Tag 54: Vom Rifugio F. A. L. C. zum Monte Legnone, Teil 1: 12 Stunden zum oberen Lago Deleguaccio


Publiziert von Nik Brückner , 19. Januar 2016 um 07:44. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Italien » Lombardei
Tour Datum: 2 Juli 2015
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 11:45
Aufstieg: 1525 m
Strecke:Rif. F. A. L. C. - Monte Rotondo - Lago di Deleguaccio, 12,5km
Unterkunftmöglichkeiten:Rif. F. A. L. C.

Im Sommer 2015 kamen Judith7 und ich auf einer Alpendurchquerung von Wien nach Monaco auch durch die Bergamasker Alpen (Alpi Orobie). Die zwölf Tage, die wir dort verbrachten, gehörten zu den faszinierendsten unserer Tour. Eine derart wilde, rauhe Schönheit hatte von den Landschaften, die wir in den 103 Tagen durchquerten, keine andere zu bieten. Deshalb wollen wir diese Tage hier ausführlich dokumentieren, weil die Gegend es wert ist, ein wenig bekannter zu sein.

Am Tag zuvor waren wir vom Rifugio Cá San Marco über die Cima Piazzotti zum Rifugio F. A. L. C. gelaufen. Damit neigte sich unsere Durchquerung dem Ende zu. Diese letzten beiden Tage, vom Rifugio F. A. L. C. zum Comer See, bildeten die Königsetappe der Durchquerung der Bergamasker Alpen: Es ging vom letzten Rifugio im zentralen Teil der Bergamasker immer entlang der grandiosen Kante zum Monte Legnone und von dort hinab zum See. Ohne Stützpunkt auf dem Weg: Wir übernachteten im Freien am oberen Lago di Deleguaccio.

Wir brachen am ersten Tag früh auf, Viertel nach sieben im Rifugio F. A. L. C. (2115m). Von dort ging es in 15 Minuten in die Bocchetta di Trona (2092m). Dort befinden sich alte Befestigungen aus dem ersten Weltkrieg.

Diesmal hielten wir uns nicht lange mit Besichtigungen auf. Der Weg war lang, sehr lang, und wir waren im Rifugio F. A. L. C. vor der Cadorna-Route, die wir zu nehmen beabsichtigten, gewarnt worden. Das ist   ein alter Militärweg  , der mittlerweile aber  zug ewachsen und meist nur eine schmale   Graskante in den hohen, steilen Berghängen ist. Die Gestorin hatte uns geraten, stattdessen lieber Richtung Tal abzusteigen und auf halber Höhe über die Bocchetta Larecc wieder hinaufzukommen. Doch das wären uns zu viele Höhenmeter gewesen, und so sprachen wir ab, es über den Cadorna-Weg zu versuchen.

Es ging ein ganz kurzes Stück aus der Bocchetta di Trona heraus, dann zweigt der Cadorna-Weg rechts ab. Er ist tatsächlich schlecht, zugewachsen und oft abgebrochen, aber nicht schlechter als andere orobische Wege. Er ist sogar markiert (auch wenn das in der Kompasskarte nicht so eingetragen ist), weil man die Militärwege der Gegend zur Zeit wieder herrichtet. Aber einen guten Orientierungssinn braucht man schon, denn im Gras sind Markierungen selten und oft nicht gut zu sehen.

Die Cadorna-Route quert also zunächst in stetigem Auf und Ab die riesigen Grashänge des Mellasc. Wir mussten vorsichtig gehen und kamen daher langsam, aber immerhin stetig voran. Immer wieder wechseln sich Grashänge und Steilrinnen ab. Irgendwo kurz vor der Bocchetta Larecc verloren wir dann aber doch den Weg, weil hier Markierungen fehlten und wir daher direkt zu einem Steinmann am Grat zwischen Bocchetta Larecc (2063m) und Cima Cassera aufstiegen.

Ein Fehler! Und das einzige Mal, dass wir uns auf den 1832 Kilometern verliefen. Denn tatsächlich hätten wir nicht aufsteigen, sondern auf gleicher Höhe bleiben müssen. Das ist aber in dem zerlatschten Hang nicht zu erkennen gewesen. Der richtige Weg führt dann bei der Bocchetta Larecc (2063m) um den Westgrat der Cima Cassera herum auf dessen Nordseite.

Wir dagegen standen auf dem Grat, stiegen weiter an und landeten zwei Stunden nach der Bocchetta di Trona auf der Cima Cassera (2326m). Um nicht wieder zurückgehen zu müssen (zweiter Fehler) beschlossen wir, über den Nordostgrat abzusteigen. Dieser Abstieg ist nicht ohne, trotz unserer geballten T6-Erfahrung, jedenfalls nicht mit 17 Kilo auf dem Rücken. In der ersten Scharte angekommen überstieg ich noch einen Gratzacken, dann kapierten wir, dass der Weg unter uns durch die Nordflanke zieht. Wir wagten daraufhin einen sehr haarigen Abstieg über Fels und nasses Gras direkt zum Weg. Ich war kurz vorm Auspsychen... Der Abstieg allein hat uns eine komplette Stunde gekostet - von der körperlichen und psychischen Energie gar nicht erst zu reden.

Am Weg angekommen atmeten wir durch und gingen nun erleichtert weiter. Wir passierten die Bocchetta Colombana (2207m) etwas unterhalb und gingen weiter auf der auch hier die riesigen Grashänge querenden Cadorna-Route zur Bocchetta di Stavello (2201m). Dort befinden sich weitere Befestigungen, die wir gleich zu unserem Pausenplatz erkoren. Wir aßen die Lunchpakete aus dem F. A. L. C. und besprachen unser Problem: Wegzustand und Exkurs zur Cima Cassera hatten uns 2 Stunden gekostet. Wir hatten fünf Stunden hierher gebraucht, nicht drei wie geplant. Es würde ein sehr langer Tag werden...

Dafür entpuppte sich nun der halbstündige Aufstieg zum Monte Rotondo als gemütlich. Es ging vorbei an alten Stollen und weiteren Ruinen. Auf dem Monte Rotondo (2495m) erwartete uns die Mater Redemptoris, ein Vorgeschmack auf die heiligen Berge des Piemont, die uns ein paar Tage später erwarteten.

Danach wird's haarig: Die markierte Route führt nun über den Grat und südlich davon durch steile Grasflanken, der Weg ist schlecht, weil selten begangen, aber immerhin ist die Route hin und wieder durch Ketten und Fixseile, neue zudem, gesichert. Sie ist darüber hinaus leider nur von West nach Ost ausgeschildert, was uns wenig nützte, zudem sind die Zeitangaben auf den Schildern sehr testosteronig und dementsprechend absurd kurz. So grandios diese Gegend ist - und wir können sie jedem erfahrenen Berggeher nur wärmstens ans Herz legen - es braucht Vorsicht und Erfahrung beim Gehen, jedenfalls so lange die Wegzustände und die Beschilderung so sind, wie wir sie vorfanden.

Auf und neben dem Grat (die Abstiege linkns hinunter sind auf der zugewachsenen Route teilweise nur äußerst schwer zu entdecken) ging es nun vom Monte Rotondo hinunter und weiter zur Bocchetta di Taeggio. Weil man sich häufig orientieren und die richtige Route finden muss, aber auch weil selbst die richtige Route nicht ohne ist (T4) brauchten wir von der Bocchetta di Stavello zur Bocchetta di Taeggio (2262m) zweieinhalb Stunden. Und bis zu dem See, den wir als Tagesziel anpeilten (der Lago di Deleguaccio superiore), war es laut Karte mindestens nochmal so weit. Wir hatten also mindestens zehn Stunden Gehzeit zu gewärtigen!

Der Weg blieb auch nach der Bocchetta di Taeggio weiterhin schwer, immer um die T4. Das bremste uns erneut. Immerhin gab es Ausgleich: Die Route über den Grat ist schlichtweg grandios, etwas Vergleichbares habe ich in den Alpen selten gesehen. Und Judith freute sich über einen Berg mit dem Namen Pim Pum. Der kam selbstverständlich auf die Liste....

Obwohl es schon spät war, stiegen wir noch abseits vom Weg auf den Pizzo Alto (2500m oder 2512m) - ein wunderbares, scharfes Horn, das man einfach nicht auslassen kann. Es waren aber auch nur zehn Minuten zum Gipfel. Von hier aus, schätzten wir, dürften es aber immer noch eineinhalb Stunden bis zum See sein.

Doch diesmal waren wir schneller! Denn ab dem Pizzo Alto ist der Weg spürbar besser. Wir schafften es in 45 Minuten zum Lago di Deleguaccio superiore (2313m oder 2250m) - dreieinhalb Stunden ab der Bocchetta di Taeggio. Was für eine Freude, als wir endlich zum ersten Mal von oben den See gesehen haben! Auch 17 Kilo Gewicht hielten uns nicht vom Hopsen ab! Wir hatten es geschafft!

Insgesamt waren wir an diesem Tag 11:45 Stunden unterwegs gewesen, und es war 20:30 Uhr, als wir am See ankamen. Alles war gutgegangen, wir waren auch nicht allzu kaputt. Der See und die Luft waren warm, so dass es noch recht angenehm war, sich zu waschen und zu Abend zu essen. Es gab leckeren Reis, danach legten wir uns in unser Zelt. Eine schöne, ruhige Nacht! Schafe mähten uns in den Schlaf.

Den brauchten wir auch, denn auch der Weiterweg über den Kamm und den Monte Legnone zum Comer See ist nicht ohne...

Tourengänger: Nik Brückner, Judith7


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