gefährlichen Abstieg aus dem Weg zu gehen. (Vorher sollte man sich unbedingt über die Verhältnisse am Normalweg informieren!) Diese Option kam für uns nicht mehr in Frage, da wir unsere Eisausrüstung am Einstieg deponiert hatten. Steigt man den Normalweg ab, könnte man nach dem Verlassen des Gletschers ab P.2986 den Hang unterhalb des Beichgrates absteigend queren, die Rippe, welche von P.3225 herabzieht unten umlaufen (sieht auf der Karte und im Sattellitenbild alles soweit ziemlich gut aus), und anschließend über den Beichpass ins Lötschental zurückkehren (ca. 250hm Gegenanstieg). Dabei sollte aber berücksichtigt werden, dass man ggf. durch Zeitmangel oder Scheitern an der Schlüsselstelle zum Rückzug über den kompletten WNW-Grat gezwungen wird.
Der Originalzustieg zum Gletscher startet an der Anenhütte. Von dort aus wird der Langgletscher gequert und der Hang irgendwie von unten erstiegen. Wir waren skeptisch, ob das noch sinnvoll möglich ist, und haben es deshalb gar nicht erst versucht. Wir können diese Frage also nicht abschließend beantworten.
Ausrüstung: Komplette Gletscherausrüstung, Helm!!!, Klemmgeräte in den Größen 0.3 bis 1.0 hilfreich

Tourengänger: Cubemaster, Raphy


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Kommentare (8)


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Sputnik Pro hat gesagt:
Gesendet am 24. August 2024 um 09:33
Wow, was für eine Bergfahrt. Gratuliere euch zur happigen Route aufs Schinhorn! Immerhin habt ihr an diesem "Problemberg" Aussicht gehabt, ich stand dort oben im Nebel und Graupel :-)

Gruss Sputnik

Cubemaster hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. August 2024 um 16:39
Danke dir. Natürlich kenne ich deinen Bericht. Viel mehr öffentlich zugängliche Infos zum Schinhorn findet man ja kaum...
Aussicht war jetzt auch nicht besonders toll, aber immerhin konnte man zwischen den Wolken noch etwas sehen.

sven86 hat gesagt:
Gesendet am 24. August 2024 um 10:17
Hut ab. Schaut wahrlich gruselig aus.

Cubemaster hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. August 2024 um 16:41
Danke. Das ist auch gut so, dann erweckt der Bericht den richtigen Eindruck. ;-)

Tobi hat gesagt:
Gesendet am 26. August 2024 um 20:46
Da habe ich wohl meinen Bericht zu spät publiziert, zwei Tage Vorlauf haben wohl nicht gereicht: /www.bergmomente.ch/de/report/schinhorn...

Wünsche weiterhin unfallfreie Touren, Tobi

Cubemaster hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. August 2024 um 09:30
Ja irre, ich habe Fußspuren auf dem Grat gefunden und mich gewundert, von wem die wohl stammen :-).
Seit ich zwei Kinder habe, ist Tourenplanung mit der notwendigen Muße sowieso zu einer großen Herausforderung geworden, vielleicht hätten auch 2 Wochen nicht gereicht...
Die Option mit dem Beichpass hatte ich gar nicht so richtig auf dem Schirm, weil man im Hochsommer ja normalerweise die Südflanke nicht mehr sinnvoll begehen kann. Da hätte dein Bericht eventuell noch einen Anstoß geben können. Vermutlich hätten wir uns noch strikter an die Normalroute gehalten, also zuerst den SO-Grat etwas runter und dann in die Flanke, um etwas weniger Höhenmerter im steilen Teil zurücklegen zu müssen.
Absolut platt bin ich wegen eurer Zeit: 5 Std von der Anenhütte, das wäre für uns schon rein konditionell völlig undenkbar gewesen.

Ebenfalls noch viele schöne Touren
Cubemaster

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. September 2024 um 07:08
Ja, mein jüngerer Tourenpartner hat auf dem Grat ein zügiges Tempo vorgelegt, da musste sich der Senior sputen :-)
Zudem waren wir grösstenteils ungesichert unterwegs, was ein flotteres Vorwärtskommen ermöglicht.

Das Wändchen auf dem Gipfelgrat wird im Silbernagel-Führer übrigens mit II bewertet. Aber auch unserer Meinung ist dies eher eine IV...

Cubemaster hat gesagt: RE:
Gesendet am 12. September 2024 um 14:15
Wenn dein Tourenpartner der gleiche jfk ist, wie der hier auf hikr, dann wundert mich das weniger. ;-)

Ich habe auch überlegt, ob wir ohne Seil gehen sollten, um schneller zu sein. Aber wir waren am laufenden Seil recht effizient unterwegs, so endlos viel Zeit hätten wir damit auch nicht rausholen können.

Die Stelle kurz vor dem Gipfel kann durchaus schwieriger geworden sein. Vielleicht gab es Ausbrüche... Raphy hat die Passage auch noch "bearbeitet" und eine größere Platte rausgeholt.


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