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Unverhofft kommt oft. Zwar hatten wir diese tolle Überschreitung schon länger im Hinterkopf, konkret geplant wurde dann aber doch recht kurzfristig. Die Unternehmung begann mit einer kleinen Weltreise via Aosta ins hinterste Lystal nach Gressoney-Staffal.
Tourbericht: - Hüttenzustieg - Überschreitung - Abstieg - sonstige Infos -
Noch vor der Mittagspause der Bergbahnen gondelten bzw. sesselten wir mit selbigen zunächst bequem in den Bättfòrcò (2672m) hinauf. Kaum oben angekommen, schlug das bis anhin schöne Wetter um; Wolkenfetzen hüllten uns zeitweise ein und es blies ein kalter Südwestwind. Trotzdem wurde uns wenig später schon wieder warm, denn der gut markierte Hüttenweg startet zwar gemächlich, wird aber gleich schmaler und steiler, während er sich auf schuttig-gerölligem Boden unterhalb des Betlinòhòre (2992m) vorbei schlängelt.
Bei der Betlinòfòrcò (2905m) wurde der Nieselregen stärker, was uns dazu veranlasste, die Regenjacken überzuwerfen. Mistwetter! ... Weiter gings nun einige Zeit etwas flacher, jedoch nach wie vor auf instabilem Untergrund. Dies ändert sich auf der Höhe von ca. 3200m, wo der Weg deutlich aufsteilt, die Felsen dafür blockig und kompakter werden. So gewinnt man in dauerndem Zick-Zack rasch an Höhe, bis sich der Pfad bei Pt. 3490 mit dem Grat vereint. Von nun an war's nicht mehr weit; die restliche Strecke ist zwar hin und wieder doch recht ausgesetzt, aber mit allerlei Hilfsmittel, wie Seilen, Metallstiften und sogar einem Holzbrücklein, entschärft. Diese letzten 100 Höhenmeter machten Spass, auch wenn uns der Wind kräftig um die Ohren pfiff. Immerhin hatten sich die Wolken größtenteils verzogen, so dass 2:20 Stunden nach Abmarsch unvermittelt das Rif. Quintino Sella (3585m) vor weiß-blauem Hintergrund auftauchte.
Kurz verpflegt und eingecheckt, wurde uns doch tatsächlich die Koje mit der Nummer "1" zugeteilt - wenn das mal kein gutes Omen war! ;) Viel Betrieb herrschte auf der Hütte (noch) nicht, was wir ausnutzen, um anderthalb Stündchen auszuruhen. Kurz vor dem Abendessen füllte sich die Bude schlagartig, schlussendlich mussten einige sogar in Schichten essen. Nach etwas Smalltalk bei Tisch und einer Halben vom Fass als Betthupferl, legten wir uns hin. Noch immer wurde die Hütte vom Strum gut durchgeschüttelt. Dies stimmte uns natürlich etwas nachdenklich, angesichts der windempfindlichen Tour anderntags. Sei's drum, erstmal 'ne Mütze Schlaf, dann sieht man weiter.
Nach einer unruhigen Nacht (die Ersten verließen schon kurz nach 2 Uhr die Bettstatt) wurde um halb 5 Frühstück ausgegeben. Unserer bescheidenen Meinung nach, hätte dies ruhig 60 Minuten eher erfolgen dürfen. Wie auch immer, kurz nach 5 machte man sich vor dem Rifugio Quintino Sella (3585m) auf die Socken, respektive Steigeisen, im Stirnlampenschein den wenig steilen Felikgletscher zu durchqueren. Es ging gut vorwärts, alsbald konnte eine 2er-Seilschaft überholt werden, mit welcher wir tags zuvor zu Abend aßen - wir sollten dem Pärchen heute nicht das letzte mal begegnet sein...
Lediglich die letzten 100 Höhenmeter rauf aufs Felikhorn (4087m), wo wir nach 1¼ Stunden ankommen, geben in Sachen Steilheit einen kleinen Vorgeschmack auf Kommendes. So betritt man etwas später den schmalen Firngrat, welcher in einigem Auf und Ab zur steilen Westflanke leitet. Dieses Stück (ca. 40°-50°) gewinnt man technisch einfach, aber anstrengend in vielen Serpentinen, bis der Nordwest-Rücken und über diesen wenige Minuten später der Gipfel des Liskamm West (4479m) erreicht ist. Bereits hier kann man auf das ehrwürdige Matterhorn (4478m) herunter schauen! ;)
Knapp 3 Stunden hatten wir bis hierher benötigt und gönnten uns nun eine kleine Pause inkl. Plauderei mit einer anderen Seilschaft, die ihren höchsten Punkt für heute schon erreicht hatte. Den Weiterweg zum Hauptgipfel trauten sie sich nicht zu. Und tatsächlich, der Blick auf den Grat mit hunderten von Metern "nichts" auf beiden Seiten ist schon respekteinflößend.
Nichtsdestotrotz beginnen wir die eigentliche Überschreitung recht zuversichtlich jedoch hoch konzentriert. Die ersten paar Meter der scharfen Firnschneide entlang, wechselt man dann auf den nicht minder schmalen Felsgrat. Dieser leitet einen Schritt für Schritt, mal schneebedeckt, mal aper, aber immer äußerst ausgesetzt bis zur Schlüsselstelle, wo er kurz vor Pt. 4459 abrupt einige Höhenmeter verliert. Hier gibt es eine Schlinge zum Abseilen; angesichts der kurzen Passage im oberen II. Grad entscheiden wir uns, den Steigeisenspuren halbrechts folgend abzuklettern. Auf halber Strecke erscheint uns eine Standplatzsicherung sinnvoll, da die folgende Traverse zurück auf den Grat doch recht plattig aussieht.
Just in diesen Augenblicken haben uns die Tischgenossen des gestrigen Abends wieder eingeholt und beabsichtigen, zügig über die Felsschulter abzuseilen. Leises Seilsurren, dumpfer Aufprall, unterdrückter Schrei... da ist es passiert: die Alpinistin hat sich den linken Fuß gebrochen! Da die beiden kein Handy dabei hatten, übernahmen wir es, die Rettung zu alarmieren. Weder die Auslandsnummer der Rega noch 1414 führten zum Erfolg, deshalb kurzerhand Notruf 112 gewählt und den Fall geschildert. Schließlich hängt die Patientin am Außenseil des Air-Zermatt-Helis und entschwindet Richtung Basis bzw. Spital Visp.
Fortan also zu dritt nahmen wir den Rest der Tour nach dem knapp einstündigen Intermezzo in Angriff. Ein kurzes Firnstück, gefolgt von einer weiteren Felspassage bei Pt. 4417 - nach wie vor ausgesetzt, aber weniger schwierig - geht der Grat dann endgültig in Schnee über und wird immer breiter, wenn auch langsam wieder steiler. Rund 5 Stunden sind seit dem Start an der Sella-Hütte vergangen, als wir etwas geschafft, aber froh und auch ein wenig stolz die mächtige Gipfelwächte des lang ersehnten Liskamm Ost (4527m) betreten und uns beim kleinen Kreuz zur Gipfelrast niederlassen!
Der nun folgende Abstieg über den Ostgrat ist mindestens genau so weit, wie die Überschreitung selbst. Nicht schwierig im eigentlichen Sinne, aber doch sehr exponiert und zuweilen verflixt steil. Treffen solch zwei Komponenten aufeinander, namentlich gleich hinter dem Gipfel sowie nach Pt. 4335, ist nochmals höchste Konzentration gefragt, auch wenn man das von einem Abstieg nicht unbedingt erwartet. Ein Fehltritt oder Stolperer sollte man hier tunlichst vermeiden, denn meist geht es zu 3 Seiten bis über 40° steil "'s Loch ab".
Dank guter Spur und größtenteils griffigem Schnee kamen wir trotz allem gut voran und trafen alsbald im Lisjoch (4151m) ein. Kurze Pause, dann wurden die Seilknoten auf Gletscherabstand justiert, um den letzten Teil der Tour anzugehen. Ganz kurz streift mich beim Anblick des grandiosen, zum Greifen nahen Panoramas der Gedanke "4000er-Sammeln" mit z.B. Schwarzhorn (4321m) und/oder Vincentpyramide (4215m)... Schnell und zudem wortlos erkannte ich jedoch, dass eingedenk des vorangegangenen Ereignisses auf dem Grat die Mehrheit der Seilschaft verständlicherweise anders dachte.
Nun denn, zügig den östlichen Lysgletscher hinabgedüst, allzeit bereit, einen Sprung bzw. Ausfallschritt über die eine oder andere der doch zahlreichen Spalten zu tun. Vermehrt treten diese am Fuße der Vincentpyramide auf; das Seil hat durchaus seine Berechtigung, auch wenn anscheinend nicht alle Berggänger das so sehen. Weiter geht's schnurstracks gen Süden, die Capanna Gnifetti (3625m) rechts liegen lassend, zum Gletscherende nahe dem Rif. Città di Mantova (3470m).
Eisenwaren und Seil hatten ihre Schuldigkeit für heute getan und verschwanden im Rucksack. Es galt zunächst, die Hüttenweg-Steilstufe abzusteigen, welche auf den Endregletscher leitet, der im Anschluss - teils mühsam durch knöchelhohe Wasserstellen - gequert werden wollte. Zu guter Letzt muss noch ein Mini-Gegenanstieg zur neu gebauten Bergstation Indren (3275m) überwunden werden, bevor wir während der Wartezeit auf die Bahn (Mittagspause! *argh*) die erlebte grandiose Tour Revue passieren lassen, die uns trotz oder gerade wegen des glimpflich verlaufenen Unfalls sicherlich noch lange in bester Erinnerung bleiben wird!
(Tour mit Imseng)
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