Grand Goliath und der Schippensprung
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Was fast wie ein Märchen beginnt, wird zwischendurch dramatisch, um dann mit viel Glück und einem Schippensprung zu enden. So viel vorab. Aber kommen wir nun zum Anfang dieser Geschichte aus dem Hause Schweizkappe:
Gegen ca. 4 Uhr klingelte zwar kein Wecker, aber irgendwelche inneren Uhren waren da doch im Spiel, dass ich nicht weiter schlafen konnte. Für die eigentliche Tour auf den großen Goliath war es noch zu früh, aber für eine kleine Sonnenaufgangstour eben nicht. Dabei entstanden ein paar nette Bildchen, die ich mit an diesen Bericht hängen werde. Bin gegen ca. 04:40 Uhr hinauf zur ehemaligen Liftstation Chenalette getappt. Der Sonnenaufgang, vorbeiziehende Wolken und der menschenleere Ort zauberten eine fast märchenhafte Stimmung. Toller Start in diesen Sonntag.
Nach einem Petit Dejeuner (was überhaupt gar nicht soo petit war!), fuhr ich dann zum Ausgangspunkt. Natürlich parkte ich mal wieder dort, wo ich eigentlich nicht parken wollte. Dafür begann praktischerweise exakt dort ein Wanderweg (Nr 12 A), der mich zur oberen Alp Praz di Farco führte. Hätte ich diesen Weg praktisch, weise und geduldig weiter fortgesetzt, wäre ich auch ohne kleine Außensichel zum Pass Col de Saint Rhemy gekommen. Weil ich mir jedoch eine eigene Interpretation machte, wo genau meine Tour hinführt, geriet ich etwas auf Abwege.
Egal, zum Pass bzw Col de Saint Rhemy kam ich dann trotzdem und nun sah ich auch zum 1. Mal mein heutiges Ziel, den Grand Goliath
Bis dorthin war es jedoch noch ein langer Weg. Weiter ging es ins Tal Comba des Thoules hinein, immer noch dem Wanderweg 12 A folgend. Erst auf einer Höhe von 2750m verlässt man diesen Weg, steigt durch eine Senke und danach mühsam einen nicht gerade unsteilen Geröllhang empor. Hier wartete ein großes Schneefeld auf mich.
Was vermutlich im Verlauf des Jahres nur noch schneefreier Schutt ist, entpuppte sich in diesem Juli noch als gut begehbarer Schneehang. Zwar schon etwas aufgeweicht, aber immer noch besser als Schutt... DIE Materie liegt mir bekanntermaßen nicht unbedingt so richtig am Herzen.
Nach einigen hundert Metern erreichte ich dann den markanten Felsriegel. Direkt dort, wo auch ein kleiner Bach den Fels hinab rieselt, geht es linker Hand in die Felsen. Nach ein paar Metern habe ich mich dann wieder rechtsseitig orientiert, weil mir ein gut begehbares Band ins Auge fiel, welches mich in die Rinne führte, in der auch der genannte kleine Bach rieselte. Dort läßt es sich dann etwas unangenehm, aber machbar hinaufsteigen. Alsbald flacht der Felsriegel wieder ab und ich komme zum oberen Schneefeld (auch dieses wird im fortgeschrittenen Sommer wohl nicht mehr vorhanden sein und man darf sich dann im "fluffigen" Schutt austoben)
Über den schneebedeckten Hang geht es dann immer steiler hinauf in den Sattel zwischen Petit und Grand Goliath. Schöne Blicke gibt`s von dort Richtung Montblanc und Grandes Jorasses. Aber mit Blicken allein kommt man nicht zum Gipfel und so mache ich mich schnell auf, den Südwestgrat zu erklimmen. Dabei halte ich mich etwas links vom Grat in der Flanke. Über angenehme Bänder gelange ich zum Vorgipfel, welcher schon recht ausgesetzt erklettert werden will.
Die Tour habe ich dann an genau diesem Vorgipfel des Grand Goliath abgebrochen. Meine eigene Risikoabwägung sagte mir hier ein klares NO für`s weitergehen. Die Aussage im Buch, der Fels sei nicht von bester Qualität bzw brüchig, kann ich absolut bestätigen. Verbunden mit einer nicht zu leugnenden Ausgesetztheit fängt der Spaßfaktor an, etwas zweifelhaft zu werden. Und weil Hin- UND Rückweg der Gleiche ist, macht es doppelt....KEINEN Spaß.
Und JA, dies ist meine ganz persönliche Beurteilung. Vermutlich werden Andere zu einem ganz anderen Ergebnis kommen und die restlichen Meter möglicherweise als viel weniger riskant empfinden. Da ich aber hier auf Hikr noch keinen Tourenbericht darüber fand, gehe ich davon aus, dass diese Tour nicht allzu häufig unternommen wird!
Der folgende Abstieg führte exakt über den zuvor genommenen Aufstiegsweg. Nach dem steilen Firnfeld gelangte ich wieder zum markanten Felsriegel. Dort, wo das kleine Bächlein hinab rieselte, begann ich durch unangenehmes (weil immer noch geröllig bzw schuttig bzw brüchig) Gelände hinab zu steigen. Ein Steinmann zeigte die ungefähre Richtung.
Den Anfang der nun folgenden Minuten kann ich leider überhaupt nicht konkret schildern. Stand ich auf einen größeren Stein, der sich plötzlich in Bewegung setzte?? Stolperte ich mit meinen Steigeisen und verlor das Gleichgewicht?? Egal, was der Ursprung des Sturzes war... er ist komplett von meiner Festplatte gelöscht. Dafür weiß ich umso genauer, wie sich die folgenden Sekunden anfühlten. Nämlich ganz dumpf.... und schmerzlos. Ich fiel, prallte auf, rutschte, fiel, prallte noch mal auf...... und rutschte dann in eine Randkluft. Unterwegs sehen konnte ich nichts bzw nur Bilder eines viel zu schnell laufenden Films. Nach ein paar Sekunden war DIESER Film vorbei - ob ich kurz bewusstlos war, weiß bzw glaub ich nicht.
Aber ich weiß, WIE hoffnungslos der Moment der aufkommenden Realität sich anfühlte. Ca 1,5 bis 2 Meter tief war ich in diese Randkluft gerutscht und vollkommen bewegungsunfähig. Kein Gefühl in den Beinen und durch den irgendwo klemmenden Rucksack sowie meinen Helm war ich zunächst einmal komplett fixiert zwischen Fels und Firn. Um Hilfe rufen brauchte ich erst gar nicht anfangen... ich war am heutigen Tag der einzige Mensch weit und breit auf der Welt, der diesen Berg besteigen wollte. Ich habe trotzdem geschrien....aus Angst, Wut und Verzweiflung... DAS musste mal kurz raus.
Aus dieser scheinbar chancenlosen Situation begann ich trotzdem meine Lage etwas zu verbessern, in dem ich die Schnalle meines Helmes löste. Er fiel dann kurz darauf leider weiter hinunter in die Randkluft, aber ich konnte zumindest meinen Kopf wieder etwas bewegen. Den klemmenden Rucksack konnte ich noch nicht wieder lösen, dafür tauchte überraschenderweise etwas Gefühl in meinen Beinen wieder auf. Durch ein Zusammenspiel von Drücken, Schieben, Strampeln bekam ich plötzlich etwas Spielraum für einen erweiterten Bewegungsradius. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Tatsache, dass während der ganzen Zeit ein Wasserrinnsal am Fels hinab lief, das mich komplett durchnässte, ich die Kälte aber absolut nicht spürte....NOCH nicht spürte! Wie ich den folgenden Meter durch die Randkluft hinauf schaffte, ist mir auch heute ein Rätsel. Es reichte jedenfalls, um soweit hinauf zu rutschen, schieben, drücken, dass ich mich umdrehen konnte und - nun mit dem Rücken zum Fels - mit den Steigeisen Halt im Firn bekam. Nur jetzt nicht noch mal abrutschen und wieder hinunter fallen, war der vorherrschende Gedanke. Da der Firn natürlich ziemlich überhängend war, war es für mich nicht unbedingt trivial mit den Steigeisen Halt zu finden. Mit wirklich allerletzter Kraft schaffte ich es durch 4 Tritte endgültig hinauf zu kommen und auf die Firnseite zu gelangen.
Die nächste bange Frage war, ob das Handy durch den Sturz keinen Schaden erlitten hatte. Eine Erlösung, dass es funktionierte und ich den Notruf 112 betätigen konnte.
Richtig toll war, dass auf Grund von Verständigungsproblemen (ich - kein italienisch, die Frau am anderen Ende der Leitung - kein Englisch) innerhalb weniger Sekunden eine Dolmetscherin dazu geschaltet wurde!! Eine hervorragende Einrichtung, ie ich hier unbedingt hervorheben will, denn so konnten wir unverzüglich meinen ungefähren Standort kommunizieren. Noch während des Gespräches setzten dann bei mir ziemlich starke körperliche Reaktionen ein, ein nicht mehr aufzuhaltenes starkes Zittern, sowie eine absolute Körperschwäche. Ich konnte weder stehen noch kriechen.... Sitzen war schon eine absolute Anstrengung.
Der Rest ist dann tatsächlich schnell erzählt. Als kleiner gelber Punkt tauchte der Heli unten im Tal auf und steuerte die ganze Zeit exakt auf meinen Standpunkt zu. Ohne großes Suchen fanden sie mich sofort. Per Bahre wurde ich hinauf zum Heli geschraubt und dann nach Aosta gebracht. Von dort ging es dann per Rettungswagen ins Krankenhaus. Einen Rippenbruch und 2 leichte Brüche im rechten und linken Fuß wurden später diagnostiziert. Unglaublich bei DER Sturzhöhe!!!!!!!!!!!!
Dass ich heute diesen Bericht schreiben darf, grenzt für mich an ein Wunder. Denn nur durch soooo viele glückliche Umstände und Zufälle habe ich diesen (Berg)Unfall überleben dürfen. Der getragene Helm war sicherlich ein wesentlicher Punkt, ebenfalls die Steigeisen. Die nur geringen Verletzungen ließen mir genügend Energie und Kraft aus der Randkluft wieder hinaus zu klettern. Und hätte es nicht das genannte untere Schneefeld gegeben, so wäre ich sehr wahrscheinlich noch etliche Meter den dann offenliegenden Geröllhang hinunter gestürzt! Was nicht unbedingt förderlich für meine Gesundheit gewesen wäre.
Ich habe diese Tour dem Buch "3000m Schweiz, drunter und drüber" entnommen. Unabhängig von meinem Unfall - denn dieser ereignete sich an einer ganz anderen Stelle! (dieses Fazit hätte ich definitiv auch ohne Nahtoderfahrung gezogen) finde ich, dass solche Touren nicht wirklich empfehlenswert sind. Am Punkt meiner Entscheidung diese Tour hier und heute abzubrechen, wäre meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Stelle zu bewältigen gewesen. Sehr ausgesetzter, nicht vertrauenserweckender sondern sehr brüchiger Fels müssen nicht unbedingt Auswahlkriterien für eine Tourempfehlung sein. Selbstverständlich steht es jedem wackeren Bergsteiger frei, sich diesen Gefahren auszusetzen. Diese Tour aber in einem Buch zu veröffentlichen, finde ich grenzwertig.
Was ursprünglich als 12 Wochen Bergurlaub geplant war, hat sich innerhalb von wenigen Sekunden nun zum mehrwöchigen Krankenstand in Flachlandhausen entwickelt. Tut nicht wirklich gut und fühlt sich auch entsprechend SO an. Sieht man jedoch all die glücklichen Fügungen, so bin ich einfach nur froh, überlebt zu haben. Und NEIN, auf Berge werde ich auch in Zukunft nicht verzichten (können), nur auf weitere Alleingänge. Allen Hikr wünsche ich einen unfallfreien Bergsommer.
Ein allerletztes Wort noch zum Begriff "Schippensprung/Schippenspringer". Ein Freund meines Sohnes erzählte mir mal, das sein Opa Menschen genau mit dieser Begrifflichkeit titulierte, die dem Tod noch einmal so eben von der Schippe gesprungen sind. Ich bin mir sicher, das ich seit DEM Tag wohl dazu gehöre!
Gegen ca. 4 Uhr klingelte zwar kein Wecker, aber irgendwelche inneren Uhren waren da doch im Spiel, dass ich nicht weiter schlafen konnte. Für die eigentliche Tour auf den großen Goliath war es noch zu früh, aber für eine kleine Sonnenaufgangstour eben nicht. Dabei entstanden ein paar nette Bildchen, die ich mit an diesen Bericht hängen werde. Bin gegen ca. 04:40 Uhr hinauf zur ehemaligen Liftstation Chenalette getappt. Der Sonnenaufgang, vorbeiziehende Wolken und der menschenleere Ort zauberten eine fast märchenhafte Stimmung. Toller Start in diesen Sonntag.
Nach einem Petit Dejeuner (was überhaupt gar nicht soo petit war!), fuhr ich dann zum Ausgangspunkt. Natürlich parkte ich mal wieder dort, wo ich eigentlich nicht parken wollte. Dafür begann praktischerweise exakt dort ein Wanderweg (Nr 12 A), der mich zur oberen Alp Praz di Farco führte. Hätte ich diesen Weg praktisch, weise und geduldig weiter fortgesetzt, wäre ich auch ohne kleine Außensichel zum Pass Col de Saint Rhemy gekommen. Weil ich mir jedoch eine eigene Interpretation machte, wo genau meine Tour hinführt, geriet ich etwas auf Abwege.
Egal, zum Pass bzw Col de Saint Rhemy kam ich dann trotzdem und nun sah ich auch zum 1. Mal mein heutiges Ziel, den Grand Goliath
Bis dorthin war es jedoch noch ein langer Weg. Weiter ging es ins Tal Comba des Thoules hinein, immer noch dem Wanderweg 12 A folgend. Erst auf einer Höhe von 2750m verlässt man diesen Weg, steigt durch eine Senke und danach mühsam einen nicht gerade unsteilen Geröllhang empor. Hier wartete ein großes Schneefeld auf mich.
Was vermutlich im Verlauf des Jahres nur noch schneefreier Schutt ist, entpuppte sich in diesem Juli noch als gut begehbarer Schneehang. Zwar schon etwas aufgeweicht, aber immer noch besser als Schutt... DIE Materie liegt mir bekanntermaßen nicht unbedingt so richtig am Herzen.
Nach einigen hundert Metern erreichte ich dann den markanten Felsriegel. Direkt dort, wo auch ein kleiner Bach den Fels hinab rieselt, geht es linker Hand in die Felsen. Nach ein paar Metern habe ich mich dann wieder rechtsseitig orientiert, weil mir ein gut begehbares Band ins Auge fiel, welches mich in die Rinne führte, in der auch der genannte kleine Bach rieselte. Dort läßt es sich dann etwas unangenehm, aber machbar hinaufsteigen. Alsbald flacht der Felsriegel wieder ab und ich komme zum oberen Schneefeld (auch dieses wird im fortgeschrittenen Sommer wohl nicht mehr vorhanden sein und man darf sich dann im "fluffigen" Schutt austoben)
Über den schneebedeckten Hang geht es dann immer steiler hinauf in den Sattel zwischen Petit und Grand Goliath. Schöne Blicke gibt`s von dort Richtung Montblanc und Grandes Jorasses. Aber mit Blicken allein kommt man nicht zum Gipfel und so mache ich mich schnell auf, den Südwestgrat zu erklimmen. Dabei halte ich mich etwas links vom Grat in der Flanke. Über angenehme Bänder gelange ich zum Vorgipfel, welcher schon recht ausgesetzt erklettert werden will.
Die Tour habe ich dann an genau diesem Vorgipfel des Grand Goliath abgebrochen. Meine eigene Risikoabwägung sagte mir hier ein klares NO für`s weitergehen. Die Aussage im Buch, der Fels sei nicht von bester Qualität bzw brüchig, kann ich absolut bestätigen. Verbunden mit einer nicht zu leugnenden Ausgesetztheit fängt der Spaßfaktor an, etwas zweifelhaft zu werden. Und weil Hin- UND Rückweg der Gleiche ist, macht es doppelt....KEINEN Spaß.
Und JA, dies ist meine ganz persönliche Beurteilung. Vermutlich werden Andere zu einem ganz anderen Ergebnis kommen und die restlichen Meter möglicherweise als viel weniger riskant empfinden. Da ich aber hier auf Hikr noch keinen Tourenbericht darüber fand, gehe ich davon aus, dass diese Tour nicht allzu häufig unternommen wird!
Der folgende Abstieg führte exakt über den zuvor genommenen Aufstiegsweg. Nach dem steilen Firnfeld gelangte ich wieder zum markanten Felsriegel. Dort, wo das kleine Bächlein hinab rieselte, begann ich durch unangenehmes (weil immer noch geröllig bzw schuttig bzw brüchig) Gelände hinab zu steigen. Ein Steinmann zeigte die ungefähre Richtung.
Den Anfang der nun folgenden Minuten kann ich leider überhaupt nicht konkret schildern. Stand ich auf einen größeren Stein, der sich plötzlich in Bewegung setzte?? Stolperte ich mit meinen Steigeisen und verlor das Gleichgewicht?? Egal, was der Ursprung des Sturzes war... er ist komplett von meiner Festplatte gelöscht. Dafür weiß ich umso genauer, wie sich die folgenden Sekunden anfühlten. Nämlich ganz dumpf.... und schmerzlos. Ich fiel, prallte auf, rutschte, fiel, prallte noch mal auf...... und rutschte dann in eine Randkluft. Unterwegs sehen konnte ich nichts bzw nur Bilder eines viel zu schnell laufenden Films. Nach ein paar Sekunden war DIESER Film vorbei - ob ich kurz bewusstlos war, weiß bzw glaub ich nicht.
Aber ich weiß, WIE hoffnungslos der Moment der aufkommenden Realität sich anfühlte. Ca 1,5 bis 2 Meter tief war ich in diese Randkluft gerutscht und vollkommen bewegungsunfähig. Kein Gefühl in den Beinen und durch den irgendwo klemmenden Rucksack sowie meinen Helm war ich zunächst einmal komplett fixiert zwischen Fels und Firn. Um Hilfe rufen brauchte ich erst gar nicht anfangen... ich war am heutigen Tag der einzige Mensch weit und breit auf der Welt, der diesen Berg besteigen wollte. Ich habe trotzdem geschrien....aus Angst, Wut und Verzweiflung... DAS musste mal kurz raus.
Aus dieser scheinbar chancenlosen Situation begann ich trotzdem meine Lage etwas zu verbessern, in dem ich die Schnalle meines Helmes löste. Er fiel dann kurz darauf leider weiter hinunter in die Randkluft, aber ich konnte zumindest meinen Kopf wieder etwas bewegen. Den klemmenden Rucksack konnte ich noch nicht wieder lösen, dafür tauchte überraschenderweise etwas Gefühl in meinen Beinen wieder auf. Durch ein Zusammenspiel von Drücken, Schieben, Strampeln bekam ich plötzlich etwas Spielraum für einen erweiterten Bewegungsradius. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Tatsache, dass während der ganzen Zeit ein Wasserrinnsal am Fels hinab lief, das mich komplett durchnässte, ich die Kälte aber absolut nicht spürte....NOCH nicht spürte! Wie ich den folgenden Meter durch die Randkluft hinauf schaffte, ist mir auch heute ein Rätsel. Es reichte jedenfalls, um soweit hinauf zu rutschen, schieben, drücken, dass ich mich umdrehen konnte und - nun mit dem Rücken zum Fels - mit den Steigeisen Halt im Firn bekam. Nur jetzt nicht noch mal abrutschen und wieder hinunter fallen, war der vorherrschende Gedanke. Da der Firn natürlich ziemlich überhängend war, war es für mich nicht unbedingt trivial mit den Steigeisen Halt zu finden. Mit wirklich allerletzter Kraft schaffte ich es durch 4 Tritte endgültig hinauf zu kommen und auf die Firnseite zu gelangen.
Die nächste bange Frage war, ob das Handy durch den Sturz keinen Schaden erlitten hatte. Eine Erlösung, dass es funktionierte und ich den Notruf 112 betätigen konnte.
Richtig toll war, dass auf Grund von Verständigungsproblemen (ich - kein italienisch, die Frau am anderen Ende der Leitung - kein Englisch) innerhalb weniger Sekunden eine Dolmetscherin dazu geschaltet wurde!! Eine hervorragende Einrichtung, ie ich hier unbedingt hervorheben will, denn so konnten wir unverzüglich meinen ungefähren Standort kommunizieren. Noch während des Gespräches setzten dann bei mir ziemlich starke körperliche Reaktionen ein, ein nicht mehr aufzuhaltenes starkes Zittern, sowie eine absolute Körperschwäche. Ich konnte weder stehen noch kriechen.... Sitzen war schon eine absolute Anstrengung.
Der Rest ist dann tatsächlich schnell erzählt. Als kleiner gelber Punkt tauchte der Heli unten im Tal auf und steuerte die ganze Zeit exakt auf meinen Standpunkt zu. Ohne großes Suchen fanden sie mich sofort. Per Bahre wurde ich hinauf zum Heli geschraubt und dann nach Aosta gebracht. Von dort ging es dann per Rettungswagen ins Krankenhaus. Einen Rippenbruch und 2 leichte Brüche im rechten und linken Fuß wurden später diagnostiziert. Unglaublich bei DER Sturzhöhe!!!!!!!!!!!!
Dass ich heute diesen Bericht schreiben darf, grenzt für mich an ein Wunder. Denn nur durch soooo viele glückliche Umstände und Zufälle habe ich diesen (Berg)Unfall überleben dürfen. Der getragene Helm war sicherlich ein wesentlicher Punkt, ebenfalls die Steigeisen. Die nur geringen Verletzungen ließen mir genügend Energie und Kraft aus der Randkluft wieder hinaus zu klettern. Und hätte es nicht das genannte untere Schneefeld gegeben, so wäre ich sehr wahrscheinlich noch etliche Meter den dann offenliegenden Geröllhang hinunter gestürzt! Was nicht unbedingt förderlich für meine Gesundheit gewesen wäre.
Ich habe diese Tour dem Buch "3000m Schweiz, drunter und drüber" entnommen. Unabhängig von meinem Unfall - denn dieser ereignete sich an einer ganz anderen Stelle! (dieses Fazit hätte ich definitiv auch ohne Nahtoderfahrung gezogen) finde ich, dass solche Touren nicht wirklich empfehlenswert sind. Am Punkt meiner Entscheidung diese Tour hier und heute abzubrechen, wäre meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Stelle zu bewältigen gewesen. Sehr ausgesetzter, nicht vertrauenserweckender sondern sehr brüchiger Fels müssen nicht unbedingt Auswahlkriterien für eine Tourempfehlung sein. Selbstverständlich steht es jedem wackeren Bergsteiger frei, sich diesen Gefahren auszusetzen. Diese Tour aber in einem Buch zu veröffentlichen, finde ich grenzwertig.
Was ursprünglich als 12 Wochen Bergurlaub geplant war, hat sich innerhalb von wenigen Sekunden nun zum mehrwöchigen Krankenstand in Flachlandhausen entwickelt. Tut nicht wirklich gut und fühlt sich auch entsprechend SO an. Sieht man jedoch all die glücklichen Fügungen, so bin ich einfach nur froh, überlebt zu haben. Und NEIN, auf Berge werde ich auch in Zukunft nicht verzichten (können), nur auf weitere Alleingänge. Allen Hikr wünsche ich einen unfallfreien Bergsommer.
Ein allerletztes Wort noch zum Begriff "Schippensprung/Schippenspringer". Ein Freund meines Sohnes erzählte mir mal, das sein Opa Menschen genau mit dieser Begrifflichkeit titulierte, die dem Tod noch einmal so eben von der Schippe gesprungen sind. Ich bin mir sicher, das ich seit DEM Tag wohl dazu gehöre!
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