Antelao (3264 m) - das imposante Kirchendach hoch über dem Cadore
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PROLOG
Was für ein Berg! Wenn man den Antelao von Norden, etwa vom Misurina-See sieht, glaubt man kaum, daß über die nahezu senkrecht erscheinenden Plattenschüsse der Normalweg verläuft. Paul Grohmann war es, der am 18. September 1863 mit zwei Cortineser Führern den Gipfel erstbestiegen hat. Ob zuvor schon Gemsenjäger den Weg herauf gefunden haben, ist nicht nachgewiesen. Und auch der Anblick dieses gewaltigen Riesen von den Talorten Cortina d'Ampezzo und San Vito di Cadore ist äußerst beeindruckend.
Der Antelao ist der höchste Berg der östlichen Dolomiten und der zweithöchste Bergstock der Dolomiten nach der Marmolata.
Zur Besteigung sind Kondition, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit ein absolutes Muss; Vertrauen in die Reibung der Schuhsohlen auf den "Laste" genannten Plattenschüssen (von italienisch "Lastre" = Platten?) ist ebenso zwingend erforderlich. Und die psychische Belastbarkeit sollte in Top-Form sein: wenn auch die technischen Schwierigkeiten eher gering sind und auf einige wenige, kurze Kraxelstellen beschränkt bleiben, so bedarf es doch während der gesamten Besteigung einer nicht nachlassenden Konzentration: man bewegt sich ständig in hochalpinem, teils mehr oder weniger ausgesetztem Gelände.
AUF GEHTS
Um 04:30 Uhr starte ich an der Straßenkehre (1600 m) oberhalb des Rifugio Scotter; im Schein der Stirnlampe folge ich am Wegweiser dem Steig Nr. 229 Richtung Forcella Piccola und Rifugio Galassi und erreiche nach 40 Minuten den Höhenweg Nr. 227, der vom Rifugio San Marco zum Rifugio Galassi führt, bei Höhenkote 1877 m. Nach weiteren 40 Minuten bin ich an der Forcella Piccola (2120 m) angekommen; jetzt, kurz vor 6 Uhr, ist die Sonne bereits aufgegangen. Der Normalweg zum Antelao zweigt hier beschildert und markiert vom Höhenweg Nr. 227 ab in ein schon vorher gut einsehbares, romantisches Hochtal - zunächst noch über Wiesengelände, später über Schrofen leitet der gut begehbare, deutliche Steig aufwärts, bis er im oberen Ende des Hochtales ein steiles, unangenehmes Geröllfeld erreicht. Dieses muß ich mich nun hinaufkämpfen - es sorgt dafür, daß schon vor dem Einstieg in die zur Bala hinaufleitenden Bänder ein Teil etwaiger überschüssiger Kräfte verbraucht ist.
Um 6:50 Uhr, also gut 2 Stunden nach Abmarsch, beginnt am oberen Ende des Geröllfeldes (etwa 2400 m) an einer Gedenktafel der Aufstieg zur Schulter La Bala im Nordgrat des Antelao; der Anstieg über die nun folgenden Bänder ist hervorragend mit roten Punkten markiert und in technischer Hinsicht unschwierig, aber größtenteils sehr ausgesetzt. Die Bänder und Absätze, denen der Steig folgt, sind teilweise nur 2 m breit, man turnt zuletzt 200 m über dem Talboden aufwärts und muß absolut schwindelfrei und trittsicher sein, beherztes Vertrauen in die Reibung der Schuhsohlen ist ebenfalls notwendig. Irgendwelche Versicherungen sind - wie auf dem gesamten Aufstieg - nicht vorhanden.
Als ich um 7:20 Uhr die Gratschulter La Bala (2581 m) erreiche, bin ich jedenfalls froh, diesen Abschnitt hinter mich gebracht zu haben. Nachträglich muß ich feststellen, daß für mich der Anstieg zur Bala (und später auch der Abstieg) der anspruchsvollste Teil der Antelao-Besteigung sind (viel mehr als die nachfolgenden Plattenschüsse der Laste).
Als ich - mit etwas angeknackster Moral wegen der zurückliegenden Ausgesetztheit - den Steinmann der Bala erreicht habe und den nachfolgenden ersten Abschnitt der Laste begutachte, kommen mir Zweifel auf: DA soll es hinaufgehen, dieses steile Kirchendach? Eine kleine Leiste wird 5m weit, etwas zitterig, gequert (auf dem Rückweg werde ich sie fröhlich pfeifend zurücktänzeln!), und danach (oh Wunder) beginnt ein Steiglein, das zwar steil, aber bequem zu begehen ist! Das ist überhaupt das Erstaunliche an den noch verbleibenden 700 Hm bis zum Gipfel: immer wenn man meint, es geht nicht mehr weiter, es wird zu arg, tut sich ein weiterer unschwieriger Wegabschnitt auf, und man kann verhältnismäßig unbeschwert weitersteigen.
Ein anderer Bergkamerad turnt vor mir die Platten hinauf, und so nehme ich meinen Mut zusammen und folge ihm. Geht besser als gedacht - sozusagen mein persönlicher "Nur Mut Johann" der Dolomiten! Immer wieder ein roter Markierungspunkt, immer wieder eine Fortsetzung des Steiges - und schon habe ich um 7:50 Uhr das Ende des ersten Abschnittes der Laste bei einem Einschnitt I Becett (2804 m) genannt erreicht. Man muß zu dieser kleinen Scharte wenige Meter abklettern und erklimmt auf der anderen Seite durch einen kurzen Riß den Beginn des zweiten Abschnittes der Laste; diese beiden Kletterstellen erreichen erstmals den II. Grad, doch sind sie mit etwas beherztem Zupacken gut zu meistern und im übrigen nicht heikel. Beim erwähnten Riß sind Bergsteiger mit kleinen Konfektionsgrößen im Vorteil - ich klemme erst einmal fest und muß mich mit viel Krafteinsatz wieder aus dem Riß befreien (beim Abstieg ist er leichter zu meistern, man hängt sich mit den Händen an eine Schuppe und läßt sich hinunter).
Um 8 Uhr beginnt bei etwa 2600 m mein Anstieg über den zweiten Teil der Laste - noch 600 Hm liegen bis zum Gipfel vor mir. Zunächst dominiert steiles Blockgelände (das aber wiederum erstaunlich unkompliziert begehbar ist), bevor es in Reibungsplatten übergeht. Alle paar Meter ein roter Markierungspunkt, ein Steinmann, eine kleine Rinne, ein kleiner Graben, denen man folgen kann, wenn einem die Reibungsplatten suspekt sind - so geht es zügig höher. Es ist gut, daß ich früh losgegangen bin: an diesem warmen Hochsommertag bewege ich mich während des Anstiegs vielfach im Schatten. Je höher man kommt, desto mehr steilen sich die Reibungsplatten auf, bis sie zuletzt von einem Felsriegel unterbrochen werden, über dem inzwischen bereits die Gipfelkuppe zu sehen ist. Unterhalb des Felsriegels kommt man erstmals in Kontakt mit bröseligem Schutt - hier ist es besser, "auf Reibung" seitlich nebenan die Platten hinaufzulaufen. Der sperrende Felsriegel wird im Aufstiegssinne rechtsseitig umgangen, danach eröffnet ein tief eingeschnittener kurzer Graben überraschend leicht den Zustieg zum dritten und letzten Abschnitt der Laste.
Der dritte Teil der Laste schaut nochmals grimmig steil aus - und ist doch erstaunlich gut begehbar, wobei ich inzwischen an die Urtümlichkeit des Geländes, an das Vertrauen in die Reibung meiner Schuhsohlen und den psychischen Anspruch des Anstieges gewöhnt bin. Ich folge den Wegstücken, die immer wieder bequem aufwärtsführen, und stehe schließlich um 8:40 Uhr am obersten Ende der Plattenschüsse (ca. 3100 m). Hier ermöglicht ein weiterer Durchschlupf die westseitige Umgehung eines Felsaufschwunges: man bewegt sich auf einem geröllbedeckten Band über Abbrüchen und muß für einige Minuten ein Höchstmaß an Konzentration aufbringen.
Es folgt nun der vierte und letzte Abschnitt des Anstieges auf den Antelao: ich stehe dem Gipfelstock unmittelbar gegenüber, noch 150 Hm sind es bis hinauf. Hinter einem Gratabsatz ist die Biwakschachtel Piero Cosi (3111 m) versteckt, aber es findet sich kein Hinweisschild - momentan ist sie unbrauchbar, ein entspechender Hinweis ist bereits tief drunten an der Forcella Piccola hinterlegt.
Weiterhin prächtig mit roten Punkten markiert, wird ein Felskopf erklommen: durch einen Riß geht es aufwärts, hier ist wieder kurze Kletterei im II. Grad notwendig, die Stelle ist geringfügig ausgesetzt, aber nicht heikel. Danach folgt ein kurzer Abstieg und Wiederanstieg auf eine kleine Scharte hinter dem Gratkopf, die dem Gipfelaufbau unmittelbar vorgelagert ist.
Von dieser Scharte gibt es (mindestens) 2 Möglichkeiten, um den Gipfel zu erreichen:
1) Man quert wenige Meter nach rechts in einen kaminartigen Riß - diese Stelle ist sehr ausgesetzt, einige lose Bandschlingen unterstützen die Moral, sie scheinen mir aber nicht wirklich als Versicherung im Sinne dieses Wortes bezeichnet werden zu können.
2) Alternativ quert man auf einem deutlich Steig im Geröll leicht fallend links abwärts, um nach Umrundung einiger kleiner Felsvorsprünge zum Vorgipfel anzusteigen. Ich bin diesen Weg gegangen - er erschien mir weniger anspruchsvoll, wenngleich zuletzt für wenige Minuten etwas sandig-brüchiger Fels zu erklimmen ist.
Und dann ... ja dann ... stehe ich auf dem Vorgipfel und blicke hinüber auf das Gipfelkreuz des Antelao. Ein letztes Mal stellen sich kurze, harmlose Reibungsplatten in den Weg, aber sie stellen kein Hindernis mehr dar: um 9:30 Uhr, also genau 5 Stunden nach Abmarsch vom Rifugio Scotter stehe ich auf dem Antelao (3264 m) und damit auf dem zweithöchsten Dolomitenberg. Ich darf heute einen Schönwettertag erleben, wie es nicht viele gibt - nahezu völlig wolkenlos, reicht die Fernsicht bis in die Karawanken, bis zum Ortler - alles, was in den Ostalpen Rang und Namen hat, ist aufgereiht. Ich hoffe, meine zahlreichen Fotos dokumentieren nicht nur den Charakter der Tour, sondern geben auch ein gutes Bild von der phänomenalen Aussicht, die man bei schönem Wetter vom Gipfel genießt.
ABSTIEG
Der Abstieg erfolgt natürlich auf gleichem Weg wie der Aufstieg; ich benötigte mit insgesamt 4 Stunden erwartungsgemäß nur unbedeutend weniger als zum Aufstieg. Das liegt daran, daß man die Reibungsplatten der Laste nicht einfach hinunterrennen kann, sondern konzentriert absteigen muß. Andererseits kann man verhältnismäßig unproblematisch "einfach auf Reibung hinunterlaufen". Wie schon eingangs erwähnt, stellt für mich auch (und gerade) im Abstieg der ausgesetzte Rückweg von La Bala hinunter ins Schuttkar die "Schlüsselstelle" der Tour dar.
EPILOG
1) Bei Nässe, Schnee oder gar Vereisung dürfte die Unternehmung für Normalbergsteiger zum Albtraum werden.
2) Auf der gesamten Tour gibt es kein Wasser.
3) Das Biwak Cosi ist derzeit unbrauchbar (Hinweis am Wegweiser der Forcella Piccola).
4) Die Auffahrt zum Rifugio Scotter beginnt im Ortszentrum von San Vito di Cadore: Schilder weisen auf das Rif. Scotter und das Schizentrum hin. Teils steile, aber unproblematische Fahrt zum Parkplatz beim Sessellift ; ab hier ist die weitere Auffahrt zur Hütte nur nachts von 18:30 bis 7:30, die Abfahrt nur von 18:00 bis 7:00 erlaubt (unverschlossene Schranke). Das Sträßchen ist teils geteert, teils geschottert und von Schlaglöchern geprägt. Für normale PKW an der Grenze zur Tortur, für Geländewagen kein Problem. Übernachtet man im Rif. Scotter, empfehle ich die Benutzung des Sesselliftes "San Marco", der direkt am Rif. Scotter ankommt.
Man kann auch das Schottersträßchen noch ca. 200 m über das Rif. Scotter hinaus befahren; dort kleiner Parkplatz in der ersten Straßenkehre nach dem Rifugio. Herrliche, aussichtsreiche Lage.
5) Der Antelao ist ein vielbestiegener Berg - anläßlich des Prachtwetters haben am Tag meiner Besteigung geschätzte 50-100 Personen auf dem Gipfel gestanden.
6) Zur Schwierigkeitsbewertung: bewußt verzichte ich auf eine Angabe nach der heute vielfach üblichen T-Skala, denn mit dem dort verwendeten Begriff der (hochalpinen) "Wanderung" hat der Antelao nichts zu tun. Das ist "Bergsteigen" im Sinne dieses Wortes und damit höherwertig als jede Art von Wanderung.
Vergleichend möchte ich aber z.B. die Mieminger Hochwand oder den Acherkogel als bedeutend anspruchsvoller einstufen, wohingegen der Hochwanner (Wetterstein) weniger anspruchsvoll ist. Mit irgendwelchen klettersteig-erschlossenen Bergen (z.B. Zugspitze durchs Höllental) ist der Antelao überhaupt nicht vergleichbar.
Was für ein Berg! Wenn man den Antelao von Norden, etwa vom Misurina-See sieht, glaubt man kaum, daß über die nahezu senkrecht erscheinenden Plattenschüsse der Normalweg verläuft. Paul Grohmann war es, der am 18. September 1863 mit zwei Cortineser Führern den Gipfel erstbestiegen hat. Ob zuvor schon Gemsenjäger den Weg herauf gefunden haben, ist nicht nachgewiesen. Und auch der Anblick dieses gewaltigen Riesen von den Talorten Cortina d'Ampezzo und San Vito di Cadore ist äußerst beeindruckend.
Der Antelao ist der höchste Berg der östlichen Dolomiten und der zweithöchste Bergstock der Dolomiten nach der Marmolata.
Zur Besteigung sind Kondition, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit ein absolutes Muss; Vertrauen in die Reibung der Schuhsohlen auf den "Laste" genannten Plattenschüssen (von italienisch "Lastre" = Platten?) ist ebenso zwingend erforderlich. Und die psychische Belastbarkeit sollte in Top-Form sein: wenn auch die technischen Schwierigkeiten eher gering sind und auf einige wenige, kurze Kraxelstellen beschränkt bleiben, so bedarf es doch während der gesamten Besteigung einer nicht nachlassenden Konzentration: man bewegt sich ständig in hochalpinem, teils mehr oder weniger ausgesetztem Gelände.
AUF GEHTS
Um 04:30 Uhr starte ich an der Straßenkehre (1600 m) oberhalb des Rifugio Scotter; im Schein der Stirnlampe folge ich am Wegweiser dem Steig Nr. 229 Richtung Forcella Piccola und Rifugio Galassi und erreiche nach 40 Minuten den Höhenweg Nr. 227, der vom Rifugio San Marco zum Rifugio Galassi führt, bei Höhenkote 1877 m. Nach weiteren 40 Minuten bin ich an der Forcella Piccola (2120 m) angekommen; jetzt, kurz vor 6 Uhr, ist die Sonne bereits aufgegangen. Der Normalweg zum Antelao zweigt hier beschildert und markiert vom Höhenweg Nr. 227 ab in ein schon vorher gut einsehbares, romantisches Hochtal - zunächst noch über Wiesengelände, später über Schrofen leitet der gut begehbare, deutliche Steig aufwärts, bis er im oberen Ende des Hochtales ein steiles, unangenehmes Geröllfeld erreicht. Dieses muß ich mich nun hinaufkämpfen - es sorgt dafür, daß schon vor dem Einstieg in die zur Bala hinaufleitenden Bänder ein Teil etwaiger überschüssiger Kräfte verbraucht ist.
Um 6:50 Uhr, also gut 2 Stunden nach Abmarsch, beginnt am oberen Ende des Geröllfeldes (etwa 2400 m) an einer Gedenktafel der Aufstieg zur Schulter La Bala im Nordgrat des Antelao; der Anstieg über die nun folgenden Bänder ist hervorragend mit roten Punkten markiert und in technischer Hinsicht unschwierig, aber größtenteils sehr ausgesetzt. Die Bänder und Absätze, denen der Steig folgt, sind teilweise nur 2 m breit, man turnt zuletzt 200 m über dem Talboden aufwärts und muß absolut schwindelfrei und trittsicher sein, beherztes Vertrauen in die Reibung der Schuhsohlen ist ebenfalls notwendig. Irgendwelche Versicherungen sind - wie auf dem gesamten Aufstieg - nicht vorhanden.
Als ich um 7:20 Uhr die Gratschulter La Bala (2581 m) erreiche, bin ich jedenfalls froh, diesen Abschnitt hinter mich gebracht zu haben. Nachträglich muß ich feststellen, daß für mich der Anstieg zur Bala (und später auch der Abstieg) der anspruchsvollste Teil der Antelao-Besteigung sind (viel mehr als die nachfolgenden Plattenschüsse der Laste).
Als ich - mit etwas angeknackster Moral wegen der zurückliegenden Ausgesetztheit - den Steinmann der Bala erreicht habe und den nachfolgenden ersten Abschnitt der Laste begutachte, kommen mir Zweifel auf: DA soll es hinaufgehen, dieses steile Kirchendach? Eine kleine Leiste wird 5m weit, etwas zitterig, gequert (auf dem Rückweg werde ich sie fröhlich pfeifend zurücktänzeln!), und danach (oh Wunder) beginnt ein Steiglein, das zwar steil, aber bequem zu begehen ist! Das ist überhaupt das Erstaunliche an den noch verbleibenden 700 Hm bis zum Gipfel: immer wenn man meint, es geht nicht mehr weiter, es wird zu arg, tut sich ein weiterer unschwieriger Wegabschnitt auf, und man kann verhältnismäßig unbeschwert weitersteigen.
Ein anderer Bergkamerad turnt vor mir die Platten hinauf, und so nehme ich meinen Mut zusammen und folge ihm. Geht besser als gedacht - sozusagen mein persönlicher "Nur Mut Johann" der Dolomiten! Immer wieder ein roter Markierungspunkt, immer wieder eine Fortsetzung des Steiges - und schon habe ich um 7:50 Uhr das Ende des ersten Abschnittes der Laste bei einem Einschnitt I Becett (2804 m) genannt erreicht. Man muß zu dieser kleinen Scharte wenige Meter abklettern und erklimmt auf der anderen Seite durch einen kurzen Riß den Beginn des zweiten Abschnittes der Laste; diese beiden Kletterstellen erreichen erstmals den II. Grad, doch sind sie mit etwas beherztem Zupacken gut zu meistern und im übrigen nicht heikel. Beim erwähnten Riß sind Bergsteiger mit kleinen Konfektionsgrößen im Vorteil - ich klemme erst einmal fest und muß mich mit viel Krafteinsatz wieder aus dem Riß befreien (beim Abstieg ist er leichter zu meistern, man hängt sich mit den Händen an eine Schuppe und läßt sich hinunter).
Um 8 Uhr beginnt bei etwa 2600 m mein Anstieg über den zweiten Teil der Laste - noch 600 Hm liegen bis zum Gipfel vor mir. Zunächst dominiert steiles Blockgelände (das aber wiederum erstaunlich unkompliziert begehbar ist), bevor es in Reibungsplatten übergeht. Alle paar Meter ein roter Markierungspunkt, ein Steinmann, eine kleine Rinne, ein kleiner Graben, denen man folgen kann, wenn einem die Reibungsplatten suspekt sind - so geht es zügig höher. Es ist gut, daß ich früh losgegangen bin: an diesem warmen Hochsommertag bewege ich mich während des Anstiegs vielfach im Schatten. Je höher man kommt, desto mehr steilen sich die Reibungsplatten auf, bis sie zuletzt von einem Felsriegel unterbrochen werden, über dem inzwischen bereits die Gipfelkuppe zu sehen ist. Unterhalb des Felsriegels kommt man erstmals in Kontakt mit bröseligem Schutt - hier ist es besser, "auf Reibung" seitlich nebenan die Platten hinaufzulaufen. Der sperrende Felsriegel wird im Aufstiegssinne rechtsseitig umgangen, danach eröffnet ein tief eingeschnittener kurzer Graben überraschend leicht den Zustieg zum dritten und letzten Abschnitt der Laste.
Der dritte Teil der Laste schaut nochmals grimmig steil aus - und ist doch erstaunlich gut begehbar, wobei ich inzwischen an die Urtümlichkeit des Geländes, an das Vertrauen in die Reibung meiner Schuhsohlen und den psychischen Anspruch des Anstieges gewöhnt bin. Ich folge den Wegstücken, die immer wieder bequem aufwärtsführen, und stehe schließlich um 8:40 Uhr am obersten Ende der Plattenschüsse (ca. 3100 m). Hier ermöglicht ein weiterer Durchschlupf die westseitige Umgehung eines Felsaufschwunges: man bewegt sich auf einem geröllbedeckten Band über Abbrüchen und muß für einige Minuten ein Höchstmaß an Konzentration aufbringen.
Es folgt nun der vierte und letzte Abschnitt des Anstieges auf den Antelao: ich stehe dem Gipfelstock unmittelbar gegenüber, noch 150 Hm sind es bis hinauf. Hinter einem Gratabsatz ist die Biwakschachtel Piero Cosi (3111 m) versteckt, aber es findet sich kein Hinweisschild - momentan ist sie unbrauchbar, ein entspechender Hinweis ist bereits tief drunten an der Forcella Piccola hinterlegt.
Weiterhin prächtig mit roten Punkten markiert, wird ein Felskopf erklommen: durch einen Riß geht es aufwärts, hier ist wieder kurze Kletterei im II. Grad notwendig, die Stelle ist geringfügig ausgesetzt, aber nicht heikel. Danach folgt ein kurzer Abstieg und Wiederanstieg auf eine kleine Scharte hinter dem Gratkopf, die dem Gipfelaufbau unmittelbar vorgelagert ist.
Von dieser Scharte gibt es (mindestens) 2 Möglichkeiten, um den Gipfel zu erreichen:
1) Man quert wenige Meter nach rechts in einen kaminartigen Riß - diese Stelle ist sehr ausgesetzt, einige lose Bandschlingen unterstützen die Moral, sie scheinen mir aber nicht wirklich als Versicherung im Sinne dieses Wortes bezeichnet werden zu können.
2) Alternativ quert man auf einem deutlich Steig im Geröll leicht fallend links abwärts, um nach Umrundung einiger kleiner Felsvorsprünge zum Vorgipfel anzusteigen. Ich bin diesen Weg gegangen - er erschien mir weniger anspruchsvoll, wenngleich zuletzt für wenige Minuten etwas sandig-brüchiger Fels zu erklimmen ist.
Und dann ... ja dann ... stehe ich auf dem Vorgipfel und blicke hinüber auf das Gipfelkreuz des Antelao. Ein letztes Mal stellen sich kurze, harmlose Reibungsplatten in den Weg, aber sie stellen kein Hindernis mehr dar: um 9:30 Uhr, also genau 5 Stunden nach Abmarsch vom Rifugio Scotter stehe ich auf dem Antelao (3264 m) und damit auf dem zweithöchsten Dolomitenberg. Ich darf heute einen Schönwettertag erleben, wie es nicht viele gibt - nahezu völlig wolkenlos, reicht die Fernsicht bis in die Karawanken, bis zum Ortler - alles, was in den Ostalpen Rang und Namen hat, ist aufgereiht. Ich hoffe, meine zahlreichen Fotos dokumentieren nicht nur den Charakter der Tour, sondern geben auch ein gutes Bild von der phänomenalen Aussicht, die man bei schönem Wetter vom Gipfel genießt.
ABSTIEG
Der Abstieg erfolgt natürlich auf gleichem Weg wie der Aufstieg; ich benötigte mit insgesamt 4 Stunden erwartungsgemäß nur unbedeutend weniger als zum Aufstieg. Das liegt daran, daß man die Reibungsplatten der Laste nicht einfach hinunterrennen kann, sondern konzentriert absteigen muß. Andererseits kann man verhältnismäßig unproblematisch "einfach auf Reibung hinunterlaufen". Wie schon eingangs erwähnt, stellt für mich auch (und gerade) im Abstieg der ausgesetzte Rückweg von La Bala hinunter ins Schuttkar die "Schlüsselstelle" der Tour dar.
EPILOG
1) Bei Nässe, Schnee oder gar Vereisung dürfte die Unternehmung für Normalbergsteiger zum Albtraum werden.
2) Auf der gesamten Tour gibt es kein Wasser.
3) Das Biwak Cosi ist derzeit unbrauchbar (Hinweis am Wegweiser der Forcella Piccola).
4) Die Auffahrt zum Rifugio Scotter beginnt im Ortszentrum von San Vito di Cadore: Schilder weisen auf das Rif. Scotter und das Schizentrum hin. Teils steile, aber unproblematische Fahrt zum Parkplatz beim Sessellift ; ab hier ist die weitere Auffahrt zur Hütte nur nachts von 18:30 bis 7:30, die Abfahrt nur von 18:00 bis 7:00 erlaubt (unverschlossene Schranke). Das Sträßchen ist teils geteert, teils geschottert und von Schlaglöchern geprägt. Für normale PKW an der Grenze zur Tortur, für Geländewagen kein Problem. Übernachtet man im Rif. Scotter, empfehle ich die Benutzung des Sesselliftes "San Marco", der direkt am Rif. Scotter ankommt.
Man kann auch das Schottersträßchen noch ca. 200 m über das Rif. Scotter hinaus befahren; dort kleiner Parkplatz in der ersten Straßenkehre nach dem Rifugio. Herrliche, aussichtsreiche Lage.
5) Der Antelao ist ein vielbestiegener Berg - anläßlich des Prachtwetters haben am Tag meiner Besteigung geschätzte 50-100 Personen auf dem Gipfel gestanden.
6) Zur Schwierigkeitsbewertung: bewußt verzichte ich auf eine Angabe nach der heute vielfach üblichen T-Skala, denn mit dem dort verwendeten Begriff der (hochalpinen) "Wanderung" hat der Antelao nichts zu tun. Das ist "Bergsteigen" im Sinne dieses Wortes und damit höherwertig als jede Art von Wanderung.
Vergleichend möchte ich aber z.B. die Mieminger Hochwand oder den Acherkogel als bedeutend anspruchsvoller einstufen, wohingegen der Hochwanner (Wetterstein) weniger anspruchsvoll ist. Mit irgendwelchen klettersteig-erschlossenen Bergen (z.B. Zugspitze durchs Höllental) ist der Antelao überhaupt nicht vergleichbar.
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