Barockwandern im Schlosspark von Versailles


Publiziert von Nik Brückner , 28. April 2023 um 13:06. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Frankreich » .Île-de-France » Yvelines
Tour Datum:20 April 2023
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Zeitbedarf: 3:30
Aufstieg: 70 m
Abstieg: 70 m
Strecke:15,5 Kilometer
Unterkunftmöglichkeiten:In Versailles

Ein Spaziergang im Park als Hikr-Tour?!? Jetzt geht's aber los!

Na, da irr Dich mal nicht...

Das Château de Versailles ist mit lässigen 63.154 m² mal eben eins der größten Schlösser der Welt. Nicht das größte, aber immerhin das vierzehntgrößte. Logisch: Es war ja auch das Schloss von
Ludwig XIV.! (Platz 1 übrigens: die Wiener Hofburg, mit 240.000 m²). Der Schlossgarten von Versailles ist entsprechend groß: 830 ha, 200.000 Bäume, und jedes Jahr (!) werden hier 210.000 Blumen gepflanzt.

Anders gesagt:
Diese Tour hat 15 Kilometer, 15,5 sogar, und (immerhin) 70 Höhenmeter. Wenn das keine veritable Wanderung ist.


Der Schlosspark

In seiner heutigen Gestalt wurde der Schlosspark auf Weisung des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Ende des 17. Jahrhunderts angelegt. Damals verlegte dieser seinen Hofstaat aus dem 16 km entfernten Paris hierher.

Die riesige Parkanlage gilt als das Meisterstück des Landschaftsarchitekten André Le Nôtre (1613 - 1700). Sie ist in drei Bereiche gegliedert: eine vom Schloss bis zum etwa drei Kilometer entfernten Horizont verlaufende gerade Hauptachse (Parterre), die daran angeschlossenen kleineren Lustgärtchen (Boskette) und einen sich in die Ferne ausdehnenden Wald für die Jagd. All diese Bereiche wollten die Waldelfe und ich an diesem Tag erwandern, dabei alle wichtigen Sehenswürdigkeiten des Parks besuchen, um einen möglichst umfassenden Eindruck von der Anlage und den Ideen ihrer geistigen Väter und - ja, auch Mütter zu bekommen.

Eine Besonderheit von Versailles sind die insgesamt 15 Boskette,
geometrisch angelegte Haine oder "Lustwäldchen", in denen sich die Säle des Schlossinneren im Freien wiederholen. Hier sind mit gärtnerischen Mitteln Salons zwischen Hecken und Bäumen eingerichtet, die man mit zahllosen Skulpturen, Springbrunnen und kunstvoll beschnittenen Pflanzen ausstaffierte. Sie alle sind thematisch gestaltet und bilden zusammen mit den individuell getauften Wegen, den vielen Bauten und zahllosen Figuren ein kompliziertes Bedeutungsgeflecht, das schon zu Zeiten Ludwigs XIV. nur schwer zu entschlüsseln war. Kein Wunder, dass Ludwig selbst den ersten Parkführer höchstpersönlich verfasste, um sicherzugehen, dass der Park und seine Absichten richtig verstanden wurden. Darin empfahl er den Besuchern einen ganz bestimmten Rundgang und erklärte die Bedeutung der verschiedenen Brunnen und Statuen.

Seit 1979 gehören die jährlich von mehr als sechs Millionen Touristen besuchten Gärten zum Weltkulturerbe der UNESCO. Am besten besichtigt man den Park in den Monaten von April bis Oktober, wenn die Blumen blühen und die zahlreichen Brunnen und Wasserspiele von Barockmusik klangvoll untermalt werden.

 

Unsere Route startet, naja, idealerweise am Parking (130 m) direkt vor dem Schloss. Und das bedeutendste Ziel am Weg ist dann auch gleich das Château de Versailles (142 m), das man, so man es noch nicht kennt, auf jeden Fall besichtigen sollte (Tickets unbedingt lange vorab online reservieren, ausschließlich auf der offiziellen Webseite - es gibt zahllose Fake-Seiten. Am Besten früh morgens hin. Und: möglichst nicht mit dem Auto anreisen, Stau. Und wenn doch: das Album "Skyline" vom Barock Project einlegen, passend zum Thema).

Hat man das Schloss hinter sich, ergießt man sich zunächst mit den Massen über das Parterre d'Eau (141 m).

Zwischen Schloss und Garten vermitteln die Parterres, strenge barocke Ziergärten, die durch ihre niedrige Bepflanzung den Blick auf das Gebäude bzw. von dort aus auf den Garten gewähren und in ihrer ornamentalen Ausgestaltung Motive der Baudekoration wiederholen. Dem Mittelbau des Schlosses (Corps de Logis) sind zwei große Wasserbecken vorgelagert, die das Parterre d’Eau bilden. Vor dem Nordflügel befindet sich das Parterre du Nord, vor dem Südflügel das Parterre du Midi. Alle drei sind prächtige Broderieparterres, geschmückt mit ornamentalen Blumenpflanzungen, zahlreichen Prunkvasen und Statuen. Das Parterre d’Eau ist, passend zum Thema, mit Skulpturen verziert, die Frankreichs große Flüsse versinnbildlichen.

Erstes Ziel: der Besuch des Latona-Brunnens (130 m). Er ist das Zentrum des Parks, und zwar in mehrerlei Hinsicht, geometrisch wie thematisch.

Auf der Hauptachse des Schlossparks, etwas westlich und unterhalb des Parterre d'Eau, befindet sich der von André Le Nôtre entworfene und zwischen 1668 und 1670 erbaute Latona-Brunnen. In seinem Parkführer schreibt Ludwig XIV.:

"Wir steigen zum Apollobrunnen hinab und machen hier einen kleinen Halt, um die Figuren und Vasen der Königlichen Allee, des Latonabrunnens und des Schlosses zu bewundern."


Aber gern, Louis! Der Brunnen stellt eine Episode aus Ovids Metamorphosen dar: Latona (Leto) und ihre Kinder Apollo und Diana werden von den Schlammstrahlen lykischer Bauern gequält, die den beiden verwehren, aus ihrem Becken zu trinken. Latona appelliert daraufhin an Zeus, der die Lykier zur Strafe in Frösche verwandelt. Dieses symbolisch zu verstehende Thema wurde als Anspielung auf die Revolten der Fronde gewählt, die während der Kindheit Ludwigs XIV. ausbrachen: Der Sonnengott, der zugleich ein Sühnegott ist, wird mit Ludwig XIV. gleichgesetzt.

1686-1687 wurde der Brunnen unter der Leitung vom Architekten Jules Hardouin-Mansart neu gestaltet. In diesem Zustand ist er heute erhalten.


Nun aber wieder die Treppen hinauf, und weiter Richtung Norden, zum Parterre du Nord (136 m). Kaum hat man das erreicht, ist man plötzlich aus dem Trubel heraus. Herrlich!

Das Borderie-Parterre im Parterre du Nord folgt einem leicht abfallenden Gelände, in dessen Mittelachse (Allée d'Eau) eine Abfolge von Wasserspielen mit einigen der ältesten Wasserbecken und Skulpturen des Versailler Parks liegt: die Pyramide und das Nymphenbad.

Schnell gelangt man auf der Allée d'Eau (auch Allee der Marmousetten) hinunter zum Bassin de la Pyramide (133 m).

Die "Pyramide" ist ein fünfstöckiger Brunnen, der aus nach oben kleiner werdenden Schalen besteht. Er wurde 1668-1672 nach Entwürfen des Malers und Architekten Charles Le Brun vom Bildhauer François Girardon geschaffen. Die Becken werden von Tritonen, Delphinen und Flusskrebsen getragen, diese Figuren waren ursprünglich vergoldet.

Bei der Gelegenheit noch eine Zahl: 55 Brunnen gibt es im Schlosspark von Versailles. Da kommen also noch ein paar...


Von hier ausgehend führt die Allée d'Eau weiter bergab, rechts und links gesäumt von einer Abfolge von je sieben kleinen Becken, in deren Mitte spielende und tanzende Kinder eine Schale aus rosa Marmor halten, aus der Wasser herabrieselt. Dann ist das Bassin du Dragon (122 m) erreicht.

Das Bassin du Dragon bildet das Ende der Allée d'Eau. Hier badet ein Drache! Die Bildhauer Gaspard und Balthazar Marsy haben den sterbenden Drachen Python dargestellt, der von den Pfeilen Apollos durchbohrt wird und Blut spuckt, repräsentiert durch den riesigen Wasserstrahl, der aus seinem Rachen kommt. Er hat eine Pferdemähne, spitze Flügel und einen Fischschwanz. Um ihn herum vier Kinder, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet sind, und Apollo symbolisieren, auf Schwänen sitzend und von vier Delfinen eskortiert.

In dem Boskett rechts neben dem Bassin du Dragon befindet sich die imposante Staue der France Triomphante (123 m), der wir noch einen Besuch abstatteten.

Die große vergoldete Figurengruppe befindet sich im östlich der Allée d'Eau gelegenen Bosquet de l’Arc de Triomphe. Es wurde 1676 mit Dekor geschmückt, das auf militärische Siege anspielt. Unter anderem wurde dort auch ein Triumphbogen aufgestellt, der dem Hain seinen Namen gab.

Als nächstes umrundeten wir dann das große Bassin de Neptune (120 m).

Das Neptunbecken wurde bereits im 17. Jahrhundert von Le Nôtre begonnen, aber erst im 18. Jahrhundert unter Ludwig XV. vollendet. Hier tummeln sich Wassergötter, Tritonen, Seepferde, Delphine, Seehunde und auf Drachen reitende Amouretten. Insgesamt neunundneunzig Wasserstrahlen sorgen hier für eindrucksvolle Wasserspiele - wir hatten Glück, und duften das Schauspiel verfolgen. Wasserverbrauch während der Fontänenshow im Park: 3.600 Kubikmeter. Insgesamt gibt es im Park 620 Wasserdüsen, die aus 35 Kilometern Rohleitungen gespeist werden.

Wir wanderten nun nach Südwesten hinauf, zum Bosquet du Théâtre d'Eau (125 m), wo wir erneut Wasserspiele verfolgen konnten - moderne diesmal, auch dafür ist hier Platz.

Der Bosquet du Théâtre d'Eau war einer der Lieblingsgärten Ludwigs XIV. Wegen der hohen Betriebskosten wurde er unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. vereinfacht. 1999 durch einen Sturm verwüstet, wurde er vom Landschaftsgestalter Louis Benech und dem Künstler Jean-Michel Othoniel neu gestaltet.

Unmittelbar westlich schließt sich das Bosquet de l'Ètoile (120 m) daran an.

1666 von André Le Nôtre entworfen, als ein achteckiger grüner Raum, der von einem Weg umrundet wird, wurde dieses Boskett 1671 und 1704 neu gestaltet. Heute ist es leider ein bisschen unscheinbar.

Wir umrundeten das Bosquet de l'Ètoile zur Hälfte, gelangten auf die Allée de Flore und stießen dort auf das Bassin de Flore (118 m), den Florabrunnen. Von dort aus wollten wir eigentlich direkt weiter zum Bassin d'Apollon, unterwegs jedoch lockte uns Barockmusik zum Bosquet de L'Encelade (113 m).

Es wurde 1675-1678 von André Le Nôtre für Ludwig XIV. geschaffen. Der von Gaspard Marsy gestaltete zentrale Brunnen zeigt den besiegten Titanen Enceladus, der unter dem Vulkan Ätna begraben und von seiner Lava verzehrt wird. Um diesen herum wurde ein achteckiger Rasenring mit acht Steinbrunnen angelegt. 

Die acht Brunnen wurden 1706 entfernt. 1998 wurde der Enceladus-Hain dann in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Heute umgibt eine achteckige Spaliergalerie den Hain. Sie wird von vier Pavillons unterbrochen, die sich in der Mitte je einer Seite befinden.

Wir verließen nun das Bosquet de L'Encelade und wanderten weiter Richtung Südwesten, zum Bassin d'Apollon (111 m).

Der Brunnen des Sonnengottes befindet sich - natürlich - auf der Mittelachse des Parks vor dem Canal Grande. Hier ist dargestellt, wie Apollo aus dem Wasser emporsteigt und sich symbolisch in Richtung des Königs erhebt. Der Brunnen ist damit ein zentrales Element im Garten des Sonnenkönigs.

Der Sonnenwagen wurde 1668-1671 vom Bildhauer Jean-Baptiste Tuby aus vergoldetem Blei nach einer Zeichnung von Le Brun hergestellt. Er taucht aus dem Wasser auf, gezogen von vier Pferden. Tuby hat Phaeton hinzugefügt, der vom Streitwagen gefallen ist, und um ihn herum Tritonen und Delfine.


Direkt hinter dem Apollobrunnen beginnt der Grand Canal (109 m).

Der zwischen 1668 und 1671 erbaute, 1.500 Meter lange, kreuzförmige Kanal, verlängert den Park optisch in die Ferne und entwässert zugleich das sumpfige Gelände. Er bedeckt eine Fläche von 24 Hektar und hat einen Umfang von fünfeinhalb Kilometern.

Zur Zeit des Ancien Régime wurde die Wasserfläche mit venezianischen Gondeln samt italienischer Gondolieri befahren 
(logisch: Grand Canal = Canal Grande), für die ab 1674 eigens ein kleines Wohnareal namens Petit Venise, Klein Venedig, geschaffen wurde. Und sogar der Nachbau eines Kriegsschiffes lag einst dort vor Anker.

Wir hielten uns zunächst auf der Nordseite des Kanals, wo wir nun das Areal, das nur mit Ticket zu betreten ist, verließen.

Es ist Ticketbesitzern erlaubt, das Schlossareal ein Mal zu verlassen, um z. B. die Trianon-Schlösser und die umliegenden Gärten zu besuchen. Danach ist ein einmaliger Wiedereintritt erlaubt.

Wir passierten das Restaurant La Flottille (111 m), wandten uns nach rechts, auf die Allée de la Petit Venise, und bogen bald halblinks auf die Allée du Petit Trianon ein. Diese brachte uns zu dem Schlösschen Petit Trianon (122 m).

Das ist ein Schlösschen, das Ludwig XV. vom Architekten Ange-Jacques Gabriel für seine Mätresse Madame de Pompadour erbauen ließ. Diese starb jedoch vor der Vollendung des kleinen, klassizistischen Baus, so dass das Schlösschen dann von seiner neuen Favoritin Madame Dubarry genutzt wurde. Nachdem sein Nachfolger Ludwig XVI. es Marie-Antoinette geschenkt hatte, stattete sie es prunkvoll aus und ließ einen neuen Gartenbereich anlegen.

Obwohl die äußere Gestalt des Schlosses in der Tradition des klassizistischen französischen Barock steht, der von jeher auf ruhige und strenge Formen zurückgriff, gilt das Gebäude als wegweisend für den Stil des Klassizismus und Paradebeispiel für den Louis-seize-Stil in der Architektur.


Nach der Besichtigung des Petit Trianon betraten wir den berühmten Englischen Garten Marie-Antoinettes.

Hinter dem Petit Trianon liegt der von Marie-Antoinette in Auftrag gegebene Englische Garten. Dieser Bereich des Parks zeichnet sich durch eine Landschaft aus, die wie natürlich gewachsen erscheinen soll. Einzelne Baumgruppen, Seen, ein kleiner künstlicher Bach und mehrere Gebäude schmücken den Garten.

Gleich westlich des Schlösschens befindet sich auf einer kleinen Insel in einem künstlichen Bach der Temple de l'Amour (121 m).

Der Tempel der Liebe wurde 1777-1778 vom Architekten Richard Mique errichtet. Diese kleine Rotunde im antikisierenden Stil ist zusammen mit dem Belvédère eines von zwei neoklassischen Gebäuden des Englischen Gartens. Beide gehen auf Ideen Marie-Antoinettes zurück, die von den Fenstern des Schlosses aus zu den Tempeln schauen konnte.

Der
Tempel der Liebe, dessen gemeißelte Verzierungen das Werk von Joseph Deschamps sind, steht auf zwölf korinthischen Säulen, die von einer mit Liebesattributen geschmückten Kuppel überwölbt werden. Er beherbergt in seiner Mitte einen Amor, der aus der Keule des Herkules seinen Bogen schnitzt.

Wir verließen die kleine Insel und suchten uns nun durch das Gewirr zahlloser hübscher Wege den unsrigen zum Grand Lac (120 m), an dem das berühmte Hameau de la Reine (121 m) liegt, das Dorf der Königin.

Marie-Antoinette ließ sich hier, einer damaligen Mode folgend, ein künstliches Dorf errichten, romantisierend, mit Fachwerk und windschiefen Dächern. Es diente als prunkvolle Dekoration für die Schäferspiele der Königin. Das Dorf bildet den ausstatterischen Höhepunkt dieser natürlich bloß erscheinenden Parklandschaft: Zwölf Bauernhäuser, die den Häusern des Pays de Caux nachempfunden sind, wurden rings um einen Grand Lac genannten Angelteich platziert. Ihre Inneneinrichtungen sind alles andere als einfach, und vielmehr den Bedürfnissen (oder besser: Ansprüchen) einer Königin angepasst. Die Bauten wurden vom Architekten Richard Mique errichtet, der sich von einem ähnlichen Weiler im Schlosspark von Chantilly und den Zeichnungen des Malers Hubert Robert anregen ließ.

Dieses Dörfchen sollte Marie-Antoinettes von den Schriften Rousseaus inspirierten Sehnsucht nach einer ländlichen Idylle stillen, und hatte selbstverständlich keinerlei Ähnlichkeit mit dem wirklichen Landleben des 18. Jahrhunderts.


Wir umrundeten den Lac und wanderten von dessen westlichem Ufer weiter nach Südwesten, zu einem weiteren See, eingelagert in künstliche Hügel zwischen dem Grand Lac und dem Petit Trianon. Am Nordufer dieses kleineren Sees entlangwandernd, entdeckten wir ein kleines Tälchen, das uns zu einer künstlichen Grotte (123 m) führte.

Unterhalb des künstlichen Hügels "Montagne de l'escargot" (wegen seines Labyrinths) führt ein kleines Tal zur Höhle. Der Eingang ist absichtlich schwer zu erkennen, um für Überraschungsmomente zu sorgen. Die Stelle ist bewusst dunkel, so dass die Augen eine gewisse Zeit brauchen, um alles zu entdecken: ein kleiner Bach, mit Moos bedeckte Steine und zuletzt die Höhle selbst. Sie ermöglichte es der Königin, unerwünschten Besuchern zu entkommen, heißt es. Dabei ist bei genauer Betrachtung glasklar, welchem Zweck die Höhle diente: Sie ist mit einem Gitter verschließbar, und das Rauschen des Wasserfalls übertönt eventuelle Geräusche. Zudem kann man durch eine kleine Öffnung sich nähernde Personen sehen. Die Grotte selbst war mit grün getöntem Plüsch bedeckt, was die Illusion eines Moosteppichs vermittelte, und mit einer Trompe-l'oeil-Dekoration ausgestattet.

Oberhalb steht der zweite antikisierende Tempel, das Belvédère (130 m).

Der achteckige Pavillon steht auf einem Hügel über dem kleinen See. Es wurde 1778 bis 1781 von Richard Mique errichtet und wurde von Marie-Antoinette als Musikzimmer genutzt.

Der Raum wurde von Louis Mansiaux mit Stuck ausgestattet und von Sébastien-François Leriche mit Ölarabesken bemalt. Das Kuppelgemälde von Jean-Jacques Lagrenée d. J. stellt Amoretten am Himmel dar. Der Boden ist mit einem Mosaik aus turquinblauem, grünem, geädertem weißem und rotem Marmor bedeckt.


Als Kontrast geht's direkt neben dem Belvédère weiter durch den Grand Rocher (128 m), eine künstliche Felsenlandschaft.

Der Grand Rocher, dessen mühsamer Bau vier Jahre in Anspruch nahm, ist das natürliche Gegenstück zum kunstvollen Belvédère: Dieser künstliche Fels, umgeben von Nadelbäumen, stellt eine Art "kleine Schweiz“ dar, und wird daher auch manchmal "Jardin alpin", Alpengarten genannt. Aus einem rückwärtig gelegenen Stausee fließt das Wasser in einem Sturzbach in den kleinen See.

Ein wenig versteckt hinter dem Fels liegt unweit das Théâtre de la Reine (124 m), Marie-Antoinettes persönliches Theater.

Das 1778–1779 erbaute Theater wurde von Richard Mique an der Grenze zwischen dem Englischen Garten und dem Französischen Garten errichtet. Das Äußere ist streng, die Dekoration des Inneren dagegen glänzt in Blau und Gold. Allerdings hat man das Wort "Theater" hier ganz wörtlich genommen: Stuck, Friese und Holzarbeiten sind in Wirklichkeit aus Pappe; die Statuen sind aus Gips, gefasst in Gold und Trompe-l’œil-Malerei, und edle Stoffe sind nur sehr sparsam verarbeitet.

Ein paar Schritte weiter südlich steht man dann ebenso tatsächlich wie plötzlich in einem französischen Barockgarten, direkt hinter dem Petit Trianon. Dort steht ein weiteres hübsches kleines Bauwerk, der französische Pavillon (122 m).

Der achteckige Pavillon wurde 1750 fertiggestellt und besteht aus einem zentralen Raum, der von vier Kabinetten umgeben ist, die jeweils durch große Fenster erhellt werden: ein Vorzimmer, ein beheizbarer Raum, ein Boudoir und ein Kleiderschrank. Oben befindet sich eine Dachterrasse, die mit Statuetten besetzt ist.

Der mit Stalltieren geschmückte Fries des zentralen Raums erinnert an die benachbarte Menagerie: Es gibt Hühner, Hähne, Tauben, Enten und sogar ein paar Schwäne, sowie Amoretten über den Türen, die mit Käfigen und Körben spielen.


Gleich links davon befindet sich der nächste Pavillon, der Pavillon Frais (122m).

Der Kühle Pavillon, 1753 von Ange-Jacques Gabriel errichtet, diente ursprünglich als Sommerspeisesaal, in dem man sich abkühlen und Produkte aus dem Gemüsegarten des Schlosses genießen konnte. Ein hübscher kleiner Bau, geschmückt mit grünen Spalieren und Korbvasen.

Wieder zurück am französischen Pavillon ging es nun in westlicher Richtung weiter. Über eine Brücke gelangt man hinüber in die Gärten des benachbarten Schlosses Grand Trianon.

Während des Baus des Grand Trianon entwarf André Le Nôtre für die Gärten geometrische Strukturen, die allerdings leider nur teilweise erhalten geblieben sind. Sie litten weitaus mehr als die restlichen Gärten von Versailles unter mangelnder Pflege und allmählicher Aufgabe. Die Vegetation hat über die Jahre ihre Rechte wiedererlangt, und der Sturm von 1999 hat die wenigen Überreste der ursprünglichen Pflanzungen zusätzlich dezimiert. Nur der Stolz Le Nôtres, der Jardin des Sources, ist erhalten geblieben. Seit 2003 findet allerdings eine Restaurierung statt, die anhand zahlreicher historischer Dokumente die Anlagen rekonstruiert.

Wir wanderten vor dem Grand Trianon nach Norden, zu einer stufenweise angelegten Gruppe von vier Wasserbecken, die von einigen Marmorfiguren umgeben ist: Das Amphithéâtre (126 m).

Die Gärten des Grand Trianon wurden nach dem Tod Le Nôtres im Jahr 1700 von Jules Hardouin-Mansart fertiggestellt. Die Anlagen sind streng geometrisch geordnet. Sie umfassen 23 Hektar, die von 2,2 Kilometer langen Mauern umgeben und von 8 Kilometern Wegen durchzogen sind. Sie sind damit trotz ihrer Größe nur ein Miniaturgarten im riesigen Park von Versailles.

Es gibt hier nur sehr wenige Wasserspiele, statt dessen sind die Gärten eher eine konstruierte Landschaft, die aus Wegen, Vegetation und Skulpturen besteht. Eine Vielzahl geometrischer Formen ist durch von Lauben gesäumte Wege artikuliert.


Wir wanderten schließlich hinunter auf die Westseite des nahegelegenen Grand Trianon (124 m).

Das weitläufige Gartenschloss stammt noch aus der Zeit Ludwigs XIV. Er ließ es nach den Plänen des Architekten Jules Hardouin-Mansart als privaten Rückzugsort errichten. Dazu ließ er ein ganzes Dorf beseitigen: Das Dorf Trianon, das hier ursprünglich mal gestanden hatte.

In den Grand Trianon zog sich der König gern mit seiner Favoritin Madame de Maintenon zurück. Hier konnte er sich - ähem - "vom Hofzeremoniell erholen". Entsprechend war der Besuch des Trianon nicht jedermann gestattet. Eine Einladung des Königs hierher war eine außerordentliche Ehre. Oder eine Drohung. Da müsste man
Madame de Maintenon mal fragen. Mit dem Grand Trianon schuf Ludwig XIV. aber immerhin den Prototyp der barocken Maison de plaisance, des Lustschlosses.

Durch das Peristyl gelangten wir nun in den Ehrenhof.

Das Peristyl ist eine offene Säulenhalle, die die einzelnen Gebäudeteile miteinander verbindet. Sie ist auf direkte Veranlassung des Königs errichtet worden, der eine Durchsicht vom Ehrenhof in die Gärten haben wollte. Außerdem wollte er das Peristyl als sommerlichen Speisesaal nutzen.

Vom Ehrenhof aus kann man den Grand Trianon auch besichtigen.

An der Ausstattung sind immer wieder Veränderungen vorgenommen worden. Einige Räume weisen noch ihre barocke Dekoration auf, andere wurden von Napoleon im Stile des Empire umgestaltet. Oh, und Liselotte von der Pfalz hat hier gewohnt. Kurios: Seit der Regierungszeit Charles de Gaulles ist im Trianon eine Wohnung für das französische Staatsoberhaupt eingerichtet. Das Schloss wird nämlich bis heute für Empfänge und ähnliche Veranstaltungen genutzt.

Wir verließen das Schloss nun auf seiner Südseite, und wanderten hinunter zum Bras de Trianon (109 m), dem zum Grand Trianon ausgreifenden Arm des Grand Canal. Die Allée de Bailly führt um das Ende des Bras herum. Auf der anderen Seite befindet sich zwischen Bras de Trianon und dem nach Westen ausgreifenden Arm ein natürlicher Wald, durch den ein hübscher Pfad führt, der dem Kanal Ru de Gally folgt. Ein wunderbarer Wegabschnitt, der erste, der "richtiges" Wandergefühl vermittelt.

Der Pfad quert im Wald die Allée de Choisy und führt weiter zur Allée de Fontenay. Dort bogen wir links ab. An der nächsten Kreuzung nahmen wir dann die Allée de Traverse halblinks, um zum westlichen Ende des Grand Canal zu gelangen. Dort befindet sich der Ètoile Royale (118 m), der westlichste Teil des Versailler Schlossparks.

Der Grand Canal gewährt von hier aus einen Blick zum Schloss, das an dieser Stelle fast drei Kilometer weit entfernt ist.

Von hier an folgten wir nun den Konturen des Grand Canal. Es ging auf dessen Südseite wieder Richtung Schloss. Wir umrundeten den Bras de la Ménagerie (109 m).

Der Südarm des Grand Canal ist nach einer großen Ménagerie benannt, die sich hier einst befand. Ludwig XIV. hielt dort von 1668 bis 1681 unter anderem einen afrikanischen Elefanten, der ein diplomatisches Geschenk aus Portugal war.

Nach drei Kilometern Wanderung standen wir wieder am Ostende des Grand Canal (109 m) und beschlossen, dass es nun erst einmal Zeit für eine Pause war. Die verbrachten wir mit Café Liégeois und Aperol im Restaurant La Flottille (111 m).

Ein hübsches Restaurant, dessen Name an die Flotille von Schiffen, Schiffchen und Booten erinnert, die einst zum Vergnügen des Königs auf dem Canal herumfuhr.

Nach verbrachter Pause ging es zurück zum Grand Canal und noch einmal zum Bassin d'Apollon (111 m), wo wir den Bezahlbereich des Parks wieder betraten. Zwischen Pan und Flora ging es nun hinein in das Bosquet de la Colonnade (115 m).

Zu den bekanntesten Gartenarchitekturen Frankreichs gehören die dort von Jules Hardouin-Mansart angelegte kreisrunde, mit dutzenden Springbrunnen verzierte Colonnade, und die Salle de Bal (der Ballsaal).

Die Colonnade wurde 1685 durch Hardouin-Mansart anstelle eines älteren Bosketts von André Le Nôtre errichtet. Hardouin-Mansart schuf ein doppeltes Peristyl mit 32 Bögen und 31 Springbrunnen, von denen jeder einen einzigen Wasserstrahl in ein darunter liegendes Becken entsandte. 1696 wurde die Figurengruppe, die die Entführung der Proserpina durch Pluto darstellt, hier aufgestellt.

Die Kolonnade ist eines der aufwändigsten Boskette des Versailles Schlossgartens. Sie diente ursprünglich als Salon unter freiem Himmel, in dem Konzerte und andere Aufführungen stattfanden.


Die benachbarte Salle de Bal (Salle des Maronniers, 115 m) war unser nächstes Ziel.

Sie wurde 1681-1683 eingerichtet. Eine halbkreisförmige Kaskade bildet das Dekor dieses grünen Raums, bestückt mit Vasen und Fackeln aus vergoldetem Blei, die als Stütze für Kandelaber dienen.

Von hier aus ging es nun in südöstlicher Richtung weiter, vorbei am Bassin de Saturne (117 m) zum großen Bassin du Miroir (116 m), an dem wir noch ein letztes Mal das Glück hatten, Wasserspielen beiwohnen zu können.

Direkt westlich davon befindet sich das kleine Bassin de Bacchus (123 m), von dem aus wir nun das Bosquet de la Reine (124 m) betraten.

Hier befand sich einst einer der zu jener Zeit beliebten Irrgärten. Dieser wurde allerdings 1778 wegen der hohen Erhaltungskosten beseitigt. An seiner Stelle wurde ein kleiner englischer Garten angelegt, zugleich ein Arboretum mit exotischen Pflanzen. Damals wurde dieser Teil der Gärten in "Bosquet de la Reine", Hain der Königin umbenannt. Er spielte übrigens in der berühmten Halsbandaffäre eine gewisse Rolle.

An dieser Stelle mussten wir unsere Tour leider ein wenig umplanen. Jenseits dieses Gartenbereichs befindet sich ein großes Wasserbecken, das als Schweizer See bezeichnet wird. Es erhielt seinen Namen, weil es durch die im Schloss stationierte Schweizer Garde ausgehoben wurde. Diesen See wollten wir eigentlich als letzten noch umrunden, er befindet sich aber außerhalb des mit dem Ticket noch erwanderbaren Bereichs, jenseits einer Straße. So mussten wir leider auf dem umzäunten Schlossparkgelände bleiben.
 

Für uns ging es nun hinüber zur benachbarten Orangerie (125 m).

Unterhalb des Südflügels des Versailler Schlosses steht die von Hardouin-Mansart erbaute Orangerie, die einen kleineren Vorgängerbau von Le Vau ablöste. Das mächtige Gebäude ist in den Hang integriert, links und rechts davon führen die "Treppen der hundert Stufen" hinauf. Das Gebäude trägt damit auch einen Teil des Parterre du Midi, oben vor dem Südflügel des Schlosses. Die Orangerie gilt als ein hervorragendes Beispiel französischer Steinmetzkunst. Vor seiner 155 Meter langen mittleren Galerie liegt ein weiteres Parterre, das im Sommer mit hunderten Orangenbäumchen geschmückt ist.

Nun stand noch der letzte Wegabschnitt zum Schloss an: der Schlussanstieg über die Treppen der hundert Stufen. Da wir kaum Höhenmeter in den Beinen hatten kein Problem. Wir langten auf dem Parterre du Midi (141 m) an, wanderten hinüber zum Parterre d'Eau (141 m) und schließlich zurück zum Château (142 m), wo unsere Wanderung durch den riesigen Park endete. Nun nur noch kurz durch das Gebäude und über den Ehrenhof, dann war das Parking (130 m) vor dem Schloss erreicht.


Fazit:

Ein unglaublicher Park: Unglaublich groß, unglaublich vielseitig, unglaublich aufwändig. An vielen Stellen steht man einfach staunend da: Angesichts seiner Schönheit, angesichts des betriebenen Aufwands und nicht zuletzt auch angesichts der Kosten und der grenzenlosen Überheblichkeit jener, die den Park einst gestaltet und umgestaltet haben. Ein ganzes Dorf dem Erdboden gleichgemacht, ein anderes neu errichtet? Kein Wunder, dass die Franzosen das Ancien Régime mit der Guillotine weggefegt haben. Und ein Wunder, dass sie uns dieses Wunder dagegen bewahrt haben. Eine unglaubliche Runde, auch in diesem Sinne.

Tourengänger: Nik Brückner, Waldelfe


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Kommentare (4)


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Schubi hat gesagt:
Gesendet am 28. April 2023 um 14:59
Eine Mordstour mit zahlreichen ästhetischen Schlüsselstellen. Freut mich, dass ihr da gesund durchgekommen seid.
Macht ihr euren Garten zuhause jetzt auch barock?

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 29. April 2023 um 08:18
Oder uns selbst, wer weiß!
War eine wirklich schöne Wanderung. Wir könnensie nur empfehlen. Wertigeres Ambiente hat man selten mal.
Grüßle!

zaufen hat gesagt: Bergwandern im Park
Gesendet am 29. April 2023 um 10:04
Wenn man in einem Park bergwandern will, braucht man nur nach Kassel-Wilhelmshöhe zu fahren - aber mit dem Schloss Versailles kann wilhelmshöhe natürlich nicht mithalten! Schade, dass es nicht so sonnig blieb wie am Morgen.

Nik Brückner hat gesagt: RE:Bergwandern im Park
Gesendet am 29. April 2023 um 18:39
In Kassel-Wilhelmshöhe wollten wir auch schon wandern. Aber dann war die Documenta größer als gedacht. :oD
Das mit der Sonne was gar nicht mal das Problem. Es war so oder so eiskalt.... brrrrrr....


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