Bahnhöfe, Nacht und Blätter


Publiziert von mong , 24. November 2018 um 18:11.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum:16 Januar 2008
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   CH-VS 
Strecke:Goms (Oberwallis, CH) /// Leventina, Bellinzonese, Valle di Blenio, Alto Vedeggio (Tessin, CH)
Kartennummer:1250 Ulrichen / 1273 Biasca / 1333 Tesserete / 1313 Bellinzona / 1252 Ambrì-Piotta

Seit fast 30 Jahren bin ich fast nie gewandert, ohne an einem Bahnhof ein- und an einem anderen Bahnhof wieder auszusteigen. Das prägt. Ich träume oft von Bahnhöfen und Zügen. Einmal hörte ich im Traum eine Stimme (übrigens eine weibliche): "Signore e signori, stiamo per arrivare a Bellinzona." Ich schaute aus dem Zugfenster, und ich sah unter mir eine farbige und runde Scheibe mit grossen blauen Flecken drauf. Ich war im Traum in einem Raumschiff gelandet. Das war für mich der Beweis, dass die Erde eine Scheibe ist und nicht, wie die meisten Leute glauben, eine Kugel.

So, das war die Einleitung, ich hoffe, sie hat euch gefallen, falls nicht, sagt es mir, dann schreibe ich eine andere.

Jetzt kommt der Bericht:

Ich wandere und wandere und wandere, ich streife in der Gegend herum, oft bis in die Nacht hinein, ich beobachte seltsame Dinge, die jeden Augenblick um mich herum passieren, aber wenn ich dann vor meinem Computer sitze und darüber berichten will, dann wird es mühsam.

Es kommt mir nichts mehr in den Sinn, vor allem aber weiss ich nicht, wie und auf welche Art ich über meine Streifzüge berichten soll. Soll ich lustig über meine Abenteuer schreiben oder humorlos, oder seriös, oder verhalten, oder erregt, oder phlegmatisch, oder apathisch, oder melancholisch, oder cholerisch, oder sanguinisch, oder launisch, oder abgehoben, oder naturverbunden, oder aufgemotzt, oder romantisch, oder cool, oder frech und spektakulär, oder angeberisch, oder distanziert? Oder sollte ich vielleicht den Stil von Jack London imitieren? Okay, den Stil von Jack London zu imitieren könnte schwierig werden, da habt ihr schon recht.

Soll ich über den komischen Käfer berichten, der vor meinen Hanwag-Bergschuhen geflüchtet ist, und sollte ich vielleicht auch darüber berichten, dass ein ängstlicher Bürger die Polizei verständigt hatte, weil er mir nicht über den Weg traute, als ich im fahlen Licht einer Strassenlaterne vor seinem schönen Haus eine Pause einlegte und eine Tomate gegessen habe, und dass dann 5 Minuten später zwei Polizisten vorgefahren, aber mich nur freundlich gegrüsst haben und dann weitergefahren sind, weil sie mich inzwischen kannten und darum wussten, dass ich nicht die Absicht hatte, in irgendeines dieser schönen Tessiner Häuser einzubrechen, um den Safe zu knacken? 

(Dabei hatte ich extra das Licht der Strassenlaterne ausgesucht, um darunter meine Tomate zu essen, damit ich auf diese Weise nicht verdächtig erscheinen würde. Zuerst wollte ich mich nämlich in einen dunklen Hauseingang verkriechen und dort meine Tomate aus dem Rucksack klauben und verspeisen. Aber ich dachte, das könnte verdächtig erscheinen, wenn mich jemand beobachtete. Anyway, ist ja nicht so wichtig, aber für mich war es ein weiterer Beweis, dass ich mich auf meine streng logischen und vor allem folgerichtigen Gedankengänge nicht verlassen kann.)

Natürlich wäre ich durchaus fähig, einen Safe zu knacken. Ich habe ja nicht umsonst, als ich noch ein Kind war (ich bin heute zwar immer noch ein Kind, einfach ein älteres als damals), massenhaft die Comics-Geschichten über die Panzerknackerbande  in den Micky Maus-Heftchen von Walt Disney mit Heisshunger verschlungen. Aber wieso sollte ich einen Safe knacken? Ist ja sowieso nichts Schlaues drin. Wahrscheinlich nur Geld oder irgendwelche teuren, aber wertlosen Klunker aus den Diamantenminen im Kongo. Brauche ich alles nicht. Ich habe nämlich ein Generalabonnement von der SBB (ein GA), müsst ihr wissen, das ist super, damit komme ich mit dem ÖV in der ganzen Schweiz herum, wenn ich will, und sogar nach Italien, nämlich bis Domodossola. Fantastisch! So ein GA ist die pure Ekstase! So ein GA bedeutet für mich das Paradies oder das Weisse Licht, und vielleicht sogar beides zusammen! 

Das GA gehört zu meiner Überlebensausrüstung (sorry, ich wollte sagen: Survival Kit!) (das tönt besser ;-)

Das GA bedeutet für mich dasselbe wie damals der Medizinbeutel für einen Indianer

Und die Bahnhöfe sind das Alpha und das Omega, das A und O (BAhnhOf) meiner Wanderungen.

Bahnhöfe sind der Anfang und das Ende. 

Von den Bus- und Postautohaltestellen ganz zu schweigen...darum sage ich jetzt nichts mehr.

;-)

Tourengänger: mong


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Kommentare (10)


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Menek hat gesagt:
Gesendet am 24. November 2018 um 18:17
quelli della notte...

mong hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. November 2018 um 18:45
Ciao Menek, grazie...

trainman hat gesagt:
Gesendet am 24. November 2018 um 20:23
Nicht nur Du wanderst von Bahnhof zu Bahnhof bzw. Bushaltestelle...
Am Ende einer Wanderung erlebt man am Zielbahnhof oft magische Momente, insbesondere spätabends oder nachts
Grüsse
trainman

mong hat gesagt: RE:
Gesendet am 25. November 2018 um 10:52
> erlebt man am Zielbahnhof oft magische Momente

Das ist genau auch meine Erfahrung.
Danke und Gruss
Jerry

Vielhygler hat gesagt:
Gesendet am 24. November 2018 um 21:02
Lieber Mong,

ich find' s toll, daß man bei bei deinen Berichten jetzt andere Einleitungen bestellen kann! Danke! Das Problem ist nur, daß mir deine Einleitung eigentlich ganz gut gefällt. Oder sogar sehr gut gefällt!

Es ist eher der Bericht, der, wie sag ich' s? Hmm, good news first: suuper ist die Passage mit den Tomaten und den Panzerknackern, aber am Ende, der Abschnitt mit dem Weißen Licht und Domodossola, hmm...aber jetzt sage ich besser nichts mehr, weil wir können bei dir zwar Einleitungen, aber keine neuen Berichtstexte bestellen, oder doch?

In a strange mood ;-))) LG Andreas


mong hat gesagt: RE:
Gesendet am 25. November 2018 um 11:33
Das Weisse Licht ist in diesem Zusammenhang eine bildhafte Umschreibung für Grosse Freude. In den 60/70-er Jahren haben wir diesen Ausdruck oft gebraucht, wenn jemand sich masslos gefreut hat über etwas, oder wenn jemand eine total abgehobene, unverständliche Weisheit zum Besten gab. Wir haben dann im Scherz gesagt: "Er hat das Weisse Licht gesehen." ;-)

In der Mystik oder Spiritualität ist es ein Sinnbild für Erleuchtung. In Bezug auf ein Generalabonnement der SBB ist das natürlich eine masslose Übertreibung, aber das habe ich absichtlich so geschrieben ;-)

Super, dass dir die Einleitung gefallen hat. Nein, ein anderer Berichtstext ist in meinem Angebot nicht inbegriffen ;-)))

Danke für dein Feedback
Gruss, Jerry

rojosuiza hat gesagt: Das Weiss Licht sehen in Domodossola
Gesendet am 26. November 2018 um 11:33
Das Weiss Licht sehen in Domodossola, das geht ganz leicht, das kann jeder. Dazu braucht es gewiss keinen mong, sieh hier:

/www.flickr.com/photos/rojosuiza/44195551000/in/dateposted/

mong hat gesagt: RE:Das Weiss Licht sehen in Domodossola
Gesendet am 26. November 2018 um 18:24
Also, wenn einer das Weisse Licht bereits in Bahnhofsbeleuchtungen und in beleuchteten Werbeplakaten sieht, dann ist er ein moderner Mystiker, ganz klar. Ich gratuliere dir herzlich. Soweit bin ich noch nicht gekommen ;-)

dasMue hat gesagt:
Gesendet am 30. November 2018 um 11:19
Also ich hab mir wegen deinem Bericht nun ein wenig was über diesen Jack London angelesen und finde durchaus, dass du das Zeug zu einem Jerry Berlin hättest. Oder eher ein Mong Tessin?

Mein persönlich liebster Wanderbahnhof ist der in Altenbeken. Ein ehemals wichtiger Bahnhof, der, wie alles im Leben, mit der Zeit immer mehr an Bedeutung verloren hat. Von dort hab ich meine ersten richtigen Touren gestartet, dort steig ich jedes mal um wenns auf den Hermannsweg geht und vor allem findet man dort einen Bahnhof, der so ein wenig aus der Zeit herausgerissen wirkt. Selbst die kleine Bahnhofsgaststätte dort, die leider zwischendurch leerstand (?), wirkt original wie aus dem Jahr 1950 geklaut.

Wieder einmal vielen Dank für deine Berichte!

mong hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. Dezember 2018 um 11:51
Also, bei "Jerry Berlin" weiss zwar ich nicht, was damit gemeint ist, tönt aber gut ;-)

Ich habe "Bahnhof Altenbeken" gegoogelt hier. Schade, dass dieser interessante und schöne Bahnhof immer mehr an Bedeutung verliert.

> Zuletzt entfiel die Linie „Der Cherusker“ nach Osnabrück–Bad Bentheim.
Was für ein schöner, phantasieanregender Name! Eine Bahnfahrt direkt in die Vergangenheit.

Es freut mich, dass dir meine Berichte gefallen. Danke. Die Admin und die Hikr-Mitglieder sind in dieser Hinsicht äusserst tolerant. Das habe ich immer wieder gemerkt, und das finde ich natürlich super.


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