Mount Crumpit (914 m? 3048 m?) Solo-Winterbesteigung an Heiligabend
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Schneeflöckchen, Weißröckchen...
Ach, Weihnachten! Die Welt ist tief verschneit, die Schneekristalle glitzern, und irgendwo erklingen helle Glocken. In den Fenstern leuchten bunte Lichter und ein Kachelofen verbreitet wohlige Wärme. Aber bevor die Weihnachtszeit so richtig beginnt, nutzen viele noch die Gelegenheit, etwas Besonderes zu machen. Während andere in der Stadt den letzten Geschenken nachjagen, ziehen sie hinaus in den weißen Winterwald.
Mein Ziel am heutigen Heiligabend ist der Mount Crumpit. Und prompt musste ich feststellen: Der hat hier ja noch gar keinen Tourenbericht! Das ist seltsam. Dabei ist er doch so markant - und entsprechend auch bekannt!
Na, dann hole ich das mal nach. Eine Winterbegehung, solo, schließlich war ich auf der Suche nach Ruhe und Frieden. Ursprünglich wollten Carol und Mary noch mit, die sind am Ende dann aber doch lieber zuhause im Warmen geblieben.
Mir ging es dabei - natürlich! - vor allem um die bergsteigerische Leistung. Hihi. Aber auch darum, das Rätsel um seine Höhe zu lösen. Die beiden Quellen, die ich besitze, widersprechen einander in diesem Punkt nämlich, und das nicht unerheblich: In der einen heißt es, der Berg sei zehntausend Fuß hoch, also 3048 Meter. Das wäre dann schon ein ordentlicher Gipfel! In der anderen Quelle aber steht dann etwas von nur dreitausend Fuß, und das wären nicht mehr als 914 Meter! Und das ist doch ein ziemlicher Unterschied!
Ist das überhaupt derselbe Berg?
Stellt sich heraus, dass das gar nicht so leicht herauszufinden ist. Denn es gibt kaum brauchbares Kartenmaterial. Man hat fast den Eindruck, den Berg gäbe es gar nicht wirklich...
Aber ich wurde dann doch noch fündig: Der Gipfel befindet sich nördlich eines Dörfchens namens Whoville, und er ist von dort aus sogar zu Fuß zu erreichen. Na also! Nichts wie hin! Muss ich eben selbst nachsehen, wie hoch der Berg nun wirklich ist. Sollte ja nicht so schwierig sein.
Unterwegs nach Whoville lief im Radio dann dieser Song. Den ich bis dato gar nicht kannte. Ein etwas seltsames Weihnachtslied, fand ich. Aber hey, auch für Seltsam ist schließlich Weihnachten!
An kam ich schließlich mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. Start meiner Tour war auf dem großen Wanderparkplatz im kleinen Whoville. Und schon beim Losmarschieren hatte ich diesen Ohrwurm. Das Lied ging mir einfach nicht aus dem Kopf.
Vom Ort aus ist der Mount Crumpit nicht zu übersehen: Der Berg ist gut an seiner eigenwillig gebogenen Spitze zu erkennen. Und ebenfalls gleich zu sehen: Das Ding ist keinesfalls höher als 914 Meter. 3000 Meter? Unsinn!
Man könnte von hier aus direkt aufsteigen. Den Gang durch das schnuckelige Örtchen sollte man sich allerdings nicht entgehen lassen: Die Einwohner sind offenbar große Weihnachtsfans. Whoville ist dementsprechend zur Weihnachtszeit herrlich geschmückt. Jedes Haus war beleuchtet, jeder Garten geschmückt, und allüberall auf den Tannenspitzen sah ich goldene Lichtlein sitzen. Der Ort macht sogar Käthe Wohlfahrt Konkurrenz!
Ich schlenderte über den frühmorgens noch stillen Marktplatz, nur aus einem einzigen Haus hörte ich die ersten Geräusche. Es war wieder dieses Lied, in einer Whoville-Variante offenbar. Dann verließ ich den Ort nordwärts. Hier stand ein Schild, das mich Richtung Mount Crumpit wies. Das einzige, das ich am heutigen Tag vorfand. Andere Markierungen waren vermutlich im watteweichen Schnee verschwunden.
Irgendwo fand ich letzte Spuren im Schnee, Pferdehufe. Da ist wohl - ähem - ein Ross entsprungen. Dann tauchte ich endgültig ein in die Stille der morgendlichen Winterlandschaft. Nur das Glöckchen an meinem Rucksack war zu hören. Kling, Glöckchen, kling, s’ist als ob Engelein singen.
Zunächst war ein weites Schneefeld zu überwinden, was mir nicht ganz leicht fiel, weil nachts offenbar doch recht viel lockerer Neuschnee gefallen war. Also kamen gleich hier die Tennisschläger an die Füße. Damit ging's doch gleich leichter! Ich durchquerte einen Wald und dachte: Ach bittrer Winter, wie bist du kalt. Du hast entlaubet den grünen Wald! Aber dann blieben die Laubbäume mehr und mehr zurück. Und so stapfte ich hinüber zum Bergfuß, den ich bald erreichte.
Zunächst geht's in einer breiten Schneise einen weiten Hang hinauf. Dieser Hang ist schon im unteren Teil ordentlich steil. Er steilt aber weiter oben noch ordentlicher auf. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass der gar nicht aufhört. Je weiter ich hinaufstieg, desto länger zog es sich.
Und plötzlich war's mit meiner Ruhe vorbei. Denn hier kamen mir plötzlich vier Teenager entgegen, die ohne Rücksicht auf Verluste den Berg hinunterrannten. Offenbar in heller Aufregung! Und ich bekam erste Zweifel, was mein Vorhaben anging. Aber was konnte dort oben schon Unheimliches lauern?
Egal. Ein paar Plätzchen aus dem Rucksack holen, dann Konzentration auf die Tour. Und fort mit diesem furchtbaren Ohrwurm! Mein erstes Etappenziel: eine markante Schulter rechts unterhalb des Gipfels.
Na, jedenfalls wirkt es von unten so. Tatsächlich hat man bis zum Gipfel nicht weniger als drei solcher Schultern zu überwinden. Kaum hat man eine hinter sich, taucht auch schon die nächste auf.
Als es weiter oben dann felsiger wurde, hatte ich wieder den Eindruck, langsamer voranzukommen, als es sich eigentlich anfühlen müsste. Ich schob das auf den dichten Schnee und hielt mich in der Folge wieder näher bei den Bäumen. Tannen, unter denen weniger Schnee lag. Die grünen zum Glück nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit.
Die Schwierigkeiten erreichen hier, na, sagen wir: Felskletterei bis II, bei idealer Routenwahl. Vielleicht geht es sogar noch einfacher, aber der Schnee hatte eventuelle Markierungen verschwinden lassen, und ich bin alles andere als ein Einheimischer mit Ortskenntnissen.
A propos einheimisch... Wie ich so strolcht' durch den finstern Tann, da sah ich ein kleines Mädchen mit imposanter Hochsteckfrisur den Berg hinaufsteigen. Für mich bedeutete das erst einmal: Entwarnung, so groß konnte die Gefahr also doch nicht sein, falls dort oben auf dem Berg überhaupt eine lauerte. Nur: Was müssen in dieser Gegend für Leute wohnen! Wer lässt ein kleines Mädchen allein an diesem Berg herumklettern? Um diese Zeit? Unverantwortlich...
Bevor ich sie ansprechen konnte, war sie aber schon wieder weg. Ich hielt mich in der Folge an ihre Spuren. Und an die Bäume, die halfen beim Vorankommen.
Dann erreichte ich - endlich! - ein breites Band, das sich nach rechts zur Schulter hinaufzieht. Hier war es deutlich leichter, voranzukommen. Mit Andacht, Lust und Freud stieg ich weiter auf. Und weil's jetzt besser ging, war er prompt wieder da, mein Ohrwurm... Also schnell weiter auf dem Band. Schmale Passagen gibt es hier und da, und die wollen mit Vorsicht genommen werden. Insgesamt ist das Band jedoch gut begehbar. Felsig, buschig, eisig, aber gut begehbar. Es zog sich trotzdem wie ein Gummiband. Wie weit entfernt konnte die Schulter denn noch sein?
Nun, wenn weiter oben die Vegetation dürftiger wird, ist man dann endlich auf der Schulter angekommen.
Hier legte ich eine kurze Pause ein und gönnte mir einen dicken Lebkuchen. Der Gipfel schien auch bereits in greifbarer Nähe zu sein! Aber die Perspektive (und die bisher gemachte Erfahrung) täuscht: Es war wohl noch ein gutes Stück.
Mein nächstes Etappenziel war die nächste Schulter, links oben. Es galt in der Folge, eine geeignete Route durch das letzte kleine Waldstück und eine felsige Steilstufe dahinter zu finden.
Im tiefen Schnee stapfte ich voran. Aber wieder konnte ich die Einsamkeit nicht lange genießen. Denn im Wäldchen stolperte ich schon wieder über Spuren. Irgendetwas hatte einen Abdruck im Schnee hinterlassen. Allerdings keinen menschlichen Abdruck..... Das sah auf den ersten Blick eher wie ein Hund aus! Aber dann war da noch so etwas wie ein Geweih zu sehen. War's vielleicht ein Rentier? Ein Ren-Hund?!? Na, hoffentlich geht's ihm gut....
Ich kämpfte mich weiter voran und entdeckte bald ein weiteres Band, das mich nach links hinauf führte. Wieder zog sich der Aufstieg viel länger hin, als es von der ersten Schulter aus den Anschein gehabt hatte. Aber mittlerweile wunderte mich nichts mehr. Irgendetwas ging vor an diesem Berg. Und dann diese Jugendlichen, das Mädchen, der Ren-Hund - hier ging es definitiv nicht mit rechten Dingen zu.
Dann stand ich endlich auf der nächsten Schulter. Lebkuchenpause! Von hier aus war der Schlussanstieg ganz gut einzusehen: Ich querte in der Folge unter einer deutlichen Felsrippe nach rechts zu einer dritten und letzten Schulter, und ging danach den Schlussanstieg über den schneebedeckten Gipfelhang von ganz rechts nach links zum höchsten Punkt an.
Hier gilt besondere Vorsicht, denn die Flanke ist lawinengefährdet.
Zum Glück war der Schnee hier beinhart, und ich kam gut voran. Des war ich froh, war ich froh. Aber wieder zog es sich und zog es sich, dazu war mein alter Ohrwurm wieder da... Dann aber hatte ich endlich den Gipfel erreicht und ich wollte gleich die phantastische Aussicht genießen, da -
...fiel mir etwas auf. Etwas sehr Seltsames. Denn der Berg hatte doch eigentlich von unten ausgesehen, als sei er gerade mal 914 Meter hoch. Aber dann hatte sich der Anstieg so sehr in die Länge gezogen! Und von hier oben nun hatte man einen Ausblick, wie ihn eigentlich nur 3000er bieten! Wie kann das denn sein?!? Der Berg wird doch nicht... etwa... in die Höhe wachsen, während man ihn besteigt? Kann der Berg 914 Meter und 3048 Meter hoch sein? Nein, so einen Berg gibt's auf der ganzen Welt nicht.
Um der Verwirrung entgegenzuwirken, griff ich schnell in meinen Rucksack, holte die Thermos heraus und nahm einen großen Schluck vom heißen Glühwein. Einen Lebkuchen fand ich auch noch, und ein paar Spekulati-... -lati-... -lati-... ähhh... Herrje, was ist denn nun der Plural von "Spekulatius"!!!
...da riss plötzlich jemand die Himmel auf und die Sonne kam heraus. Und es bot sich eine wirklich herrliche Rundsicht!
Aber eben die von einem 3000er....
Gleich noch einen Schluck Glühwein nehmen.
Die weihnachtliche Winteridylle wurde allerdings recht schnell getrübt. Ich wollte gerade meine übliche 360°-Drehung beginnen, da entdeckte ich etwas, das die Schönheit der Gipfelregion doch recht empfindlich störte: Knapp unter dem Gipfel befindet sich - man glaubt es kaum - ein Müllhaufen! Haben hier etwa verantwortungslose Bergsteiger ihre Bananenschalen, Bierflaschen und Brotzeittüten liegen lassen? Aber Bergsteiger sind doch eigentlich ein verantwortungsvolles Völkchen! Die konnten das nicht gewesen sein. Denn das, was hier herumlag, war keine Alpinistenausrüstung. Stattdessen: Spielzeug, Schrott, Verpackungsmüll! Neuwertiges Zeug zum Teil! Wer wirft denn sowas weg? Und vor allem: Wie kommt das hier herauf? Ich hatte natürlich sofort die vier Jugendlichen im Verdacht. Und das kleine Mädchen! Ja, die mussten das gewesen sein, ganz bestimmt!
Ich verließ den Gipfel mit der Absicht, diese Lümmel ihrer gerechten Strafe zu überantworten. Unten im Ort, bei ihren Eltern. Falls ich sie unterwegs irgendwo erwischen sollte. Also wirklich!
Kalt war's! Leise rieselte der Schnee. Und geblasen hat's. Windelein so schlecht! Aber zum Glück spendete die Sonne Licht auf dunklem Wege. Wieder unten auf der Gipfelschulter hatte ich dann auch noch einmal einen herrlichen Blick nach Süden; hinunter nach Whoville, wo inzwischen alle Fenster lustig beleuchtet waren. Wie strahlt´s aus der Ferne! Und hörte ich da nicht auch ein Lied heraufklingen? Lustig, lustig, trallerallera? Na, für mich ging's erst einmal nach links weiter, in die Querung unter dem Gipfel auf die nächsttiefere Schulter. Herab, herab vom Berge lauf.
Unterwegs gelangte ich durch Zufall auf einen breiten Absatz. Und hier machte ich eine ungewöhnliche Entdeckung: In der Felswand zu meiner Linken befindet sich doch tatsächlich eine Holztür! Neugierig wie ich bin, ging ich hinüber und versuchte herauszufinden, was sich dahinter verbarg. Oder wer! Aber nein, dort konnte nicht wirklich jemand wohnen, oder? Ein Türschild gab es jedenfalls nicht. Sollte ich mal klopfen? Abreissen, wo Schloss und Riegel für? Öffnet mir die Türen, lasst mich nicht erfrieren? Lieber nicht. Es scheint jemanden zu geben, der etwas dagegen hat, dass neugierige Leute wie ich hier herumschnüffeln. Jedenfalls befinden sich auf dem Absatz gleich mehrere Schilder, auf denen Sachen stehen wie: "Keep out!". Als dann hinter der Tür ein ziemlich unheimliches Geheul ertönte, und dann auch noch eine ganz besonders schreckliche Version des Liedes, dass ich den ganzen Tag schon ihm Ohr hatte, schaute ich, dass ich mich aus dem Staub machte... Ich wollte doch nur meine Ruhe! Was für ein Berg!
Recht wohl konnt ich von dannen gehn. Runter geht's schließlich schneller als rauf. Und so gelangte ich überraschend schnell hinunter zur nächsten Schulter. Ich fand das Band wieder, und kam auch auf diesem deutlich schneller voran, als ich erwartet hatte. Als ob der Mount Crumpit im Abstieg kleiner wäre als im Aufstieg! Ist schon seltsam, dieser Berg. Am Ende des Bandes gelangte ich in die Felsen und querte nun ein ganzes Stück weit Richtung Westen, bis weit hinter der Stelle, an der ich am Morgen heraufgekommen war. Hier hatte ich einen wunderbaren Tiefblick zu einem See, still und starr und zugefroren, da -
...rauschte plötzlich ein Schlitten an mir vorbei! Mit einem irren Tempo! Und mit einem riesigen roten Sack vollkommen überladen. Dazu erklang - in voller Lautstärke! - dieses Lied. Wer ihn fuhr, eilig hernieder zur Erd, konnte ich leider nicht erkennen. Offensichtlich aber ein Verrückter, denn Sanftmütigkeit war definitiv nicht sein Gefährt. Ich konnte nur hoffen, dass er das kleine Mädchen nicht mit dabei hatte!
Herrje! Was ist nur los mit diesem Berg! An diesem Berg! Ich dachte nur: Lasset fahr’n, o liebe Brüder, folgte der Schlittenspur und gelangte bald wieder hinunter nach Whoville.
Hier herrschte unterdessen große Aufregung, denn der Schlitten war natürlich mit vollem Tempo in den Ort gerauscht und hatte dort einiges an Verwüstung angerichtet. Ich hielt mich fern von dem Trubel, der dadurch ausgelöst worden war, war doch schon meine Tour nicht annähernd so still verlaufen, wie ich es mir gewünscht hatte. Bloß weg! Noch mehr Krach konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.
Fazit:
Eine stille Tour zu Weihnachten hatte ich mir gewünscht, abseits allen Trubels. Und was hatte ich bekommen? Tobende Teenager, ein mutiges Mädchen, Spuren eines Ren-Hundes, eine Müllhalde am Gipfel, Geheul in der Dunkelheit - und einen Verrückten, der sich für den Hackl-Schorsch hielt. Und dann auch noch Party im Ort! Gesang tönet durch die Lüfte - sogar die Alten sungen! Also, ich sag's Euch: Nie wieder Whoville, nie wieder Mount Crumpit! Stille Nacht? Ganz im Gegenteil! Weihnachten ist woanders. Definitiv.
Wer sich trotzdem genauer über den Mount Crumpit informieren möchte, kann sich hier einlesen, oder sich das hier ansehen. Ist aber auf eigene Gefahr.
Und jetzt schnell nach Hause, denn es wird scho glei dumpa, und dahoam wartet die Weihnachtsgans! Einmal werden wir noch wach, heißa dann ist Weihnachts- äh, -tach!
P. S.:
Und Ihr ahnt es: Von unten sieht der Berg wieder aus wie ein 900er. 3000 Meter? Oder doch nur 3000 Fuß? Ich hab's einfach nicht rauskriegen können. Woran das wohl liegt? So sehr ich auch nachgrüble, ich komm' einfach nicht dahinter....
Ach, Weihnachten! Die Welt ist tief verschneit, die Schneekristalle glitzern, und irgendwo erklingen helle Glocken. In den Fenstern leuchten bunte Lichter und ein Kachelofen verbreitet wohlige Wärme. Aber bevor die Weihnachtszeit so richtig beginnt, nutzen viele noch die Gelegenheit, etwas Besonderes zu machen. Während andere in der Stadt den letzten Geschenken nachjagen, ziehen sie hinaus in den weißen Winterwald.
Mein Ziel am heutigen Heiligabend ist der Mount Crumpit. Und prompt musste ich feststellen: Der hat hier ja noch gar keinen Tourenbericht! Das ist seltsam. Dabei ist er doch so markant - und entsprechend auch bekannt!
Na, dann hole ich das mal nach. Eine Winterbegehung, solo, schließlich war ich auf der Suche nach Ruhe und Frieden. Ursprünglich wollten Carol und Mary noch mit, die sind am Ende dann aber doch lieber zuhause im Warmen geblieben.
Mir ging es dabei - natürlich! - vor allem um die bergsteigerische Leistung. Hihi. Aber auch darum, das Rätsel um seine Höhe zu lösen. Die beiden Quellen, die ich besitze, widersprechen einander in diesem Punkt nämlich, und das nicht unerheblich: In der einen heißt es, der Berg sei zehntausend Fuß hoch, also 3048 Meter. Das wäre dann schon ein ordentlicher Gipfel! In der anderen Quelle aber steht dann etwas von nur dreitausend Fuß, und das wären nicht mehr als 914 Meter! Und das ist doch ein ziemlicher Unterschied!
Ist das überhaupt derselbe Berg?
Stellt sich heraus, dass das gar nicht so leicht herauszufinden ist. Denn es gibt kaum brauchbares Kartenmaterial. Man hat fast den Eindruck, den Berg gäbe es gar nicht wirklich...
Aber ich wurde dann doch noch fündig: Der Gipfel befindet sich nördlich eines Dörfchens namens Whoville, und er ist von dort aus sogar zu Fuß zu erreichen. Na also! Nichts wie hin! Muss ich eben selbst nachsehen, wie hoch der Berg nun wirklich ist. Sollte ja nicht so schwierig sein.
Unterwegs nach Whoville lief im Radio dann dieser Song. Den ich bis dato gar nicht kannte. Ein etwas seltsames Weihnachtslied, fand ich. Aber hey, auch für Seltsam ist schließlich Weihnachten!
An kam ich schließlich mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. Start meiner Tour war auf dem großen Wanderparkplatz im kleinen Whoville. Und schon beim Losmarschieren hatte ich diesen Ohrwurm. Das Lied ging mir einfach nicht aus dem Kopf.
Vom Ort aus ist der Mount Crumpit nicht zu übersehen: Der Berg ist gut an seiner eigenwillig gebogenen Spitze zu erkennen. Und ebenfalls gleich zu sehen: Das Ding ist keinesfalls höher als 914 Meter. 3000 Meter? Unsinn!
Man könnte von hier aus direkt aufsteigen. Den Gang durch das schnuckelige Örtchen sollte man sich allerdings nicht entgehen lassen: Die Einwohner sind offenbar große Weihnachtsfans. Whoville ist dementsprechend zur Weihnachtszeit herrlich geschmückt. Jedes Haus war beleuchtet, jeder Garten geschmückt, und allüberall auf den Tannenspitzen sah ich goldene Lichtlein sitzen. Der Ort macht sogar Käthe Wohlfahrt Konkurrenz!
Ich schlenderte über den frühmorgens noch stillen Marktplatz, nur aus einem einzigen Haus hörte ich die ersten Geräusche. Es war wieder dieses Lied, in einer Whoville-Variante offenbar. Dann verließ ich den Ort nordwärts. Hier stand ein Schild, das mich Richtung Mount Crumpit wies. Das einzige, das ich am heutigen Tag vorfand. Andere Markierungen waren vermutlich im watteweichen Schnee verschwunden.
Irgendwo fand ich letzte Spuren im Schnee, Pferdehufe. Da ist wohl - ähem - ein Ross entsprungen. Dann tauchte ich endgültig ein in die Stille der morgendlichen Winterlandschaft. Nur das Glöckchen an meinem Rucksack war zu hören. Kling, Glöckchen, kling, s’ist als ob Engelein singen.
Zunächst war ein weites Schneefeld zu überwinden, was mir nicht ganz leicht fiel, weil nachts offenbar doch recht viel lockerer Neuschnee gefallen war. Also kamen gleich hier die Tennisschläger an die Füße. Damit ging's doch gleich leichter! Ich durchquerte einen Wald und dachte: Ach bittrer Winter, wie bist du kalt. Du hast entlaubet den grünen Wald! Aber dann blieben die Laubbäume mehr und mehr zurück. Und so stapfte ich hinüber zum Bergfuß, den ich bald erreichte.
Zunächst geht's in einer breiten Schneise einen weiten Hang hinauf. Dieser Hang ist schon im unteren Teil ordentlich steil. Er steilt aber weiter oben noch ordentlicher auf. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass der gar nicht aufhört. Je weiter ich hinaufstieg, desto länger zog es sich.
Und plötzlich war's mit meiner Ruhe vorbei. Denn hier kamen mir plötzlich vier Teenager entgegen, die ohne Rücksicht auf Verluste den Berg hinunterrannten. Offenbar in heller Aufregung! Und ich bekam erste Zweifel, was mein Vorhaben anging. Aber was konnte dort oben schon Unheimliches lauern?
Egal. Ein paar Plätzchen aus dem Rucksack holen, dann Konzentration auf die Tour. Und fort mit diesem furchtbaren Ohrwurm! Mein erstes Etappenziel: eine markante Schulter rechts unterhalb des Gipfels.
Na, jedenfalls wirkt es von unten so. Tatsächlich hat man bis zum Gipfel nicht weniger als drei solcher Schultern zu überwinden. Kaum hat man eine hinter sich, taucht auch schon die nächste auf.
Als es weiter oben dann felsiger wurde, hatte ich wieder den Eindruck, langsamer voranzukommen, als es sich eigentlich anfühlen müsste. Ich schob das auf den dichten Schnee und hielt mich in der Folge wieder näher bei den Bäumen. Tannen, unter denen weniger Schnee lag. Die grünen zum Glück nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit.
Die Schwierigkeiten erreichen hier, na, sagen wir: Felskletterei bis II, bei idealer Routenwahl. Vielleicht geht es sogar noch einfacher, aber der Schnee hatte eventuelle Markierungen verschwinden lassen, und ich bin alles andere als ein Einheimischer mit Ortskenntnissen.
A propos einheimisch... Wie ich so strolcht' durch den finstern Tann, da sah ich ein kleines Mädchen mit imposanter Hochsteckfrisur den Berg hinaufsteigen. Für mich bedeutete das erst einmal: Entwarnung, so groß konnte die Gefahr also doch nicht sein, falls dort oben auf dem Berg überhaupt eine lauerte. Nur: Was müssen in dieser Gegend für Leute wohnen! Wer lässt ein kleines Mädchen allein an diesem Berg herumklettern? Um diese Zeit? Unverantwortlich...
Bevor ich sie ansprechen konnte, war sie aber schon wieder weg. Ich hielt mich in der Folge an ihre Spuren. Und an die Bäume, die halfen beim Vorankommen.
Dann erreichte ich - endlich! - ein breites Band, das sich nach rechts zur Schulter hinaufzieht. Hier war es deutlich leichter, voranzukommen. Mit Andacht, Lust und Freud stieg ich weiter auf. Und weil's jetzt besser ging, war er prompt wieder da, mein Ohrwurm... Also schnell weiter auf dem Band. Schmale Passagen gibt es hier und da, und die wollen mit Vorsicht genommen werden. Insgesamt ist das Band jedoch gut begehbar. Felsig, buschig, eisig, aber gut begehbar. Es zog sich trotzdem wie ein Gummiband. Wie weit entfernt konnte die Schulter denn noch sein?
Nun, wenn weiter oben die Vegetation dürftiger wird, ist man dann endlich auf der Schulter angekommen.
Hier legte ich eine kurze Pause ein und gönnte mir einen dicken Lebkuchen. Der Gipfel schien auch bereits in greifbarer Nähe zu sein! Aber die Perspektive (und die bisher gemachte Erfahrung) täuscht: Es war wohl noch ein gutes Stück.
Mein nächstes Etappenziel war die nächste Schulter, links oben. Es galt in der Folge, eine geeignete Route durch das letzte kleine Waldstück und eine felsige Steilstufe dahinter zu finden.
Im tiefen Schnee stapfte ich voran. Aber wieder konnte ich die Einsamkeit nicht lange genießen. Denn im Wäldchen stolperte ich schon wieder über Spuren. Irgendetwas hatte einen Abdruck im Schnee hinterlassen. Allerdings keinen menschlichen Abdruck..... Das sah auf den ersten Blick eher wie ein Hund aus! Aber dann war da noch so etwas wie ein Geweih zu sehen. War's vielleicht ein Rentier? Ein Ren-Hund?!? Na, hoffentlich geht's ihm gut....
Ich kämpfte mich weiter voran und entdeckte bald ein weiteres Band, das mich nach links hinauf führte. Wieder zog sich der Aufstieg viel länger hin, als es von der ersten Schulter aus den Anschein gehabt hatte. Aber mittlerweile wunderte mich nichts mehr. Irgendetwas ging vor an diesem Berg. Und dann diese Jugendlichen, das Mädchen, der Ren-Hund - hier ging es definitiv nicht mit rechten Dingen zu.
Dann stand ich endlich auf der nächsten Schulter. Lebkuchenpause! Von hier aus war der Schlussanstieg ganz gut einzusehen: Ich querte in der Folge unter einer deutlichen Felsrippe nach rechts zu einer dritten und letzten Schulter, und ging danach den Schlussanstieg über den schneebedeckten Gipfelhang von ganz rechts nach links zum höchsten Punkt an.
Hier gilt besondere Vorsicht, denn die Flanke ist lawinengefährdet.
Zum Glück war der Schnee hier beinhart, und ich kam gut voran. Des war ich froh, war ich froh. Aber wieder zog es sich und zog es sich, dazu war mein alter Ohrwurm wieder da... Dann aber hatte ich endlich den Gipfel erreicht und ich wollte gleich die phantastische Aussicht genießen, da -
...fiel mir etwas auf. Etwas sehr Seltsames. Denn der Berg hatte doch eigentlich von unten ausgesehen, als sei er gerade mal 914 Meter hoch. Aber dann hatte sich der Anstieg so sehr in die Länge gezogen! Und von hier oben nun hatte man einen Ausblick, wie ihn eigentlich nur 3000er bieten! Wie kann das denn sein?!? Der Berg wird doch nicht... etwa... in die Höhe wachsen, während man ihn besteigt? Kann der Berg 914 Meter und 3048 Meter hoch sein? Nein, so einen Berg gibt's auf der ganzen Welt nicht.
Um der Verwirrung entgegenzuwirken, griff ich schnell in meinen Rucksack, holte die Thermos heraus und nahm einen großen Schluck vom heißen Glühwein. Einen Lebkuchen fand ich auch noch, und ein paar Spekulati-... -lati-... -lati-... ähhh... Herrje, was ist denn nun der Plural von "Spekulatius"!!!
...da riss plötzlich jemand die Himmel auf und die Sonne kam heraus. Und es bot sich eine wirklich herrliche Rundsicht!
Aber eben die von einem 3000er....
Gleich noch einen Schluck Glühwein nehmen.
Die weihnachtliche Winteridylle wurde allerdings recht schnell getrübt. Ich wollte gerade meine übliche 360°-Drehung beginnen, da entdeckte ich etwas, das die Schönheit der Gipfelregion doch recht empfindlich störte: Knapp unter dem Gipfel befindet sich - man glaubt es kaum - ein Müllhaufen! Haben hier etwa verantwortungslose Bergsteiger ihre Bananenschalen, Bierflaschen und Brotzeittüten liegen lassen? Aber Bergsteiger sind doch eigentlich ein verantwortungsvolles Völkchen! Die konnten das nicht gewesen sein. Denn das, was hier herumlag, war keine Alpinistenausrüstung. Stattdessen: Spielzeug, Schrott, Verpackungsmüll! Neuwertiges Zeug zum Teil! Wer wirft denn sowas weg? Und vor allem: Wie kommt das hier herauf? Ich hatte natürlich sofort die vier Jugendlichen im Verdacht. Und das kleine Mädchen! Ja, die mussten das gewesen sein, ganz bestimmt!
Ich verließ den Gipfel mit der Absicht, diese Lümmel ihrer gerechten Strafe zu überantworten. Unten im Ort, bei ihren Eltern. Falls ich sie unterwegs irgendwo erwischen sollte. Also wirklich!
Kalt war's! Leise rieselte der Schnee. Und geblasen hat's. Windelein so schlecht! Aber zum Glück spendete die Sonne Licht auf dunklem Wege. Wieder unten auf der Gipfelschulter hatte ich dann auch noch einmal einen herrlichen Blick nach Süden; hinunter nach Whoville, wo inzwischen alle Fenster lustig beleuchtet waren. Wie strahlt´s aus der Ferne! Und hörte ich da nicht auch ein Lied heraufklingen? Lustig, lustig, trallerallera? Na, für mich ging's erst einmal nach links weiter, in die Querung unter dem Gipfel auf die nächsttiefere Schulter. Herab, herab vom Berge lauf.
Unterwegs gelangte ich durch Zufall auf einen breiten Absatz. Und hier machte ich eine ungewöhnliche Entdeckung: In der Felswand zu meiner Linken befindet sich doch tatsächlich eine Holztür! Neugierig wie ich bin, ging ich hinüber und versuchte herauszufinden, was sich dahinter verbarg. Oder wer! Aber nein, dort konnte nicht wirklich jemand wohnen, oder? Ein Türschild gab es jedenfalls nicht. Sollte ich mal klopfen? Abreissen, wo Schloss und Riegel für? Öffnet mir die Türen, lasst mich nicht erfrieren? Lieber nicht. Es scheint jemanden zu geben, der etwas dagegen hat, dass neugierige Leute wie ich hier herumschnüffeln. Jedenfalls befinden sich auf dem Absatz gleich mehrere Schilder, auf denen Sachen stehen wie: "Keep out!". Als dann hinter der Tür ein ziemlich unheimliches Geheul ertönte, und dann auch noch eine ganz besonders schreckliche Version des Liedes, dass ich den ganzen Tag schon ihm Ohr hatte, schaute ich, dass ich mich aus dem Staub machte... Ich wollte doch nur meine Ruhe! Was für ein Berg!
Recht wohl konnt ich von dannen gehn. Runter geht's schließlich schneller als rauf. Und so gelangte ich überraschend schnell hinunter zur nächsten Schulter. Ich fand das Band wieder, und kam auch auf diesem deutlich schneller voran, als ich erwartet hatte. Als ob der Mount Crumpit im Abstieg kleiner wäre als im Aufstieg! Ist schon seltsam, dieser Berg. Am Ende des Bandes gelangte ich in die Felsen und querte nun ein ganzes Stück weit Richtung Westen, bis weit hinter der Stelle, an der ich am Morgen heraufgekommen war. Hier hatte ich einen wunderbaren Tiefblick zu einem See, still und starr und zugefroren, da -
...rauschte plötzlich ein Schlitten an mir vorbei! Mit einem irren Tempo! Und mit einem riesigen roten Sack vollkommen überladen. Dazu erklang - in voller Lautstärke! - dieses Lied. Wer ihn fuhr, eilig hernieder zur Erd, konnte ich leider nicht erkennen. Offensichtlich aber ein Verrückter, denn Sanftmütigkeit war definitiv nicht sein Gefährt. Ich konnte nur hoffen, dass er das kleine Mädchen nicht mit dabei hatte!
Herrje! Was ist nur los mit diesem Berg! An diesem Berg! Ich dachte nur: Lasset fahr’n, o liebe Brüder, folgte der Schlittenspur und gelangte bald wieder hinunter nach Whoville.
Hier herrschte unterdessen große Aufregung, denn der Schlitten war natürlich mit vollem Tempo in den Ort gerauscht und hatte dort einiges an Verwüstung angerichtet. Ich hielt mich fern von dem Trubel, der dadurch ausgelöst worden war, war doch schon meine Tour nicht annähernd so still verlaufen, wie ich es mir gewünscht hatte. Bloß weg! Noch mehr Krach konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.
Fazit:
Eine stille Tour zu Weihnachten hatte ich mir gewünscht, abseits allen Trubels. Und was hatte ich bekommen? Tobende Teenager, ein mutiges Mädchen, Spuren eines Ren-Hundes, eine Müllhalde am Gipfel, Geheul in der Dunkelheit - und einen Verrückten, der sich für den Hackl-Schorsch hielt. Und dann auch noch Party im Ort! Gesang tönet durch die Lüfte - sogar die Alten sungen! Also, ich sag's Euch: Nie wieder Whoville, nie wieder Mount Crumpit! Stille Nacht? Ganz im Gegenteil! Weihnachten ist woanders. Definitiv.
Wer sich trotzdem genauer über den Mount Crumpit informieren möchte, kann sich hier einlesen, oder sich das hier ansehen. Ist aber auf eigene Gefahr.
Und in diesem Sinne wünsche ich Euch allen frohe Weihnachten, den Wanderern und Wand'rerinnen, Bergsteigern und Bergsteigerinnen, allen dazwischen, Schlittenpilotierenden, Mädchen, Sternchen, Teenagern, und natürlich den Grinches!
Besonders liebe Grüße an meine beiden Fast-Begleiterinnen, Christmas Carol und Mary Christmas!
Und ganz besondere Grüße all jenen, die heute auch noch Geburtstag haben!
Und nicht zu vergessen die, für die heute ein ganz normaler Tag ist. Habt einen schönen, ruhigen Tag!
Und jetzt schnell nach Hause, denn es wird scho glei dumpa, und dahoam wartet die Weihnachtsgans! Einmal werden wir noch wach, heißa dann ist Weihnachts- äh, -tach!
P. S.:
Und Ihr ahnt es: Von unten sieht der Berg wieder aus wie ein 900er. 3000 Meter? Oder doch nur 3000 Fuß? Ich hab's einfach nicht rauskriegen können. Woran das wohl liegt? So sehr ich auch nachgrüble, ich komm' einfach nicht dahinter....
Tourengänger:
Nik Brückner
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