VAL Bavona: Rosèd 741m – Sandroi – Nassa, Corte di cima 2021m
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Ursprünglich war mein Ziel die Alpe Solögna; treffend beschrieben von Plinio Martini, welcher in Corte Nuovo geboren ist. Sie ist eine der schönsten Alpen im ganzen Bavonatal. Schon von Cavergno her sieht man den riesigen Talkessel unterhalb des Madone und Pizzo Solögna: Costa 1372m war die Maiensäss. Dann zügelte man nach Corte Nuovo 1517m, wo die längste Aufenthaltsdauer war. Höher gings nach Corte grande 1862m. Die letzte Etappe dieser Transhumanza waren die Alpen Pianaccio 2024m, Sedone 2019m und auch Schieda 1650m (später dazugestossen).
Aber es kommt anders. Schön rechtzeitig steige ich gegenüber Rosed auf dem etwas über einer Stützmauer jenseits der Brücke versteckten Weg. Der gelbe Wegweiser nennt „Corte nuovo“. Ich stelle den Höhenmeter: 741m (und bin später sehr darauf angewiesen!). Im Wald steige ich bei Affenhitze nach Costa hinauf. Zuerst im langweiligen Zick-Zack und weiter oben über interessante Treppenanlagen, welche mit der Zeit etwas Wadenspanner absetzen, jedoch unerwartet schnell ansteigen lassen. Costa hat unten eine liebevoll ausgebaute Jägerhütte, der ursprüngliche „Corte di fondo“, und weiter oben schön ausgebaute Häuser mit grossem Vorplatz. Diese Hütten sind in Privatbesitz und regelmässig bewohnt.
Ein ortskundiger Tessiner ratet mir von der geplanten Tour ab: Der Fluss nach Corte Nuovo sei wegen Hochwasser unpassierbar. Eine Brücke befinde sich am „Alten Weg über Sandroi“. Er erklärt mir die einzuschlagende Route und mir dämmerts: Das ist doch die Geschichte von den Grenzstreitigkeiten zwischen den Älplern der Alpe Nassa und deren von Alpe Solögna, wobei die von Solögna gewonnen haben und die Verbindung beider Alpen abgebrochen wurden! Verbal und effektiv. Wenn das nur gut geht. Ja nu, umkehren kann ich alleweil.
So steige ich in verschiedenen Kehren über Costa bis zu dem Punkt, wo der bezeichnete Weg ziemlich waagrecht nach rechts gegen den Fluss führt (etwa auf 1420m). Wenn man das Gelände ganz genau beäugt sieht man eine Wegspur, unmarkiert und schwach ausgeprägt, direkt gegen SW auf den bewaldeten Rücken aufsteigend. In Direttissima folge ich etwa 150 Höhenmeter den steilen Passagen, bis ich unverhofft einen Tiefblick nach rechts zum Corte Nuovo habe. Der alte Weg ging hier hinunter und über die Brücke (immer noch bestehend, siehe Karte). Mir reicht eine gezoomte Photo für’s HIKR.
Der Grund: Da ich schon einmal auf Sandroi bin, möchte ich den Corpus delicti – die weggeschaffte Brücke nach Nassa – sehen. Vom Aussichtspunkt nach Corte Nuovo muss ich etwa 10 m retourgehen, um über einfache Kraxeleien die Krete und damit den Weg zur Alpe Nassa in WSW Richtung zu erklimmen. Alsbald erscheint ein ausgeprägter Weg über eine „Himmelsleiter“. Rundsicht mit 90% Schneeanteil. Der Weg verliert sich zeitweise unter dem harten und begehbaren Altschnee, um weiter oben wieder zu erscheinen. Ich folge dem Grat bis auf etwa 1800m; zuletzt mit leichter Kraxelei und erreiche – oh Wunder - tatsächlich den umstrittenen Ort. Aber da ist ein neuer Holzsteg, gesichert mit einem blitzblanken Drahtseil! Wie versöhnlich und auch praktisch. Die etwa 5m hohe Wand hätte sicher einen Klettergrad III abgegeben. Ich hole leicht nach rechts aus und überschreite die mit Querriegel zusammengenagelten drei Lärchenstämmchen. Nun bin ich unbeschadet in der Alpe Nassa angekommen.
Jetzt hat’s mich ganz gepackt! Denn wenn ich einmal hier bin, möchte ich den direkten Weg über den Sandroi-Grat nach Corte di cima 2021m auch noch ersteigen. Der Entscheid ist schnell gefallen. Es sind ja „nur“ 221m – arithmetisch. In Natura ist dies schon eine andere Dimension. Harter Altschnee, alle Konturen überdeckt, kein Weg in Sicht. Mit Karte und Höhenmesser stapfe ich tapfer den steilen Schnee hinauf, an der Quelle unterhalb der Hütte vorbei (höre durch ein Loch in der Tiefe das Gurgeln). Meine Ortskenntnisse (viertes Mal hier) ergänzen die Beobachtungen und plötzlich sehe ich das Steindach aus dem 150cm tiefen Schnee hervorgucken. Auf dem Tisch mache ich Essenspause: Menü 1, diesmal mit Willisauerringli zum Dessert.
Die Zeit drängt zur Rückkehr. Von altersher ist bekannt, dass die Gefahren im Abstieg lauern. So geht es mir. Keine 10 Minuten sind vergangen und ich verschwinde schultertief in einem engen Loch. Durch Drehen und Stampfen kann ich mich befreien und lasse mich rücklings aus dem Loch fallen. Das Natel hätte Empfang gehabt.
Ich gleite leichtfüssig über den Schnee hinunterund steige alsbald zu Corte di Mezzo 1755m wieder auf, dem Plastikschlauch entlang. Von dort leicht ansteigend auf den Sandroi-Grat zurück, über den neuen Holzsteg hinweg und schweissgebadet die 1100 Höhenmeter zurück nach Rosèd.
„Und erstens kommt es anders – und zweitens als man denkt“, sagt Wilhelm Busch. Stolz schaue ich zurück. Ich habe mich selbst überlistet.
Tourengänger:
Seeger
Communities: Ticino Selvaggio
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