Haute Route Binn - vom Mässersee I zum Mässersee II
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Es gibt nicht oft Gelegenheit, seinen eigenen Vorgänger in der Zeit zu bewundern und zu beglückwünschen. Vor Jahren hat rojosuiza das heutige Programm schon einmal durchziehen wollen - wie gut, dass er damals rechtzeitig die Notbremse gezogen hat...
Am ersten Wegkreuz nach Binn Schmiedighischere nimmt er den Pfad, der steil hinaufführt in den Wald. Es ist feucht, es gibt kurze Passagen mit Bodenfrost. Je weiter man ins Tal hineinläuft, desto mehr Höhe gewinnt man. Alles trägt den Namen Mässer hierzulande - rojosuiza passiert die Mässerhütte - und auf der Karte gibt es weiter vorne gleich noch mehr Mässer, den Alten Mässerchäller. Hier wird das Gelände langsam immer lieblicher, und am freundlichsten ist es in der Schäre, 1979 m. Der erste Mässersee wartet nur wenige Höhenmeter weiter oben, und bis zuletzt fragt man sich, wo er sich wohl befinden soll. Das Gelände eignet sich doch gar nicht zur Aufnahme eines Sees. Schliesslich ist das letzte Schneehuhn laut mit den Flügeln schlagend aufgeflogen: der See ist da. Niedrigwasser: nicht gross, aber still und schön.
Bis jetzt lief rojosuiza fast stets im Schatten, und es war frisch, jetzt aber gerät er in die Sonne. Das tut wohl, aber fast sofort geht's dem Steigvermögen an den Kragen. Er kriecht jetzt am Hang empor, weiter oben meint er schon die Passage nach Italien zu erkennen... Wenn man jetzt hier queren würde, sagt dem Tropf sein Gefühl, dann käme man doch viel schneller und leichter hinauf auf die Seenplatte? Zum Glück trottet der Bergheld einfach weiter vorwärts, bergan. Der Weg geleitet ihn in ein wunderschönes, namenloses Tal. Es ist nicht breit, unten etwa 40, 50 Meter, aber auf eine strenge Weise prachtvoll; verziert mit tausend Eispflanzen. Ist es namenlos? - Es verdiente einen Namen und rojosuiza gibt im einfach den eigenen: Jordantälli soll es ab jetzt heissen. Wenn man in der Mitte steht, sieht man im Norden in einem milden Bogen die hohen Berge auf der anderen Seite des Rhonetals, im Süden eine grosse, schwarze Pyramide. Dieser Anblick allein schon macht die Wanderung der Mühe wert. Also, besucht es alle, das Jordantälli, und verbreitet seinen Ruhm in alle Welt!
Wer nun glaubt, der Höhepunkt der Wanderung sei ganz selbstverständlich das: das Jordantälli! er hat sich geirrt. Es kommt noch ein Höhepunkt, und noch einer. Bald öffnet sich der schmale Schlauch, es wird weit der Blick, es ist See zu sehen: der Geisspfadsee! Und daneben erst: ein Berg, der nur aus Steilflanke besteht!
Der Anblick raubt einem den Atem. So setzt rojosuiza sich also hin, und - und verzehrt die mitgebrachten Vorräte. Manche haben überhaupt keinen Sinn für Poesie!
Jetzt kommt die Einlage, derentwegen rojosuiza hier oben ist. Es ist die Route, die er sich vor Monaten ausgedacht hat: entlang den drei Seen Geisspfadsee, Züesee und Mässersee zum Furggulti, über die niedrige Einkerbung Zantmärjelebiel. Immer nur Wegen folgen, das lässt rojosuiza bald einmal rebellisch werden. Dann will er direkt, wo es nicht geht; geradeaus, wo nur der Krummweg zum Ziel führt.
Dem Aufstieg zum Geisspfadsee hat er 4 Stunden zugerechnet; der weglosen Passage obendurch 3; und dem Rückmarsch ab dem Furggulti ebenfalls 3. Gelingt das Wagnis, Rückkehr zwischen dem ersten und dem letzten Postauto?
Den Geispfadsee umrundet rojosuiza auf der Nordseite. Die Karte hatte ihn das Gegenteil vermuten lassen, die Südseite also. Das Gelände im Norden ist einfach, nur ein, zwei Stellen sind etwas steiler, sodass man sie überklettern muss. Zwischen den Seen ist eine flache Ebene. Hier kann man leicht die Seite wechseln. Das ist gut, denn die Nordseite des Züesees versteht keinen Spass. Die Südseite ist gutmütig, mit geschliffenen, welligen Felsformationen auf denen es sich prachtvoll gehen und klettern lässt. Der Hupf da vorne, er sieht ganz 'amerikanisch' aus. Ich kenne solches Gestein aus Südkalifornien. Anders sind nur die Nähte und Rillen, die sind hier gefüllt mit geschmolzenem Blei. Dies Gebirg ist von einem Spenglermeister gemacht. Es ist natürlich kein Blei, was da die Furchen füllt. Wer wissen will, was es wirklich ist, fahre selber hin! Der Züesee zeigt sich schnell nach der Schwemmebene zu Anfang, dann verschwindet er aus meiner Sicht, bis ich ihm nachklettern muss, um ihn nochmals von oben sehen zu können. Vom dritten See - dem Mässersee II - keine Spur.
Er muss doch da sein, die Karten lügen nicht! - Aber warum zeigt er sich nicht? rojosuiza hüpft über Stock und Stein, etwas aufpassen muss er also schon. Endlich, endlich hat er ihn erspäht. Er ist klein, dieser Mässersee, oh, so klein. Die Trockenheit wird ihm zugesetzt haben... Dafür ist er der einzige, der eine Stimme hat. rojosuiza hört ein Bellen wie von einem gewaltigen Hund, dann ein Krächzen wie von tausend Raben. Erst das Knallen verrät es ihm: es ist der See, der spricht. Als einziger der drei grossen Seen überzieht ihn zur Hälfte eine Eisschicht. Im Schatten kühlt das Eis jetzt rasant weiter ab, und das verursacht das Knallen.
Ganz, ganz langsam kommt er ihm näher. Er will keine Höhe verlieren und er springt von Block zu Block. Die letzte grosse Runse oben am See ist dick mit Eis gefüllt. Sie will rojosuiza zum Absteigen zum See hin zwingen. Doch das Übersteigen des davor liegenden Felsbrockens ist die glückliche Wahl; dahinter liegt aperes Geröll. Ist es nun geschafft? Noch trennen mehr als 1000 m rojosuiza vom erstrebten Pass, dem Furggulti, wonach alles einfach und leicht wird... Ab da kann man nur noch den Berg hinab schwänzeln. Nach zwei Stunden Konzentration auf Wegfindung und jeden Stein - jetzt wäre man langsam wieder froh um einen simplen Wanderweg.
rojosuiza klettert von Rinne zu Rinne. Unter ihm ist der Trichter, der ihm das letzte Mal als Notausgang gedient hat. Wie rühmt der Nachfolger seinen braven Vorgänger erneut, dass der damals so klug gewesen ist, hier abzubrechen. Wie lange hätte es denn sonst noch gedauert, nicht auszudenken! Wie schwierig es noch geworden wäre! Jetzt aber liegen all diese Schwierigkeiten schon hinter ihm. Trozdem tritt die Versuchung heran: die Abkürzung, wäre sie nicht auch jetzt klüger? Dann käme man ganz sicher zeitig heim. rojosuiza widersteht der Stimme, wenngleich er dadurch auf dem hochgehenden Steinemeer doch ein wenig vom geraden Idealkurs abkommt.
Rille um Rille, Furche um Furche. Das bisschen Schnee ist ein bisschen Eis. rojosuiza fällt ein bisschen. Grosse und immer grössere Blöcke folgen. Ist der Pass endlich einmal erreicht - und in der Vorstellung des Meisters folgt jetzt gleich ein Weg! - folgen stattdessen mehr Riesenblöcke, und noch mehr. Rille kommt nach Rille. Endlich aber ist sie doch da, die Obere Stafel. Ein paar Gebäude hat es einst gegeben; alles ist verfallen. Der Weg beginnt hier ganz gewiss, allein der Bergheld findet ihn nicht. Und dazu die Zeit, ach die Zeit! Wenn der Weg nicht endlich kommt…
Jetzt findet er sich doch, halb überwachsen und halb im Bach. Nach einem Dutzend Metern kann das Abspulen der Höhenmeter ernsthaft beginnen.
Das Furggulti hat bedeutend mehr Zeit gekostet als erwartet. Die Strecke nach Binn muss mit hoher Geschwindigkei zurückgelegt werden, will es gelingen. Was es nun braucht, ist fehlerloses Wegfinden und Vollgas. Dazu braucht es Übersinnliches, das Einschreiten einer Fee! Die Gute Radiofee verspricht rojosuiza als Belohnung, wenn er nun das Postauto auch noch zeitig schafft, dass er morgen in der Brockenstube von Thun das Radio bekommt, was er gestern dort gesehen hat...
Bei solchen Voraussichten, da spult es sich gleich noch einmal so schön. Alles gelingt, es werden keine Fehler gemacht. Die Zeitnot schwindet. Was will ein Kinderherz noch mehr?
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