Die ersten Deutschen auf dem Beerenberg. Oder: So einfach mal was Neues
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Beerenberg? werden die meisten spöttisch fragen. Was ist denn das für ein Hügelchen? Und warum so ein Getue, von wegen „erste Deutsche“?
Nun, der Beerenberg ist der nördlichste Vulkan der Erde. Noch immer werden sich die meisten verwundert die Augen reiben: Wo soll der denn sein?
Auf der Nordatlantik-Insel Jan Mayen. Wieder großes Rätselraten. Jan Mayen? Nie gehört. Oder doch etwa? Jan Mayen liegt etwa geradewegs zwischen Island und Spitzbergen, eine gut 50 Kilometer lange Insel von der Form einer Kaulquappe: langen Schwanz im Südwesten, Kopf im Nordosten. Den ganzen Kopf nimmt der Kegel des Beerenbergs ein.
Es handelt sich um ein exterritoriales Gebiet Norwegens, benannt nach dem niederländischen Walfang-Kapitän Jan Jacobs May van Schellinkhout, der 1614 als Erster hier gelandet war, sieben Jahre nachdem die Insel entdeckt worden war. Sie ist seit ein paar Jahrzehnten von einer immer gleichbleibenden Anzahl von 18 Norwegern „bewohnt“; das ist die halbjährlich rotierende Besatzung einer Radar- und Wetterstation des norwegischen Militärs.
Wie hoch ist eigentlich der Beerenberg? 2277 Meter. Na ja, werden viele sagen, was soll das Aufheben! Wir befinden uns auf 71°05' nördlicher Breite, 8°11' westlicher Länge, also in der Arktis. Weiß man das, wird man schon etwas respektvoller. Beim Beerenberg handelt es sich um einen Vulkan durchaus vom Format der großen Anden-Vulkane, vor allem weil dazu kommt, daß man ihn ohne Zwischenaufenthalt von Meereshöhe aus besteigen muß – 2277 Höhenmeter in einem Rutsch rauf und runter. „Muß“ aus zwei Gründen: Erstens gibt es keine Hütten und Zelte mag man nicht schleppen, zweitens ist das Wetter sehr wechselhaft und oft durchgehend schlecht. Hat man also mal eine Lücke mit Sonnenschein, muß man die gnadenlos ausnutzen.
Schön, schön, werden immer noch viele sagen, aber was ist das Besondere daran? Ganz einfach: Man muß erst einmal hinkommen. Jan Mayen verfügt zwar über eine Landepiste für Flugzeuge, dort landen aber nur die Versorgungsflieger für die Station. Touristen haben auf dem kahlen Eiland nichts verloren. Jedenfalls normalerweise nicht. Hat man jedoch ein geeignetes Transportmittel und hat man einen akzeptablen Grund, warum man die Insel besuchen will, dann kann die Polizei vom norwegischen Festland-Ort Bodø eine Spezialerlaubnis erteilen. Seit diesem Jahr kann man's auch einfacher haben: Man nimmt mit www.ecoexpeditions.no Kontakt auf und erzählt Geir Ulstein, dem Geschäftsführer, was man vorhat.
So haben wir es auch gemacht, nicht ahnend, daß wir dabei Neuland betreten würden: Bisher haben immer nur die Besatzungsmitglieder der Wetterstation den Berg bestiegen – 18 Mal insgesamt; das waren aber immer nur Norweger. Diesen Juni betraten zum ersten Mal ausländische Touristen die Insel, darunter wir aus Deutschland. „Wir“, das heißt: Roman aus Karlsruhe und ich aus Kelkheim.
Vom isländischen Dalvik waren wir gestartet, auf der Segeljacht „Aurora“ von www.boreaadventures.com mit Sigurđur und Rúnar als Skipper – eine windig-wellige Passage von fast drei Tagen Dauer. Vier Norweger, Johan als Führer und „Sachverständiger“, zwei Engländer und ein Pole waren mit von der Partie. Unsere Zelte bauten wir in Sichtweite des Berges auf einer Anhöhe über der Nordlagune auf – wenn wir den Berg nur gesehen hätten! Er lag hinter einer dichten Wolkenbarriere versteckt.
Doch dann, schon am nächsten Tag, sagte der Wetterdienst eine kurze Periode Schönwetter voraus. Trotzdem bedeutet das einen dichten Wolkenkranz um den Berg – es ist einfach zu viel Wasser in Inselnähe, so daß bei jedem Wetter genug verdampft und kondensiert. In diesem Fall aber arbeiteten wir uns durch das unübersichtliche Vorfeld von Nebenkratern und kleinen Tälchen voran, durchstachen den Wolkengürtel zwischen 300 und 600 Meter Seehöhe und arbeiteten uns bald in gleißendem Sonnenlicht auf dem flachen Kronprinz-Olavs-Gletscher bergan. Um 14.30 Uhr waren wir gestartet, nichts Ungewöhnliches in diesen Breiten und Jahreszeiten, denn da scheint die Sonne 24 Stunden lang.
Stundenlang geradeaus stapfen, immer den breiten Kegelstumpf des Beerenbergs vor uns. Keine Angst vor Bären! – auch wenn der Berg so heißt; Eisbären gibt es auf Jan Mayen nicht mehr. Stattdessen könnte es Spalten geben. Nicht so bis zur Raststelle „Nunataken“, einer markanten Felsinsel im Eis auf 1475 Meter Höhe. Hier heißt es anseilen und Steigeisen anziehen, denn ab jetzt geht es in die Flanke des aufgesetzten Kraters, auf den Bratthenget. Wild durchziehen jetzt die weitaufgerissenen Rachen gähnend-blauschimmernder Spalten den Gletscher; bis zu 35 Grad steil sind die Kurven, in denen wir sie vorsichtig in Schlangenlinien umgehen müssen. Wir halten auf die rechte obere Ecke des Horizonts zu und erklimmen einen Steilhang, der uns zur Kante des kreisrunden, nach Nordwesten geöffneten Kraterrandes führt; aus der Öffnung schüttet der Krater den zerrissenen Weyprecht-Gletscher talwärts – unten mündet er direkt ins Meer.
Der Beerenberg galt lange Zeit als erloschen, bis er 1970 und 1984/85 nach langer Ruhezeit wieder ausbrach. Jetzt ist er völlig still. Nicht einmal Fumarolen sind im Krater zu entdecken.
Es ist 1.30 Uhr, und die Sonne steht tief. Weit geht der Blick über die unter Wolken begrabene Süd-Insel. Ihr höchster Punkt, der 769 Meter hohe Rudolftoppen, schaut manchmal mit seiner obersten Spitze heraus. Nach Osten hin wirft der Beerenberg einen breiten Dreiecksschatten. Doch die Sonne geht nicht unter, im Gegenteil. Sie begleitet uns auch weiter, die Höhen und Tiefen des Kraterrandes entlang, bis wir vor einem merkwürdig künstlich aufgesetzt wirkenden Knubbel stehen, vielleicht zehn Meter den Rand übersteigend: der Haakon-VII.-Toppen, die höchste Spitze des Beerenbergs. Mit einem kurzen Anlauf haken wir uns das letzte Steilstück des Doms hoch: Wir stehen auf dem höchsten Berg zwischen Norwegens Jotunheimen und Grönland. Wir stehen im Himmel.
Nur zehn Minuten sind uns auf dem Gipfel vergönnt. Die Aussicht gilt vor allem dem Krater und seinen Trabanten, alles schneidige, kaum je besuchte Gipfel. Der Schweizer Meteorologe Paul-Louis Mercanton, der Polarforscher und Geologe James Mann Wordie und der Naturforscher Thomas Charles Lethbridge waren als Teil einer wissenschaftlichen Expedition zwischen dem 9. und 11. August 1921 als Erste auf dem Beerenberg; jetzt sind wir die ersten Deutschen, und Wolfgang mit seinen 64 Jahren dazu noch der Zweitälteste überhaupt. Es ist 3 Uhr morgens am 30. Juni 2008, Zeit, daß wir mal zum Schlafen kommen; auf dem Gipfel wäre wunderbar schlafen gewesen, wenn wir sicher vor einem Wetterumsturz gewesen wären. So treibt es uns zurück zum Lager. Also verschieben wir die Gipfelfreude für später.
Wir steigen auf derselben Route ab, „uneventful“ wie die kühlen Engländer sagen würden, aber voller Stolz und Freude im Herzen. 9 Uhr morgens ist es, als wir an den Zelten eintreffen. Bier steht in der Kohte bereit, und es gibt ein gefriergetrocknetes Frühstück – oder ist es ein Abendessen? – wir haben jegliches Zeitgefühl verloren. Wir haben etwas geschafft, was uns keiner so schnell nachmachen wird und was uns vor allem kaum jemand vorgemacht hat. Den Berg haben wir nicht bezwungen – er hat uns nur einen Augenblick auf seinem Gipfel geschenkt; uns selbst haben wir eher bezwungen – seit unserem Aufbruch sind 18 und eine halbe Stunde vergangen; Hunderte waren schon auf dem Everest, aber auf dem Beerenberg? Auf jeden Fall stehen wir in den Charts weit oben, was sicher keinen kümmert, denn: Wer weiß schon was vom Beerenberg?
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