Von Biel über den Chasseral nach Saint-Imier

Den höchsten Punkt im Kanton Neuenburg, eine namenlose Weidekuppe, "muss" man nicht besucht haben. Doch er lässt sich prima mit dem Chasseral kombinieren. Letzteren besteigt man vorzugsweise aus dem Vallon de St-Imier durch das Waldreservat Combe-Grède. Der eindrückliche Schluchtenweg ist sogar preisgekrönt und zählt zu den ganz wenigen Bergwanderwegen im Jura. Angesichts der längeren Anfahrt ab Zürich war mir das trotzdem etwas wenig Fleisch am Knochen. Also bestimme ich kurzerhand Biel SBB zum Ausgangspunkt. So darf ich wieder einmal durch die schöne Altstadt flanieren, um anschliessend durch die spektakuläre Taubenlochschlucht nach Frinvillier aufzusteigen. Diese (Spazier-)Strecke erachte ich als einer der schönsten im gesamten Schweizer Wanderwegnetz. Was folgt, ist weniger berauschend: der elend weite, wenig abwechslungsreiche Marsch über den Jurahauptkamm Richtung Chasseral. Ab Biel sind das knapp 25km... hinzukommt der Schlussabstieg nach Saint-Imier.

Bonjour Tristesse, als ich in Biel (434m) aus dem Bahnhofsgebäude trete: graue Wolken und Nieselregen. Der rauhe, aber authentische Charme der Stadt mag so gar nicht zur Geltung kommen. Trotzdem lasse ich mir den kurzen Besuch der Altstadt, wo wie jeden Dienstag Gemüsemarkt ist, nicht verderben. Anschliessend spaziere ich die zwei Kilometer Richtung Bözingen, zum Eingang der Taubenlochschlucht. Diese lässt sich übrigens auch bequem im Bus ab Bahnhof erreichen (Station:  Biel/Bienne, Taubenloch). Die Geschichte der Schlucht als Nord-Süd-Verbindung und Eintrittstor in den Jura reicht weit zurück in die Römerzeit. Der heutige Fussweg besteht seit 1889 und wurde durch den SAC aus touristischen Überlegungen initiiert. Wer ihn einmal begangen hat, wird mir beipflichten: landschaftlich sensationell! Eindrücklich windet sich der Weg über Stege, kleine Brücken und Trassees durch die enge Felsschlucht - immer der Suze entlang. Schwierig ist das nirgends (T1, max. 30 Minuten); so möchte ich diesen Spaziergang allen Biel-Besuchern dringend ans Herz legen. Am oberen Ausgang in Frinvillier (532m) befindet sich übrigens eine lauschige (Garten-)Wirtschaft.

Für mich war's das vorerst mit Höhepunkten, nun folgt die Fleissarbeit auf dem nationalen Jura-Höhenweg. Beim Blick auf den Wegweiser verschlägt's mir fast die Sprache, 5:50 zum Chasseral. Minim kürzer, aber weniger schön wäre die Variante via Orvin. Der initiale Aufstieg zum Jurahauptkamm vermag durchaus noch zu begeistern. Aber ab ca. 900müM weitet sich der Rücken zu einem breiten Plateau, da kommt keinerlei Gratgefühl mehr auf. Das trübe Wetter - der Regen hat sich zum Glück seit längerem verabschiedet - hilft auch nicht weiter, Aussicht ins Drei-Seen-Land gibt's vorerst keine. Also heisst es auf die Zähne beissen und laufen, laufen, laufen - knapp 25 Kilometer beträgt die Distanz ab Biel Bahnhof zum Chasseral. Ab dem Gehöft von Les Coperies (1130m) verlässt der Wanderweg die Krete nach Norden. Muss nicht sein, denke ich mir, und folge stattdessen einem guten Weg obendurch. Nach gut drei Kilometern kommen die beiden Varianten wieder zusammen.

Das Jurahaus SAC lasse ich links liegen, trödeln liegt heute nicht drin. War ich zuvor mutterseelenallein unterwegs, begegne ich ab dem Parkplatz bei P. 1288 vereinzelten Mitwanderern; Chasseral retour scheint ein beliebter Ausflug zu sein. Pünktlich zum Schlussspurt setzt sich langsam die Sonne durch. Endlich, denn die Meteorologen haben im Tagesverlauf eine Wetterbesserung aus Westen versprochen. So öffnet sich der Blick aufs Drei-Seen-Land im Süden, eine Gegend, die ich letztes Jahr ausgiebig kennenlernen durfte. Eindrücklich auch, wie der grosse Fernsehturm plötzlich aus den Wolken erscheint. Auf dessen Westseite befindet sich der Triangulationspunkt vom Chasseral (1607m). Trotz den scheuen Sonnenstrahlen bleibt es garstig draussen, es zieht stark und ist entsprechend kalt. So verziehe ich mich für die grosse Pause ins Hotel Chasseral mit seinem wenig charmanten Self-Service-Restaurant.

Eine Stunde später - gestärkt, aufgewärmt und wieder gutgelaunt - breche ich auf und folge der Krete einen Kilometer bis zum höchsten Neuenburger (Weidekuppe P. 1552). Jetzt "darf" ich endlich mit dem Talabstieg beginnen. Und dieser wartet mit einem zweiten Leckerbissen auf, ebenfalls einer Schlucht, der Combe-Grède. Nicht ganz so spektakulär wie zuvor, dafür steiler und ausgesetzter, windet sich der preisgekrönte Bergwanderweg Richtung Vallon de St-Imier hinab. Schwierig ist das nirgends (obere T2), aber im Abstieg bei Nässe (wie heute) Vorsicht angebracht (Rutschgefahr). Vom Ausgang der Schlucht steige ich der besseren Zugverbindungen wegen nicht direkt nach Villeret ab, sondern nehme den kurzen Umweg nach Saint-Imier (793m) in Kauf. Dabei komme ich auch am Hauptsitz von Longines vorbei, dem wichtigsten Arbeitgeber der Gemeinde. Am Bahnhof nimmt meine Odyssee nach knapp 35 Kilometern schliesslich ihr wohlverdientes Ende.


Zeiten
1:10  Frinvillier
2:05  Cabane du Jura
1:45  Chasseral
2:00  Saint-Imier