Schlemmertour von Baden nach Wädenswil (Heitersberg-Uetliberg-Albis-Hirzel)
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Unter einer Schlemmertour stellen sich wahrscheinlich die meisten etwas anderes vor als eine zweitägige Wanderung von rund 60 km Länge und nahezu 2000 Höhenmetern. Von selbst wäre ich auch nicht darauf gekommen. Der Vorschlag stammt von Baeremanni. Nicht für die Schlemmertour, aber für die Route von Baden über den Heitersberg. Geendet hätte sie als Tagestour am Stadtrand von Zürich. Und von dort mit dem Tram zum Hauptbahnhof. Das dünkte mich kein würdiger Abschluss einer so langen Wanderung. Deshalb die Idee, die Tour auf den Uetliberg zu verlängern, dort zu übernachten, am zweiten Tag die Albiskette anzuhängen und schliesslich über den Hirzel nach Wädenswil zu wandern.
So weit, so gut – aber warum Schlemmertour? Wer den ganzen Tag wandert, soll auch gut essen. Und auf dem Uetliberg kann man nicht nur übernachten. Bei der Zimmerreservation entdeckte ich auf der Internetseite des Hotels UTO KULM das Schlemmermenu im dazugehörigen Restaurant. Keine Frage, es wird auch jenen Gästen serviert, die mit der Bahn auf den Uetliberg fahren. Doch ich bin mir sicher, so gut wie nach einer neunstündigen Wanderung wird es niemals schmecken.
Mitten in der Nacht wache ich auf und kann nicht mehr einschlafen. Vor vier Uhr und längst bevor der Wecker geklingelt hätte, stehe ich auf. Es ist verrückt, meine geplante Schlemmertour fasziniert mich, als würde es sich um eine grosse Bergtour handeln. Es ist noch zu früh um aufzubrechen. Statt am Bahnhof zu warten, schaue ich im Internet nochmals die Wetterprognose an. Kein Zweifel, ich habe die richtigen zwei Tage ausgewählt. Am Morgen ist es zwar noch empfindlich kühl und bewölkt, doch dann wird es richtig Frühling. Mit milden Temperaturen und viel Sonnenschein.
Am Bahnhof Baden, als ich Richtung Wanderwegweiser gehe, sehe ich dort einen Mann mit Rucksack und Wanderstock, der die Angaben studiert und sich dann auf den Weg macht. Vielleicht auf die Lägern? Ein Ziel, von dem fast alle zumindest schon einmal gehört haben. Doch wer ausser Ortskundigen kennt schon den Rüsler? Oder den Hasenberg? Ohne Landeskarte hätte ich nicht gemerkt, dass das meine ersten Etappenziele sind.
Das Städtchen wirkt um diese Zeit wie ausgestorben. Von den Mauern der engen Gassen hallt einzig der Lärm der Strassenwischmaschine, die ihre Runden dreht und die Spuren der vergangenen Samstagnacht beseitigt. Nach dem Bahnübergang zeigen im Wald die Wegweiser in entgegensetzte Richtungen, und zwar für die gleichen Ziele. Ich folge weder dem einen noch dem andern, sondern steige, zuerst weglos, dann auf Waldstrassen, zum Chrüzliberg (513 m) hinauf, dem nördlichen Ende der Heitersbergkette. Anschliessend geht es weiter der Gratkante entlang. Der Höhenweg, der übrigens „Bareggstrasse“ heisst, mündet nach kaum zwei Kilometern in die markierten Wanderwege. Mit dem Auto im Bareggtunnel waren wahrscheinlich die meisten schon einmal, auf der Bareggstrasse vermutlich die wenigsten. Was heute der Gubristtunnel war früher der Bareggtunnel: der Inbegriff von täglichen, kilometerlangen Staus.
Wenige Kilometer weiter erreicht man die Waldlichtung Rüsler mit dem gleichnamigen Ausflugsrestaurant, das als „Badener Bergbeiz“ gilt. Von dort weiter auf dem Höhenweg Richtung Hasenberg. Ein grosser Stein markiert den höchsten Punkt der Heitersberghöhe (787 m), die zum Naturwaldreservat Egelsee gehört. Auch bei den Besitzern von Mountainbikes erfreut sich die Strecke grosser Beliebtheit. Einmal kann ich mich noch rechtzeitig mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. „Tschuldigung! Tschuldigung!“, rufen sie, als sie in einem Wahnsinnstempo an mir vorbeiflitzen. Ob sie auf dem unübersichtlichen, schmalen und kurvigen Weg notfalls rechtzeitig hätten abbremsen und ausweichen können, überlege ich mir. Auch T1 Wanderungen bergen anscheinend ihre Gefahren… Gewisse Biker entwickeln sich zu einer richtigen Plage. Manche Waldstücke sehen aus, als wären sie von Wildschweinen umgepflügt worden.
Der Weiler Hasenberg liegt am Waldrand und am Fuss des Hasenberg, dem südlichen Ende der Hügelkette. Oberhalb, in einer Waldschneise, hat es eine Sitzbank. Hier setze ich mich an die Sonne. Die leichte Bise fühlt sich sehr kühl an. Hätte ich Handschuhe mitgenommen, würde ich sie jetzt anziehen. Im Dunst ist der Uetliberg mit der Antenne und dem Aussichtsturm zu erkennen. Seit bald vier Stunden bin ich unterwegs. Zeit für die Mittagsrast, obwohl es erst 11 Uhr ist.
Die Wanderung von Baden auf den Uetliberg lässt sich in drei Etappen unterteilen: die erste und längste Etappe ist der Höhenweg über den Heitersberg und endet auf dem Hasenberg. Die zweite Etappe führt durchs Reppischtal nach Birmensdorf und die dritte schliesslich hinauf auf den Uetliberg. Es ist erstaunlich, dass auf der rund 30 km langen und nur leicht hügeligen Strecke – Baden liegt auf 385 m über Meer, der Gipfel des Uetliberg auf 870 m – insgesamt gut 1000 Höhenmeter zurückzulegen sind. Dafür verantwortlich ist in erster Linie das Reppischtal, das den Weg vom Heitersberg zum Uetliberg durchschneidet.
An Höhenmetern zu sparen habe ich nicht im Sinn. Vielmehr geht es mir darum, die schönste Route zu finden, möglichst ohne motorisierten Verkehr. Aus diesem Grund wähle ich, nach dem Abstieg zum Reppischhof, den Aufstieg zum höchsten Punkt des Honeret (580 m), der sich in einem Naturschutzgebiet befindet. Ein schönes Plätzchen, um den Dessert einzunehmen: drei Getreideriegel, welche die notwendige Energie für die verbleibende Strecke liefern sollen, dazu Quellwasser, das ich immer wieder auftanke, sobald ich einen Brunnen sehe.
Eigentlich hätte ich nach dem zweiten Abstieg ins Reppischtal über Buehalden/Hafnerberg nach Birmensdorf wandern wollen. Leider verpasse ich die Abzweigung, nochmals zurück will ich nicht und so nehme ich den direkten Weg unter der Autobahnbrücke hindurch und der Reppisch entlang. Einerseits ärgere ich mich über diesen Patzer, gleichzeitig bin ich gar nicht so unglücklich über die Verkürzung der Strecke. Denn ehrlich gesagt, so frisch wie am Morgen bin ich längst nicht mehr. So manche Sitzbank, an der ich vorher achtlos vorbeimarschiert bin, ist mir nun eine willkommene Gelegenheit für eine kurze Pause. Dies gilt erst recht für die nun anstehende dritte und letzte Etappe: den Aufstieg von Birmensdorf auf den Uetliberg.
Es ist kurz nach zwei Uhr nachmittags, als ich durch Birmensdorf wandere. Inzwischen längst im T-Shirt. An der Sonne ist es angenehmen warm und an windgeschützten Orten fast sommerlich heiss. Rund zwei Stunden noch bis ans Ziel. Ich nehme es gemütlich und gehe bewusst langsam, um den Aufstieg trotz Müdigkeit möglichst zu geniessen. Zwischen Ringlikon und der Station Uetliberg mache ich auf einer der zahlreichen Sitzbänke nochmals Pause. Ein Mann, deutlich jünger als ich, ganz verschwitzt und fast atemlos, fragt, ob er sich zu mir setzen darf. „Was Sie am Rücken tragen, habe ich alles hier“, meint er mit Bedauern auf seinen Bauch deutend. Wie gut ich ihn verstehen kann! Vor neun Jahren, als ich mich entschloss, wieder in die Berge zu gehen, war ich anfänglich genau wie er.
Es ist ein triumphales Gefühl, als ich oben auf dem Uetliberg durch die Menschenmenge hindurch zum Eingang des Hotels Uto Kulm hinsteuere und noch mit den Ausschnitten der Landeskarte in der Hand beim Empfang meine Reservation hinlege. „Ach so, ich dachte, Sie wollten nur nach dem Weg fragen“, meint etwas erstaunt die Dame an der Rezeption. Vermutlich sind Gäste, die mit Rucksack und Wanderschuhen anreisen, eher die Ausnahme.
Nach einer warmen und ausgiebigen Dusche lege ich mich kurz hin. Dann ist es bereits Zeit fürs Abendessen. Für 18 Uhr habe ich einen Tisch im Panoramarestaurant reserviert. Das 5-Gang Schlemmermenu als krönender Abschluss des Tages. Zum Auftakt werden Kopfsalatherzen mit Ei serviert. Dann folgt eine Spargelcremesuppe. Anschliessend gibt es Bergkäsecappelletti mit Bärlauchpesto und als Hauptgang ein Rindsfilet mit Bratkartoffeln und Saisongemüse. Jeden Bissen lasse ich auf der Zunge zerfliessen, ebenso den Rotwein aus dem Burgund, den ich in kleinen Schlückchen geniesse. Während ich mit inzwischen gut gefülltem Magen, einem Gefühl wohliger Zufriedenheit und doch etwas schweren Beinen auf das Dessert warte, gehen mir zweifelnde Gedanken durch den Kopf: Will ich morgen wirklich nochmals 30 km zurücklegen? Ich könnte ja einfach nach dem Frühstück noch ein paar Stunden auf dem Uetliberg verweilen und anschliessend mit der Bahn nach Hause fahren…
Vor lauter Schlemmen verpasse ich beinahe den Sonnenuntergang. Fast zwei Stunden hat das lukullische Ritual gedauert. Bemerkt habe ich den tiefen Sonnenstand erst, als ich den letzten Bissen Rhabarber-Granatapfel-Schnitte verspeist habe. Im Zimmer hole ich die Windjacke und eile zur Plattform des Aussichtsturms hinauf. An dem ungeschützten Ort weht eine empfindlich kalte Bise. Die Sicht reicht von Alpstein-Churfirsten über die Glarner- und Innerschweizer-Gipfel bis zu den Berner Alpen. Die Abendsonne hat die Albiskette in ein warmes, rötliches Licht getaucht. Meine morgige Route! Alle Zweifel sind wie weggeblasen. Wie könnte ich die Gelegenheit zu einer solchen Tour ungenützt vorbeigehen lassen!
Während Zürich in der Dämmerung versinkt und unten in der Stadt allmählich die Lichter angehen, lege ich mich schlafen. Als ich wieder erwache und die Augen öffne, bietet sich am Horizont ein Farbenspiel der Natur, wie ich es bisher nur hoch oben in den Bergen erlebt habe. Und das auf dem Uetliberg! Über dem Zürichsee geht langsam die Sonne auf, östlich davon zeichnet sich die Alpstein-Silhouette vor dem wolkenlosen Himmel ab. Säntis, Altmann und Wildhuser Schafberg sind von blossem Auge zu erkennen. Inzwischen ist der erste Biker auf dem Uetliberg angekommen. Vielleicht ein Nachfahre von Bäckermeister Denzler, der die frischen Brötchen bringt? Wohl kaum! Im gleichen Mass wie die Backstube ist auch die Zustellung motorisiert worden.
Später am Frühstückstisch als Kulisse der ganze Alpenkranz vom Glärnisch bis zu den Berner Gipfeln. „Na, wie im Paradies?“, meint schmunzelnd der Kellner. Ja, und er der Engel, der mir den Cappuccino bringt. Auch sonst lässt das Frühstücksbuffet keine Wünsche offen. Von den verschiedenen Brot- und Käsesorten über Fruchtsäfte, alle möglichen Teesorten, Frühstückseier, die man im kochenden Wasser selbst zubereiten kann, bis zu Joghurt und Müesli mit frischen Früchten. Es lässt sich gar nicht alles aufzählen. Zum Abschluss nehme ich noch Rührei mit Speck.
Derart gestärkt mache ich mich um 9 Uhr wieder auf den Weg. Auch die heutige Tour kann man gut in drei Etappen einteilen: Für die erste Etappe vom Uetliberg zum Albispass, die rund 10 km lang ist, benötigt man zwei bis drei Stunden, je nachdem wie gemütlich man es nimmt. Die zweite Etappe, weitere rund 10 km, führt alles auf dem Grat über das Albishorn hinunter nach Sihlbrugg Dorf und die dritte Etappe schliesslich – mit nochmals etwa 10 km – vom Sihltal über den Hirzel nach Wädenswil am Zürichsee.
Auf dem Uetliberg bin ich nicht zum ersten Mal. Doch dort übernachtet habe ich vorher noch nie und bisher jeweils Tage mit eher zweifelhaftem Wetter gewählt. Zu schlecht für eine Bergtour, gerade recht für den Uetliberg, dachte ich mir. Ganz klar ein Fehler, wie ich nun feststellen muss. Bei der ausgezeichneten Fernsicht, die ich heute vorfinde, hat die Tour einen ganz andern Charakter. Während der Höhenwanderung hat man fast ständig einen Ausschnitt des Alpenpanoramas vor Augen: Einmal, eingerahmt von Rigi und Pilatus, die Berner Grössen, dann wieder über dem Zürichsee Speer und Alpstein, später zum Greifen nahe Glärnisch und Tödi.
Es macht auch einen grossen Unterschied, ob man ausgeruht und gut gefrühstückt vom Uto Kulm aufbricht oder bereits zwei Stunden Aufstieg von Zürich aus hinter sich hat. So steige ich heute nicht nur auf den Turm auf der Hochwacht, sondern besuche erstmals auch die Ruinen der ehemaligen Burg Schnabellücken, die ich sonst wohlweislich umgangen habe. Um 13 Uhr dann die Mittagspause an der Sonne auf dem Albishorn (909 m), mit Blick auf die heute zurückgelegte Strecke. Die Kilometer von gestern sind längst verdaut – genauso wie das Schlemmermenu.
Erstaunlicherweise verspüre ich kaum Müdigkeit, als ich vom Albishorn nach Sihlbrugg hinunter wandere. Das ändert sich allerdings schnell beim Gegenanstieg auf den Hirzel hinauf. Es sind zwar keine 200 Höhenmeter, aber sie fühlen sich anstrengender an als alle vorangegangenen – was nach den seit gestern Morgen zurückgelegten 50 km horizontaler Strecke gut verständlich ist. So sehr ich Körper und Geist mit allen möglichen Freuden abgelenkt und zufriedengestellt habe, die körperliche Anstrengung hat ihre Spuren hinterlassen. Unter diesen Umständen bin ich froh, als unten am See Wädenswil auftaucht. Bald bin ich am Ziel! Die S-Bahn bringt mich anschliessend ohne Umsteigen zurück in den Thurgau. Vorher jedoch bleibt mir noch genügend Zeit, ein Cornetto Schokoladeeis zu kaufen, als Abschluss meiner Schlemmertour.
Am nächsten Tag fragt mich jemand, ob ich in den Ferien gewesen sei. Ja, zweifellos! In den zwei Tagen von Baden nach Wädenswil habe ich so viel Schönes erlebt und fühle mich dermassen erholt, als wäre ich eine ganze Woche weg gewesen.
So weit, so gut – aber warum Schlemmertour? Wer den ganzen Tag wandert, soll auch gut essen. Und auf dem Uetliberg kann man nicht nur übernachten. Bei der Zimmerreservation entdeckte ich auf der Internetseite des Hotels UTO KULM das Schlemmermenu im dazugehörigen Restaurant. Keine Frage, es wird auch jenen Gästen serviert, die mit der Bahn auf den Uetliberg fahren. Doch ich bin mir sicher, so gut wie nach einer neunstündigen Wanderung wird es niemals schmecken.
Mitten in der Nacht wache ich auf und kann nicht mehr einschlafen. Vor vier Uhr und längst bevor der Wecker geklingelt hätte, stehe ich auf. Es ist verrückt, meine geplante Schlemmertour fasziniert mich, als würde es sich um eine grosse Bergtour handeln. Es ist noch zu früh um aufzubrechen. Statt am Bahnhof zu warten, schaue ich im Internet nochmals die Wetterprognose an. Kein Zweifel, ich habe die richtigen zwei Tage ausgewählt. Am Morgen ist es zwar noch empfindlich kühl und bewölkt, doch dann wird es richtig Frühling. Mit milden Temperaturen und viel Sonnenschein.
Am Bahnhof Baden, als ich Richtung Wanderwegweiser gehe, sehe ich dort einen Mann mit Rucksack und Wanderstock, der die Angaben studiert und sich dann auf den Weg macht. Vielleicht auf die Lägern? Ein Ziel, von dem fast alle zumindest schon einmal gehört haben. Doch wer ausser Ortskundigen kennt schon den Rüsler? Oder den Hasenberg? Ohne Landeskarte hätte ich nicht gemerkt, dass das meine ersten Etappenziele sind.
Das Städtchen wirkt um diese Zeit wie ausgestorben. Von den Mauern der engen Gassen hallt einzig der Lärm der Strassenwischmaschine, die ihre Runden dreht und die Spuren der vergangenen Samstagnacht beseitigt. Nach dem Bahnübergang zeigen im Wald die Wegweiser in entgegensetzte Richtungen, und zwar für die gleichen Ziele. Ich folge weder dem einen noch dem andern, sondern steige, zuerst weglos, dann auf Waldstrassen, zum Chrüzliberg (513 m) hinauf, dem nördlichen Ende der Heitersbergkette. Anschliessend geht es weiter der Gratkante entlang. Der Höhenweg, der übrigens „Bareggstrasse“ heisst, mündet nach kaum zwei Kilometern in die markierten Wanderwege. Mit dem Auto im Bareggtunnel waren wahrscheinlich die meisten schon einmal, auf der Bareggstrasse vermutlich die wenigsten. Was heute der Gubristtunnel war früher der Bareggtunnel: der Inbegriff von täglichen, kilometerlangen Staus.
Wenige Kilometer weiter erreicht man die Waldlichtung Rüsler mit dem gleichnamigen Ausflugsrestaurant, das als „Badener Bergbeiz“ gilt. Von dort weiter auf dem Höhenweg Richtung Hasenberg. Ein grosser Stein markiert den höchsten Punkt der Heitersberghöhe (787 m), die zum Naturwaldreservat Egelsee gehört. Auch bei den Besitzern von Mountainbikes erfreut sich die Strecke grosser Beliebtheit. Einmal kann ich mich noch rechtzeitig mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. „Tschuldigung! Tschuldigung!“, rufen sie, als sie in einem Wahnsinnstempo an mir vorbeiflitzen. Ob sie auf dem unübersichtlichen, schmalen und kurvigen Weg notfalls rechtzeitig hätten abbremsen und ausweichen können, überlege ich mir. Auch T1 Wanderungen bergen anscheinend ihre Gefahren… Gewisse Biker entwickeln sich zu einer richtigen Plage. Manche Waldstücke sehen aus, als wären sie von Wildschweinen umgepflügt worden.
Der Weiler Hasenberg liegt am Waldrand und am Fuss des Hasenberg, dem südlichen Ende der Hügelkette. Oberhalb, in einer Waldschneise, hat es eine Sitzbank. Hier setze ich mich an die Sonne. Die leichte Bise fühlt sich sehr kühl an. Hätte ich Handschuhe mitgenommen, würde ich sie jetzt anziehen. Im Dunst ist der Uetliberg mit der Antenne und dem Aussichtsturm zu erkennen. Seit bald vier Stunden bin ich unterwegs. Zeit für die Mittagsrast, obwohl es erst 11 Uhr ist.
Die Wanderung von Baden auf den Uetliberg lässt sich in drei Etappen unterteilen: die erste und längste Etappe ist der Höhenweg über den Heitersberg und endet auf dem Hasenberg. Die zweite Etappe führt durchs Reppischtal nach Birmensdorf und die dritte schliesslich hinauf auf den Uetliberg. Es ist erstaunlich, dass auf der rund 30 km langen und nur leicht hügeligen Strecke – Baden liegt auf 385 m über Meer, der Gipfel des Uetliberg auf 870 m – insgesamt gut 1000 Höhenmeter zurückzulegen sind. Dafür verantwortlich ist in erster Linie das Reppischtal, das den Weg vom Heitersberg zum Uetliberg durchschneidet.
An Höhenmetern zu sparen habe ich nicht im Sinn. Vielmehr geht es mir darum, die schönste Route zu finden, möglichst ohne motorisierten Verkehr. Aus diesem Grund wähle ich, nach dem Abstieg zum Reppischhof, den Aufstieg zum höchsten Punkt des Honeret (580 m), der sich in einem Naturschutzgebiet befindet. Ein schönes Plätzchen, um den Dessert einzunehmen: drei Getreideriegel, welche die notwendige Energie für die verbleibende Strecke liefern sollen, dazu Quellwasser, das ich immer wieder auftanke, sobald ich einen Brunnen sehe.
Eigentlich hätte ich nach dem zweiten Abstieg ins Reppischtal über Buehalden/Hafnerberg nach Birmensdorf wandern wollen. Leider verpasse ich die Abzweigung, nochmals zurück will ich nicht und so nehme ich den direkten Weg unter der Autobahnbrücke hindurch und der Reppisch entlang. Einerseits ärgere ich mich über diesen Patzer, gleichzeitig bin ich gar nicht so unglücklich über die Verkürzung der Strecke. Denn ehrlich gesagt, so frisch wie am Morgen bin ich längst nicht mehr. So manche Sitzbank, an der ich vorher achtlos vorbeimarschiert bin, ist mir nun eine willkommene Gelegenheit für eine kurze Pause. Dies gilt erst recht für die nun anstehende dritte und letzte Etappe: den Aufstieg von Birmensdorf auf den Uetliberg.
Es ist kurz nach zwei Uhr nachmittags, als ich durch Birmensdorf wandere. Inzwischen längst im T-Shirt. An der Sonne ist es angenehmen warm und an windgeschützten Orten fast sommerlich heiss. Rund zwei Stunden noch bis ans Ziel. Ich nehme es gemütlich und gehe bewusst langsam, um den Aufstieg trotz Müdigkeit möglichst zu geniessen. Zwischen Ringlikon und der Station Uetliberg mache ich auf einer der zahlreichen Sitzbänke nochmals Pause. Ein Mann, deutlich jünger als ich, ganz verschwitzt und fast atemlos, fragt, ob er sich zu mir setzen darf. „Was Sie am Rücken tragen, habe ich alles hier“, meint er mit Bedauern auf seinen Bauch deutend. Wie gut ich ihn verstehen kann! Vor neun Jahren, als ich mich entschloss, wieder in die Berge zu gehen, war ich anfänglich genau wie er.
Es ist ein triumphales Gefühl, als ich oben auf dem Uetliberg durch die Menschenmenge hindurch zum Eingang des Hotels Uto Kulm hinsteuere und noch mit den Ausschnitten der Landeskarte in der Hand beim Empfang meine Reservation hinlege. „Ach so, ich dachte, Sie wollten nur nach dem Weg fragen“, meint etwas erstaunt die Dame an der Rezeption. Vermutlich sind Gäste, die mit Rucksack und Wanderschuhen anreisen, eher die Ausnahme.
Nach einer warmen und ausgiebigen Dusche lege ich mich kurz hin. Dann ist es bereits Zeit fürs Abendessen. Für 18 Uhr habe ich einen Tisch im Panoramarestaurant reserviert. Das 5-Gang Schlemmermenu als krönender Abschluss des Tages. Zum Auftakt werden Kopfsalatherzen mit Ei serviert. Dann folgt eine Spargelcremesuppe. Anschliessend gibt es Bergkäsecappelletti mit Bärlauchpesto und als Hauptgang ein Rindsfilet mit Bratkartoffeln und Saisongemüse. Jeden Bissen lasse ich auf der Zunge zerfliessen, ebenso den Rotwein aus dem Burgund, den ich in kleinen Schlückchen geniesse. Während ich mit inzwischen gut gefülltem Magen, einem Gefühl wohliger Zufriedenheit und doch etwas schweren Beinen auf das Dessert warte, gehen mir zweifelnde Gedanken durch den Kopf: Will ich morgen wirklich nochmals 30 km zurücklegen? Ich könnte ja einfach nach dem Frühstück noch ein paar Stunden auf dem Uetliberg verweilen und anschliessend mit der Bahn nach Hause fahren…
Vor lauter Schlemmen verpasse ich beinahe den Sonnenuntergang. Fast zwei Stunden hat das lukullische Ritual gedauert. Bemerkt habe ich den tiefen Sonnenstand erst, als ich den letzten Bissen Rhabarber-Granatapfel-Schnitte verspeist habe. Im Zimmer hole ich die Windjacke und eile zur Plattform des Aussichtsturms hinauf. An dem ungeschützten Ort weht eine empfindlich kalte Bise. Die Sicht reicht von Alpstein-Churfirsten über die Glarner- und Innerschweizer-Gipfel bis zu den Berner Alpen. Die Abendsonne hat die Albiskette in ein warmes, rötliches Licht getaucht. Meine morgige Route! Alle Zweifel sind wie weggeblasen. Wie könnte ich die Gelegenheit zu einer solchen Tour ungenützt vorbeigehen lassen!
Während Zürich in der Dämmerung versinkt und unten in der Stadt allmählich die Lichter angehen, lege ich mich schlafen. Als ich wieder erwache und die Augen öffne, bietet sich am Horizont ein Farbenspiel der Natur, wie ich es bisher nur hoch oben in den Bergen erlebt habe. Und das auf dem Uetliberg! Über dem Zürichsee geht langsam die Sonne auf, östlich davon zeichnet sich die Alpstein-Silhouette vor dem wolkenlosen Himmel ab. Säntis, Altmann und Wildhuser Schafberg sind von blossem Auge zu erkennen. Inzwischen ist der erste Biker auf dem Uetliberg angekommen. Vielleicht ein Nachfahre von Bäckermeister Denzler, der die frischen Brötchen bringt? Wohl kaum! Im gleichen Mass wie die Backstube ist auch die Zustellung motorisiert worden.
Später am Frühstückstisch als Kulisse der ganze Alpenkranz vom Glärnisch bis zu den Berner Gipfeln. „Na, wie im Paradies?“, meint schmunzelnd der Kellner. Ja, und er der Engel, der mir den Cappuccino bringt. Auch sonst lässt das Frühstücksbuffet keine Wünsche offen. Von den verschiedenen Brot- und Käsesorten über Fruchtsäfte, alle möglichen Teesorten, Frühstückseier, die man im kochenden Wasser selbst zubereiten kann, bis zu Joghurt und Müesli mit frischen Früchten. Es lässt sich gar nicht alles aufzählen. Zum Abschluss nehme ich noch Rührei mit Speck.
Derart gestärkt mache ich mich um 9 Uhr wieder auf den Weg. Auch die heutige Tour kann man gut in drei Etappen einteilen: Für die erste Etappe vom Uetliberg zum Albispass, die rund 10 km lang ist, benötigt man zwei bis drei Stunden, je nachdem wie gemütlich man es nimmt. Die zweite Etappe, weitere rund 10 km, führt alles auf dem Grat über das Albishorn hinunter nach Sihlbrugg Dorf und die dritte Etappe schliesslich – mit nochmals etwa 10 km – vom Sihltal über den Hirzel nach Wädenswil am Zürichsee.
Auf dem Uetliberg bin ich nicht zum ersten Mal. Doch dort übernachtet habe ich vorher noch nie und bisher jeweils Tage mit eher zweifelhaftem Wetter gewählt. Zu schlecht für eine Bergtour, gerade recht für den Uetliberg, dachte ich mir. Ganz klar ein Fehler, wie ich nun feststellen muss. Bei der ausgezeichneten Fernsicht, die ich heute vorfinde, hat die Tour einen ganz andern Charakter. Während der Höhenwanderung hat man fast ständig einen Ausschnitt des Alpenpanoramas vor Augen: Einmal, eingerahmt von Rigi und Pilatus, die Berner Grössen, dann wieder über dem Zürichsee Speer und Alpstein, später zum Greifen nahe Glärnisch und Tödi.
Es macht auch einen grossen Unterschied, ob man ausgeruht und gut gefrühstückt vom Uto Kulm aufbricht oder bereits zwei Stunden Aufstieg von Zürich aus hinter sich hat. So steige ich heute nicht nur auf den Turm auf der Hochwacht, sondern besuche erstmals auch die Ruinen der ehemaligen Burg Schnabellücken, die ich sonst wohlweislich umgangen habe. Um 13 Uhr dann die Mittagspause an der Sonne auf dem Albishorn (909 m), mit Blick auf die heute zurückgelegte Strecke. Die Kilometer von gestern sind längst verdaut – genauso wie das Schlemmermenu.
Erstaunlicherweise verspüre ich kaum Müdigkeit, als ich vom Albishorn nach Sihlbrugg hinunter wandere. Das ändert sich allerdings schnell beim Gegenanstieg auf den Hirzel hinauf. Es sind zwar keine 200 Höhenmeter, aber sie fühlen sich anstrengender an als alle vorangegangenen – was nach den seit gestern Morgen zurückgelegten 50 km horizontaler Strecke gut verständlich ist. So sehr ich Körper und Geist mit allen möglichen Freuden abgelenkt und zufriedengestellt habe, die körperliche Anstrengung hat ihre Spuren hinterlassen. Unter diesen Umständen bin ich froh, als unten am See Wädenswil auftaucht. Bald bin ich am Ziel! Die S-Bahn bringt mich anschliessend ohne Umsteigen zurück in den Thurgau. Vorher jedoch bleibt mir noch genügend Zeit, ein Cornetto Schokoladeeis zu kaufen, als Abschluss meiner Schlemmertour.
Am nächsten Tag fragt mich jemand, ob ich in den Ferien gewesen sei. Ja, zweifellos! In den zwei Tagen von Baden nach Wädenswil habe ich so viel Schönes erlebt und fühle mich dermassen erholt, als wäre ich eine ganze Woche weg gewesen.
Tourengänger:
Fico
Communities: Alleingänge/Solo, ÖV Touren
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