Cima Rossa, direttissima ab Dandrio


Publiziert von Zaza , 1. Juli 2018 um 08:59. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum:30 Juni 2018
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Gruppo Cima Rossa   CH-TI   CH-GR 
Aufstieg: 2200 m
Abstieg: 2200 m

Im Band 3 des SAC Clubführers über die Tessiner Alpen erwähnt Giuseppe Brenna die Möglichkeit, von Dandrio aus direkt durch die Westwand zum Piano della Parete anzusteigen, dieser prächtigen Hochebene unter Cima dei Cogn und Cima Rossa. Statt einer Beschreibung zitiert er aber einen wunderbaren Aufsatz, den Aldo Cattaneo im fernen 1979 für die "Alpen" schrieb. Man bedauert es, dass dies das einzige Mal blieb, dass ein Text dieses legendären Tessiner Berggängers in der Zeitschrift des SAC publiziert wurde!

Den Text hatte ich immer mal wieder gelesen, ohne aber die Route genauer zu studieren. Doch als Benedetto vor ein paar Tagen genau diese Tour vorschlug, war mein Interesse sofort geweckt. Und heute war es schon so weit, an diesem prächtigen Hochsommertag, der trotz der Hitze sehr stabiles Wetter bringen sollte. 

Die Route ist sehr interessant und für Geübte lohnend. Die technischen Schwierigkeiten sind nicht allzu arg, aber die Orientierung ist etwas anspruchsvoll. Wir haben unterwegs keinerlei menschliche Spuren gesehen, so dass sich hier wohl auch keine Jäger tummeln. Besten Dank an Benedetto für den Tourenvorschlag!

Folgend der Text von Aldo Catteneo, Hinweise zur Route ganz unten. Und hier geht's zum Bericht in Italienisch von Benedetto.

Über die Tessiner Alpen ist man immer wieder erstaunt. Wer die höchsten Gipfel des Sopraceneri erklommen oder einen flüchtigen Blick von einer der Höhen im Verzasca- oder Maggiatal geworfen hat, glaubt sie zu kennen. Und doch bilden das Gewirr von Tälern und Tälchen, die eigenwilligen Wasserläufe und die aus den wilden Graten über düsteren Schluchten schief herausragenden Felsenzinken einen nicht versiegenden Quell von Wundern und Überraschungen. Wer diesen Bergen an einem der wohlbekannten Orte zum erstenmal begegnet, spürt ihren Reiz nicht sofort, wird nicht sogleich von Liebe erfasst. Man ist von ihnen nicht auf den ersten Blick begeistert. Und es ist auch nicht meine Absicht, hier ein Loblied anzustimmen und verschleierte Schönheit zu enthüllen. Nichts gemahnt an die benachbarten majestätischen Bündner Täler, nichts an die schimmernden Festungen des Berner Oberlandes oder an die Eiskathedralen der Walliser Alpen. Undenkbarer Vergleich!

Und man gehe auch nicht herum und frage, welches Tal reizvoller sei, das Val Larèchia oder das Val Marcri, welches der drei oder vier Becken des Val d' Ambra man besuchen müsse oder ob der Pizzo di Claro vom Valle di Cresciano aus eine anspruchsvolle Tour sei; erzählt den Freunden nicht, ihr hättet nie gedacht, dass es euch so viel Vergnügen bereiten könnte, die Gipfel zu besteigen, die das Val d' Uscd krönen.

Verkanntes, verlassenes Tessin, mit deinem Centovalli...und den mille valli, den tausend Tälern!

Wir sassen damals in einer alten Hütte unter einer rauchigen Petrollampe. Das dahinplätschernde Geplauder im Freundeskreis wurde mit einemmal angeregt, als einer fragte: « Sagt mal, welches Tessiner Gebirge ist eigentlich für den Bergsteiger am attraktivsten? » Die unvermutete Frage löste sogleich einen Streit aus - wie hätte es auch anders sein können. Man stellte Vergleiche an, und es wurden Ausbrüche von Lokalpatriotismus laut. Aber schliesslich war man sich einig, dass die aus dem Osognatal aufsteigende mächtige Erhebung des Torrone Alto, die anschliessenden Fluhen des Piz di Strega und des Pizzo del Ramulazz, die porzellanweiss schimmernden Kuppen der Cima dei Cogn, des Rheinquellhorns und der Adula alles in allem jedem Vergleich standhielten.

An jenen Abend denke ich, als ich das einst so wilde, heute von Asphalt, Beton und geschmacklosen Häuschen verschandelte Malvagliatal hinaufwandere, um die Cima Rossa über ihre 1500 Meter hohe Westwand zu besteigen, in deren Schatten Dandrio liegt.

Es ist Oktober; die Gipfel sind leicht mit Schnee überzuckert, und die Hütten, die sich um den kleinen Kirchturm scharen, träumen noch im ersten Morgengrauen. Ich bin allein; niemand weist mir den Weg, ausser meiner Karte, die mir die Wahl zwischen zwei Anmarschwegen lässt. Ich halte mich an den nördlichen und wandere gemächlich über den steilen Grashang, wobei ich mir einrede: « Ich schau es mir einmal an, ich probier's, und wenn 's nicht geht, kehre ich um. Riskieren tu ich nichts. » Aber wie ich am Rand des Sturzbaches stehe, der sich hinter Dandrio in einen prächtigen Wasserfall ergiesst, und zum Berg hinaufspähe, spüre ich, dass ich zum Kampf entschlossen bin. Ich stelle fest, dass der Ziegenpfad nach Nordosten aufsteigt, weiter oben den Ri della Fürbeda überquert und sich dann in engen Kehren einer Rippe entlang hinaufwindet. Ich drehe mich um und erblicke Dandrio zu meinen Füssen. Im Rücken habe ich die Felswand, eine Ausweichmöglichkeit sehe ich nirgends. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als meiner Bergrippe zu folgen, die schmaler und schmaler wird, bis sie auf einem grasigen Vorsprung endet. Ein kritischer Augenblick. Ich fühle eine Leere im Magen, ein dichter, fast greifbarer Schatten hüllt mich ein und macht mich schaudern; von weit her höre ich das Donnern des Wasserfalles, in das ab und zu das kristallene Echo der Eiszapfen einfällt, die von der Wand abbrechen.

Tausend Meter Aufstieg habe ich bereits auf dem Buckel, und weitere tausend stehen mir bis zum Gipfel bevor, geht es mir durch den Kopf, und ich merke, wie ich bleich werde. Über einen kleinen Sattel steige ich ab, stecke mir, um etwas würdevoller auszusehen, eine Blume zwischen die Lippen und kämpfe mich dann durch Wacholder- und Erlengebüsch wieder die Rippe empor. Auf einem weiteren Vorsprung klammere ich mich rittlings an ein Gestrüpp und blicke mich keuchend nach dem nächsten Kampfplatz um.

Aber mit einemmal fühle ich mich wie verzaubert, und alle Unruhe fällt von mir ab. Die ersten Sonnenstrahlen huschen über die sanften Hänge von Pinadera, und aus den Felsen unterhalb des Piano della Parete erschallt das hell klingende Rauschen des aus nächtlichem Frost erwachten Wasserfalls. Zu meiner Rechten blitzen zwei lange, gebogene Hörner in der Sonne auf. Tatsächlich, ein Steinbock! Mit einer leichten Kopfbewegung grüsst der König der Einsamkeit jenen, der sie liebt. Welch ein Augenblick!

Weiter oben liegt die Cima Rossa lockend in der Sonne. Raschen Schrittes lasse ich die letzten lästigen Sträucher hinter mir, komme zum Ri della Fürbeda, wo ich glasig überzogenen Felsblöcken ausweichen muss und trete geblendet auf den Piano della Parete. Ein unheilverkündender weisser Fetzen erscheint im Bergeinschnitt zwischen der Cima Rossa und der Cima dei Cogn. Umsonst beeile ich mich. Als ich auf der Krete anlange, wallt auf der Calancascer Seite bereits dichter Nebel, der vom harschen Westwind auf und ab getrieben wird. In meinem Kopf beginnt es emsig zu arbeiten, und schon mache ich mich mit der Idee eines strategischen Rückzugs auf einer weniger gefährlichen Route vertraut. In Gedanken versunken, erreiche ich, den Nebel wie eine Leibwache neben mir, den Gipfel.

Jeder anständige Berg hat seinen eigenen Namen und sein der Jahreszeit entsprechendes Antlitz. Wer einen Berg gut kennt und ihn seit langer Zeit aufsucht, für den hat er vielerlei Gesichter, sein eigenes Licht und eine unverwechselbare Atmosphäre. Mal findet man an ihm Gefallen, mal weniger. Für mich hat er auch sozusagen eine Seele, die ich zwar nicht sehe, aber spüre. Eifersüchtig hütet er seine ihm eigene Flora und seine ihm eigene Fauna. Er hat auch eine Stimme, ja mehrere Stimmen. Bald schüttelt er mit Geknall seine Steine ab, bald entlässt er mit dumpfem Rollen eine Lawine. Dann wieder höre ich ihn pfeifen, und ich denke daran, wie wir uns als Buben darüber stritten, ob der Wind oder der Felsen pfeife, ob das Gras rausche oder der Wind, der darüber fegt. Das stärkste Ausdrucksmittel des Berges aber sind die Wolken, in die er sich zuweilen hüllt, die sich zu Kumuli und Nimbi kräuseln oder Regenbogen und gespenstische Spektren in den Raum zaubern. Der Mensch verschwindet daneben und wird wieder jenes winzige Geschöpf, das er immer bleiben wird.

Da stehe ich nun auf der Cima Rossa und überlege, was ich tun soll. Am einfachsten wäre es, zum Einschnitt auf Punkt 2892 zurückzukehren und von dort ins Calancatal abzusteigen, doch hält mich der dicke Nebel davon ab; ich könnte auch die Flanke der Cima dei Cogn queren und ins Val Madra hinuntersteigen, wenn bloss das verwirrende Spiel der Nebelschwaden aufhörte. Auch die Westkante, die sich zur Alpe di Piotta senkt, ist schon geheimnisvoll verhüllt. Ade, gemütliche Rast mit Picknick aus dem Rucksack!

Kurze Aufhellungen und trübe Dunstschwaden wechseln sich ab, als ich der Krete entlang trotte, die zum Piz Piotta führt, wo es weniger finster und neblig ist. Aber wie ich dort ankomme, schliesst sich auch dieser Ausweg, und der Abstieg über die Nordostkante, die zur Alp de Stabi im Calancatal führt, ist mir ebenfalls versperrt. Ich versuche einen Durchbruch gegen Norden über den Piottagletscher, doch der vereiste, von einer dünnen Schicht Pulverschnee bedeckte Boden ist überaus glatt, und mir fehlen die Steigeisen. Wie ein Tier, das Gefahr wittert, irre ich umher, bis ich endlich beschliesse, auf Punkt 3006 hinabzusteigen und der steilen Rippe zu folgen, die dort ihren Ausgang nimmt und mir als Wegweiser dienen wird.

Doch die Cima Rossa gebärdet sich heute äusserst launisch!

Eis, Matsch und fauler, schlüpfriger Fels zwingen mich zu neuen Umwegen. Man sollte ein Seil haben, eine Reepschnur... die üblichen Wenn und Aber aller Alpinisten. Ich beschliesse, die Krete wieder zu verlassen und mich dem Schneefeld zu meiner Rechten zuzuwenden, das sanft zur Mulde der Alpe di Giumello abfällt. Schritt für Schritt kämpfe ich mich mit dem Pickel voran.

Ein Blick auf die Uhr; ich muss schauen, dass ich Dandrio noch vor dem Einnachten erreiche.

Doch was soll 's: Ob Sonne oder Nebel, ob Licht oder Schatten, das ist jetzt einerlei. Ich drehe mich nicht einmal mehr um; die Cima Rossa hat sich schon wieder eingehüllt und würde mich keines Blickes würdigen.

Hinweise zur Route:

  • Die ersten paar hundert Höhenmeter findet sich ein zeitweise recht deutlicher Ziegenpfad, der sich allmählich verliert. 
  • Anspruchsvoll ist vor allem der steile Hang aus Gras und Felsen, auf etwa 1700-1800 m, nach dem wir dann zum Ri della Fürbeda gequert haben (Querung auf 1800 m). 
  • Möglicherweise ist es viel einfacher, den Ri della Fürbeda weiter oben, auf etwa 2200 m zu queren. Auf diese Weise kann man das Gestrüpp quasi völlig vermeiden. Die Bachquerung ist auf dieser Höhe, bei der Richtungsänderung des Baches vermutlich machbar. 
  • Wir haben P. 2041 besucht, den wir als Pizzo Aldo bezeichnen, er bietet einen schönen Tiefblick nach Dandrio. Von hier aus sind wir etwa 100 hm auf dem Grat geblieben. Dann kann man entweder auf der Rippe bleiben (Erlen und einige Felspartien) oder man quert durch das Gestrüpp auf einer Tierspur zurück gegen den Ri della Fürbeda. 
  • Auf der Höhe von etwa 1800 - 2000 m ziehen recht deutliche Tierpfade gegen Norden weg, so gibt es wohl auch Möglichkeiten, um die Flanke Richtung Val Madra zu queren. 

Tourengänger: Zaza, blepori


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

danicomo hat gesagt:
Gesendet am 1. Juli 2018 um 10:37
Benedetto ormai è come il prezzemolo....
Passa con disinvoltura da gruppi di ragazzine a forti alpinisti.
Bella, bravi....
Daniele

jimmy hat gesagt: Traumtour
Gesendet am 1. Juli 2018 um 11:28
Welche wir ja im Mai von Vis à vis betrachten konnten.
Es werden Erinnerungen an den herrlichen Piottagrat wach! www.hikr.org/tour/post41148.html
Herzliche Gratulation
Andreas

Adventurer hat gesagt:
Gesendet am 2. Juli 2018 um 12:09
Grandi ragazzi,ero su anch'io sabato,probabilmente eravate voi i 2 ragazzi che stavano scendendo,ci siamo incrociati all'Alpe Piotta,eravamo seduti a parlare con un signore del posto. Noi siamo scesi dalle ganne della marcia facendo riferimento alla relazione di tapio ma abbiamo trovato il passaggio obbligato del canalino non in condizione e siamo scesi da un canale molto esposto verso il Piano della Parete,davvero bella questa Cima Rossa!! :D
Francesco

Zaza hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. Juli 2018 um 20:39
Ciao Francesco

Abbiamo viste le vostre traccie anche nella neve. Com‘è piccolo il mondo alpino :-) e oggi è anche arrivata „L‘alpinista ticinese“ con un articolo che presente la salita alla Cima dei Cogn e Cima Rossa!

Ciao, Manuel

atal hat gesagt:
Gesendet am 3. Juli 2018 um 13:34
Ciao Manuel,
questa volta ti sei superato: hai pubblicato in tempo da record una relazione lunghissima ;-)
Scherzi a parte, bellissimo giro e bei posti.
Stammi bene,
Andrea


Kommentar hinzufügen»