Als ich den letzten Bericht schrieb, hätte ich nicht damit gerechnet, dass als Antwort darauf eine Anfrage für Infos bezüglich der Schattenbachschlucht (gemäss Karte "Hinterlaui") kommen würde. Da ich momentan im Ausland bin und nicht die Möglichkeit habe, selber in die Berge zu gehen, tauche ich ganz gerne in meine Erinnerungen ein und schreibe sie auf :-)
Wie alles begann:
(wer nur an der exakten Tourenbeschreibung interessiert ist, scrolle bitte nach unten)
Wohl jeder Walenstadter kennt den Schattenbach, zumindest vom Sehen. Die wenigsten wissen jedoch, dass sich links des Wasserfalls, ziemlich gut versteckt, eine eindrückliche Schlucht über 460Hm zur Alp Hinterbüls hinauf zieht. Am Grund ist sie teilweise nur 2m breit, links und rechts begrenzt durch mehrere hundert Meter hohe Felswände. Auch wenn der Fels an sich nicht mal so schlecht wäre, so liegt dennoch eine Unmenge an Geröll herum, und die Durchschnittsneigung von vielleicht 45°-50° sorgt dafür, dass ein einmal ins Rollen gekommener Stein nicht vor dem unteren Schluchtende zum Stillstand kommt.
Vor bald vierzig Jahren soll die Schlucht von drei Bauernbuben begangen worden sein, seilfrei. Es sei das Schlimmste gewesen, was sie jemals erlebt hätten. Man sei total dem Steinschlag ausgeliefert und ich solle tunlichst meine Finger davon lassen.
Ein etwas objektiverer Berichterstatter erzählte mir indessen einmal, er hätte die Schlucht versucht, sei aber aufgrund einer unüberwindbaren Klemmblockstelle gescheitert. Die Schlucht sei vermutlich durch die Erosion unpassierbar geworden.
Als sehr neugieriger Jugendlicher schien es für mich also nur einen Weg zu geben, herauszufinden, wie es tatsächlich um die Schlucht stand: ein Selbstversuch musste her!
Mehrere Versuche scheiterten mangels Trittsicherheit und Nerven, anfangs traute ich mich nicht einmal über die erste Felsstufe bis zum Fuss des Wasserfalls.
Im Jahr 2004 hatte ich dann aber endlich erreicht, was ich wollte. Meine bergsteigerischen Fähigkeiten hatten sich deutlich gebessert, und ausserdem fand ich einen Begleiter für dieses Unternehmen. Selbstverständlich hatten wir eine umfangreiche Kletterausrüstung dabei, denn das Spiel, worauf sich die drei Bauernjungen 30 Jahre zuvor eingelassen hatten, war uns definitiv zu ernst.
Steiles Schiefer- und Geröllgelände (damals wussten wir noch nichts von T6) sowie drei kurze Seillängen bis zum vierten Grad (UIAA) brachten uns hinauf zur Alp Hinterbüls. Wir waren ausserordentlich froh, dass sich während der Begehung über uns keine Tiere in der Schlucht bewegt hatten. Selber stiessen wir einen grösseren Block in die Tiefe, nur mal so um zu sehen, was passiert. Wie Pingpongbälle prallten daraufhin viele Steine von Schluchtwand zu Schluchtwand. Die einzige Deckung, die man im unteren Schluchtteil hat, sind vereinzelte Klemmblöcke (die es dementsprechend auch zu überklettern galt).
Da ich bei meinen Erkundungsgängen mehrmals am Fuss des im Herbst meist ausgetrockneten Schattenbachfalles vorbei kam, war es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Bohrhaken den Weg in diese Wand fanden. Nun führt eine Route in meist festem, aber oft dreckigem Fels geradewegs durch den Wasserfall hoch. Die Tour ist definitiv Geschmackssache.
Zwei Jahre später wagte ich mich nochmals an die Schlucht heran, denn ich hatte mir einen wirksamen Steinschlagschutz überlegt. Man geht einfach im Winter, wenn alles gefroren ist! Die Tour war wunderschön, eindrücklich und objektiv recht sicher und somit auch empfehlenswert. Es versteht sich aber von selbst, dass die Lawinengefahrenstufe möglichst gering sein sollte, siehe hier und hier (ich schmücke mich hier mit fremden Federn, denn die beiden Bilder sind nicht von mir).
Anfangs 2010 zog es mich wieder in den Schattenbach. Wir waren zu dritt und hofften auf ein tolles Erlebnis. Leider war es viel zu warm, und so kehrten wir noch vor der Steilstufe in der Schluchtmitte um, denn mit Schneerutschen und Steinschlag ist nicht zu spassen. Zur Verdeutlichung werde ich von dieser Tour auch noch ein paar Bilder dazufügen (wenn nicht speziell erwähnt, sind die Bilder von 2006).
In jüngerer Zeit haben Basejumper die Schattenbachschlucht ebenfalls entdeckt. Dank der leichten Erreichbarkeit mit der Chäserruggbahn scheint sich der Sprung vom Wartgang am Hinterrugg bereits etabliert zu haben. Dass es eines Tages möglich sein würde, die Schattenbachschlucht innert weniger Sekunden zu durchfliegen, hätten wir 2004 niemals für möglich gehalten.
Nun folgt die eigentliche Tourenbeschreibung:
Zugang ab Walenstadt:
Man nehme die Walenstadtbergstrasse bis ca. 655m ü.M. (Kurve), hier parkieren (oder mit PTT bis Haltestelle "Post"). Dem bewachsenen Weg folgen, bis ca. 50m vor dem Stollenchopf (P.744m, schöner Aussichtspunkt) links ein Pfad abzweigt, der zum Bach führt. Darin hoch bis unter die Schattenbachwand (je nach Verhältnissen kann bereits die erste Felsstufe kurz unterhalb der Wand Schwierigkeiten bieten).
Linkerhand ist der unverkennbare Schluchteingang. Falls noch kein Lawinenschnee liegt, müssen auf den folgenden ca. 200Hm mehrere Klemmblöcke überklettert werden.
Etwa in der Hälfte der Schlucht erblickt man eine glockenförmige Verengung ("Glocke"). Etwa fünfzig Meter unterhalb dieser führt ein unangenehm kiesiges Band einige Meter nach links (mit Trittschnee gehts leichter). Schon bald hält man wieder aufwärts und erreicht (je nach Verhältnissen evtl. bereits mit Seilsicherung, "Zustiegslänge"), etwas rechts haltend über Blöcke, einen bequemen Stand mit zwei guten Normalhaken (Hakenqualität bitte trotzdem überprüfen). Ab hier gerade hoch einem Riss entlang, gute Absicherungsmöglichkeiten. Nach einigen Metern erreicht man flacheres Gelände und kann mit einem Camalot (Grösse 3 oder 4) bei einem markanten Riss Stand machen. Für die zweite Seillänge quert man zuerst nach links und steigt dann diagonal nach rechts aufwärts über eine Rampe bis zum Ende der Steilstufe, auch hier gute Absicherungsmöglichkeiten.
Das blockige Gelände lässt vermutlich noch diverse andere Varianten zu, man braucht sich also nicht stur an die hier beschriebene Linie zu halten.
Nach der Steilstufe auf Band ca. 50m horizontal zurück in den Schluchtgrund queren (man hat nun die "Glocke" links umgangen). Nun alles dem Schluchtgrund entlang aufwärts, tendenziell steiler als im unteren Schluchtteil. 2004/2006 musste noch ein etwas instabil aussehender Klemmblock überwunden werden (ob der noch dort ist?). Bei einer Gabelung wählt man die rechte Abzweigung, da man sonst vermutlich vorzeitig aus der Schlucht gelangt.
Abstieg:
Am einfachsten vom Ausstieg horizontal hinüber zur Alp Hinterbüls und weiter nach Vorderbüls. Von dort führt ein steiler und stellenweise etwas ausgesetzter Wanderweg über den Wissenberg zurück zur Walenstadtbergstrasse.
Saison:
Dezember bis Februar. In erster Linie muss es kalt und lawinensicher sein, und vorteilhafterweise wird das viele Geröll von einer harten Schneedecke zusammengehalten. Anfangs Winter, wenn noch kaum Lawinenschnee liegt, müssen im unteren Schluchtteil zudem mehrere Klemmblöcke überklettert werden. Nachtrag: Der Ausstieg liegt schon am frühen Vormittag in der Sonne und weicht auch bei kalten Temperaturen auf. Deshalb sollte nur bei einer geschlossenen Wolkendecke oder bei Nebel eingestiegen werden.
Material:
Ein Satz Klemmkeile sowie ein paar Camalots (bis Gr. 3 oder 4) sind relativ zwingend, und ein kleines Hakenset zusätzlich kann nicht schaden (ausser zwei Normalhaken an einem Stand ist kein fixes Material in der Route vorhanden).
Bewertung:
Im Sommer dürfte, je nach Variante, ca. UIAA 4 sowie T6 gefordert sein. Was dies im Winter bei Schnee bedeutet lasse ich mir gerne von einem Kenner der Hochtourenbewertungsskala erklären. Wichtiger als eine massgefertigte Bewertung scheint mir aber ohnehin eine realistische Einschätzung der Schneeverhältnisse. Erwischt man die Tour optimal, hat man lediglich zwei bis drei kurze Genuss-Seillängen vor sich und der Rest ist gemütliches Steigeisengehen, trifft man's schlecht wühlt man sich durch grundlos tiefem Schnee hoch und muss im steilen Mittelteil den Schnee von den Griffen wischen. Ich weiss wovon ich spreche:-)
Nachtrag:
Die "drei Bauernbuben", vermutlich die Erstbegeher der Schlucht, sollen ca. 1979 dort gewesen sein. Somit ist's also eher dreissig als vierzig Jahre her. Wahrscheinlich waren sie zu diesem Zeitpunkt auch gar keine Buben mehr :-) Besten Dank für den Hinweis.
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